Also Ministrant wollte ich auf keinen Fall sein. Ministrantenunterricht an einem Dienstag um drei Uhr nachmittags. Mitten in meiner Kindheit! Was konnte man da nicht alles machen. Mit dem Fahrrad durch die Straßen gondeln. Fußball spielen. Einfach auf der Gasse sein. Ministrantenunterricht – mit mir nicht. In meiner Volksschulklasse war ich damit die Ausnahme. Da muss ich Gott irgendwie aufgefallen sein.
Szenenwechsel: Humanistisches Gymnasium, 10. Klasse. Über das Innenhofeck des Schulgebäudes sieht man in die 12. Klasse hinein. Dort sitzt der Priester und Studiendirektor Josef Waas und unterrichtet die Kollegiaten in Religion. Bald würde man selbst dort sitzen. Josef Waas geht der Ruf einer ungewöhnlichen Geistigkeit voraus. Nicht nur Geistlichkeit. Geistigkeit! Sein Unterricht sei ein vorweggenommenes Studium der Philosophie und Theologie. Man ist gespannt und neugierig.
Es waltet ein Geist, der uns unendlich überlegen ist
Als es zwei Jahre später so weit ist: Es ist noch intensiver als gedacht und erhofft. Es ist eine Art Meditation, kann ich im Rückblick sagen. In seiner Einkaufstasche hat der liebenswürdige Lehrer die Arbeitsblätter dabei, auf denen Sätze stehen wie: „Im Weltall waltet ein dem Menschen unendlich überlegener Geist.“ Einstein, steht in Klammern dahinter geschrieben. Josef Waas spricht diesen Satz immer wieder aus. Diesen und andere Sätze. In vielen Unterrichtsstunden. Es geht nicht ums Pauken und Auswendiglernen. Aber doch wird sich dieser Satz – und viele andere – für immer in das Gedächtnis der Schülerinnen und Schüler einprägen.
Bis vier Uhr morgens sitzt Josef Waas in seinem Zuhause im warmen Schein seiner Schreibtischlampe über den Büchern und Predigten. Wenn er in den Schulstunden von Liebe spricht, erzählt er von seiner Mutter, die er pflegt. Oder er zeichnet Strichmännchen an die Tafel, die Mann und Frau verkörpern sollen. Und erklärt, dass dort, wo die Liebe hinfalle, der Blick von zwei Menschen, die sich liebten, füreinander immer tiefer werde. Ob das der rechte Unterrichtsstoff für 17-Jährige ist? Auf jeden Fall hat man es später nie vergessen.
Dann sein Herzinfarkt. Beim Besuch im Krankenhaus meint der Priester: Es sei herrlich. Noch nie sei es ihm so gut gegangen wie in diesen Tagen. Rund um die Uhr werde er versorgt, er müsse weder predigen noch lehren. Dabei schmunzelt er. Schon bald kehrt er in die Schule zurück, und alles ist wie vorher. Knapp 40 Jahre später wird er kurz vor seinem 90. Geburtstag in einer Predigt auf sein Leben zurückschauen. Das Schiff sei voll beladen, zitiert er ein Gedicht von Ingeborg Bachmann, und bereit abzufahren. Zu seinem 90. Geburtstag erreichen ihn zahllose Glückwünsche. Zu seiner Haushälterin sagt er wenige Tage danach: „Die Briefe habe ich jetzt alle beantwortet. Morgen noch zwei Telefonate, dann hab ich’s.“ In dieser Nacht der Schlaganfall. Mehrere Stunden wird er nicht gefunden. Im Krankenhaus vier Wochen lang immer wieder nur noch halb bei Bewusstsein. Dann hat Gott ein Einsehen. Es sei gut, wenn man vor seinem Tod noch vier Wochen lebe und im Bewusstsein hätte, dass man sterben müsse, hatte Josef Waas Jahrzehnte vorher gepredigt. Da hat ihn Gott also beim Wort genommen.
Das war der Anfang. Unvergesslich. Jedenfalls später, beim Studium, vergisst man das erst einmal. Schön ist das Leben – und auch die Frauen. Bunt und vielversprechend. Jeder Tag ein neues Abenteuer. Ausgang offen und so herrlich ungewiss. Irgendwann der nachdenkliche Blick eines Jesuiten, dem man begegnet. Diesen Blick hätte es nicht gebraucht. Aber weg geht er auch nicht mehr. Auf dem Weg nach Amerika drückt er mir noch eine Liste mit Adressen in die Hand. So für alle Fälle. Er war selber dort gewesen. Da kann man auch verlorengehen, meint er. Mach’s gut! Eine letzte Umarmung.
An der Tür von Daniel Berrigan in der 90. Straße von Manhattan, New York, kleben viele Aufkleber. Am größten ist der, der lautstark gegen die Todesstrafe protestiert. Daniel Berrigan hat offensichtlich alle Aspekte der Politik, die er kritisch sieht, auf seine Wohnungstür geklebt. Als sich die Tür öffnet, wird ein freundlicher schlanker Mann sichtbar. Die Welt weiß, wer Daniel Berrigan ist. Im Vietnam-Krieg ist der Jesuit in die Einberufungsbehörde in Maryland eingebrochen und hat aus Protest gegen den Krieg Einberufungsbescheide verbrannt. Es folgen drei Jahre Gefängnis, die er aber wegen seiner angegriffenen Gesundheit nicht vollständig absitzen muss. Ich weiß das allerdings nicht. Ich weiß nur, dass sein Name auf der Liste, die mir der Münchner Jesuit gegeben hat, ganz oben steht.
Beim „Catholic Worker“ in Lower East Side New York
Ich bin 25 Jahre alt, bin jetzt in New York und suche einen Job. Berrigan schickt mich nach Harlem. Dort gebe es Arbeit. Nach drei Tagen bin ich zurück: „Mr. Berrigan, dieses Haus ist schrecklich, da kann ich Jahre bleiben, und es wird nichts passieren, bitte sehen Sie es mir nach, dass ich diese Adresse nicht akzeptiere – und geben Sie mir etwas Besseres.“ Der Jesuit ist nicht beleidigt, sondern findet es gut, dass ich eine eigene Meinung habe, und drückt mir eine neue Adresse in die Hand. Danke!
Als sich die Tür des „Catholic Worker“ in Lower East Side New York öffnet, lacht mich ein offenes Männergesicht an: „Man, what can I do for you?“ Daniel Berrigan schickt mich, ich könne hier wohnen und mitarbeiten, sage ich. Mark zieht mich mit beiden Händen herein und freut sich, dass ein neuer Mitstreiter gefunden ist. Um acht Uhr morgens öffnet der „shelter“ (dt. Notquartier, Behelfsunterkunft) für Menschen, die kein Zuhause mehr haben. Bis acht Uhr abends werden sie versorgt. Mit Essen, mit Hilfe, mit Zuspruch. Die, die einen Weg finden wollen aus ihrer schweren Situation, können hier auch wohnen. In begrenzter Zahl. Die Hälfte sind wir: Studenten und Studentinnen aus der ganzen Welt. Die andere Hälfte: Drogensüchtige, Alkoholabhängige, Menschen in Not, auf ihrem Weg zurück in die Gesellschaft.
Abends um kurz vor acht kommt Bishop aus seinem Zimmer nach unten. Auf die Tische, wo am Tag die „homeless people“, die Obdachlosen, sitzen, verteilt er Gebetsbücher. Er zündet die Kerzen an. Jeden Abend. Bishop ist sein Spitzname. Keiner weiß, wie er wirklich heißt. Er lebt hier seit Jahren, trägt die immer gleiche Baseballmütze und ist am Abend für das Vespergebet zuständig. Das Einzige, womit man ihn verletzen könne, sei, wenn man die Gebetsbücher verstecke, meint Mark lachend, als er sie für uns alle auf dem Tisch verteilt. Um acht Uhr ist Schluss. Zeit zum Lesen oder auch für ein Glas Bier.
Der spirituelle Chef des Ganzen heißt Frank Donovan. Er war der Lieblingsschüler von Dorothy Day, die den „Catholic Worker“ in den Zeiten der Großen Depression in den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts gründete. Heute ist Dorothy Day längst seliggesprochen. Aber damals, in den frühen 30er Jahren, ist sie erst einmal jung und reich und findet das Leben lustig, bis ihr plötzlich eine bessere Idee kommt. Mit ihrem Geld gründet sie das „St. Joseph’s House of Hospitality“, verzichtet auf jeden Reichtum und lebt in selbst auferlegter Armut. Die Zeitung, die sie herausgibt, um für eine bessere Welt zu werben, verkauft sie aus Protest gegen den Kapitalismus für einen Cent pro Ausgabe. Inzwischen lebt sie seit ein paar Jahren nicht mehr, aber auf den Bildern, die es hier von ihr gibt, wirkt sie streng. Mit sich, aber auch mit den anderen.
Ihr Schüler Frank Donovan ist auch streng. Am Morgen verteilt er die Post, am Abend kommt er zum Gebet. Es ist eine seltsame Mischung aus Weisheit und Klarheit, die er ausstrahlt. Er sieht wohl alles, aber er spricht wenig. Wenn ich das Wort „tiefgläubig“ höre, muss ich bis heute zuerst an ihn denken. Ich bleibe ein Jahr.
Mehr als 20 Jahre später wird mein Freund Frank Donovan meinen neugeborenen Sohn bei meinem letzten Besuch bei ihm in den Armen halten. Er ist weit über 90 Jahre alt. Es ist Winter, im Frühling wird er sterben.
Reinhold Iblacker war ein Freund von Cicely Saunders
Die Mauer ist gefallen. Helmut Kohl ist mit der deutschen Wiedervereinigung beschäftigt, die es in diesem Jahr geben wird. Ich bin zurück aus Amerika. Mit dem Jesuiten aus München, der mir die guten Adressen gegeben hat, trinke ich ein Glas Weißwein zu Mittag. Er besuche regelmäßig krebskranke Menschen in und um München und brauche dringend einen Fahrer. Außerdem solle ich bei der Zeitung mitschreiben, die die Hospizbewegung begleite. Pater Reinhold Iblacker ist ein Freund von Cicely Saunders, die die Hospizbewegung in England gegründet hat. Er hat dort als Filmemacher einen bekannten Film über Saunders gemacht und die Hospizbewegung nach München und Deutschland gebracht.
Ich verbringe meine Tage in der Staatsbibliothek und schreibe dort an meiner Doktorarbeit. Wenn aber in der Früh das Telefon klingelt, wird der Fahrer Balle gebraucht. Wir besuchen die Kranken und gehen dann am Abend essen. Für einen einsamen Studenten kein schlechter Deal.
Die Hospizzeitung machen wir in einem evangelischen Pfarrhaus. Pfarrer Diez ist Redaktionsleiter. Ein feiner Mann. Ja, so habe ich mir ein gutes evangelisches Pfarrhaus vorgestellt. Die Regale voller Bücher, Frau Diez ist Hospizhelferin und liebenswürdig, Pfarrer Diez korrigiert jedes Komma mit der Genauigkeit eines Protestanten, der Martin Luthers Glaube an die Schrift ernst nimmt. Lehrjahre.
So vergeht die Zeit. An den Sonntagen gibt es die wunderbaren Gottesdienste der Jesuiten um neun Uhr morgens in St. Michael. Predigten, die zu Herzen gehen, dazu die Messen mit Chor und Orchester von Mozart und Schubert. Ich sitze immer am selben Platz, links im Seitenschiff, wo ich mit ein paar Marmorfiguren längst Freundschaft geschlossen habe. Im rechten Seitenschiff sitzt zufällig mein engster Freund aus lange vergangenen Bundeswehrzeiten, der auch irgendwie hier gelandet ist. Nach dem Gottesdienst trinken wir eine Tasse Kaffee. Recht viel mehr ist nicht.
Sonntage im Leben eines Promotionsstudenten sind einsam. Ein bekannter Professor hat einmal gesagt: „Eine Doktorarbeit ist vor allem auch eine Einsamkeitserfahrung.“ Über Jahre vertieft man sich in ein Thema. Das verändert. Da kann man oft niemanden brauchen. Man bleibt mit seinem Denken alleine. Oft genug. Über den Tagen beim Denken und Schreiben verwandelt sich die Welt. Ein schmerzhafter Abschied und Neubeginn.
An einem dieser Sonntage im Winter schlenderte ich absichtslos an der Ludwigskirche in München vorbei. Es brannte Licht und Orgelspiel war zu hören. Ich ging hinein. Die Messe hatte schon angefangen, und jetzt begann ein kleiner, drahtiger Priester zu predigen. Das Gotteshaus war gut gefüllt, viele junge Menschen standen dicht gedrängt. Der Mann predigte eindrucksvoll. Fast eine halbe Stunde lang. Das schöne Orgelspiel tat ein Übriges. Danach war man irgendwie weniger einsam. Und auf eine seltsame Weise auch satt geworden.
Wie ich Fahrer und Freund von Eugen Biser wurde
Also kam ich öfter und setzte mich ins linke Seitenschiff, um der ganzen Sache näher zu sein. Zufälligerweise saß auch hier im rechten Seitenschiff ein flüchtiger Bekannter. Auch ein Germanist, der auch an seiner Doktorarbeit feilte. Wir wurden Freunde. Zusammen mit seiner Frau, einer Konzertpianistin, gingen wir nach dem Gottesdienst regelmäßig zum Abendessen in ein nettes Lokal. Danach schauten wir zusammen den „Bullen von Tölz“ an. Nach der heiligen Welt die heile Welt. Für einsame Promotionsstudenten ein sinnvolles Verfahren.
Der Priester, der so gut predigte, war ein bekannter Professor. Eugen Biser war sein Name. Er hatte die Gabe, so zu predigen, dass man sich plötzlich an den Orten des Neuen Testaments wiederfand. Mitten in den Geschichten, die von dort erzählt wurden. Es war wie eine Zeitmaschine. Man schloss die Augen und war dabei. Ein Zauberer des Erzählens war das. Jahrelang liefen wir dorthin und hörten zu. Als ich später Verleger in Straubing wurde, schloss ich am Sonntag um halbsechs mein Büro, stieg ins Auto und fuhr dorthin. So verging ein Jahrzehnt.
Eines Tages wurde ein Festredner gebraucht. 150 Jahre „Landshuter Zeitung“. Am Ende eines Sonntagsgottesdienstes lief ich in die Sakristei. 10 Jahre lang hatte ich dem Mann zugehört, den ich also jetzt ansprach, um mein Anliegen vorzutragen. „Können wir machen“, sagte er kurz, „aber einen Fahrer nach Landshut brauche ich.“ „Der steht vor Ihnen“, antwortete ich, und so gingen wir auseinander. Auf der Fahrt nach Landshut kamen wir einander näher. Und einige Sonntage später lud er mich dann nach dem Gottesdienst zu seinem Stammtisch ein, den er regelmäßig beim Chinesen unterhalte, wie er sich ausdrückte.
Eines Morgens, nach mehreren Treffen beim Chinesen, rief er mich schließlich an einem Montag um kurz vor sieben an: „Dr. Balle, ich bin gestern beim Stammtisch wieder nicht dazu gekommen, Ihnen endlich das freundschaftliche Du anzubieten.“ Ich musste mich kurz wachrütteln und antwortete: „Das freut mich und ehrt mich, ich bin Martin.“ Als Antwort am anderen Ende des Telefons: „Ich bin Eugen. Martin, kannst Du mich morgen nach Salzburg fahren?“ Natürlich.
Und so begannen sie, unsere vielen Fahrten durch die Welt. Zusammen mit seinen Freunden und Weggefährten. Nach Prag zu Franz Kafka. Nach Wien zu Kardinal König, der damals noch lebte. Und nach Kopenhagen zu Sören Kierkegaard, der zwar seit fast 200 Jahren nicht mehr lebt, aber seine ebenso tiefen wie schrecklichen Spuren in die Theologie beider Konfessionen eingeprägt hat und immer noch nachwirkt.
Am schönsten waren die Fahrten in den Kaiserstuhl, in die Heimat von Eugen Biser. Zwei Grad wärmer ist es dort als sonst in Deutschland, in diesem ehemaligen Vulkangestein, das heute die Reben hervorbringt und den Wein. Und diese zwei Grad mehr, die spürt man auf der Haut und in der Seele.
Das Recht jedes Menschen, er selbst zu werden
Und was habe ich bei Eugen Biser gelernt? Eigentlich war er fast eher ein Philosoph als ein Theologe. Und er verstand, was in einer Gesellschaft vor sich geht. Sein für mich wichtigster Gedanke war der, dass ein Mensch, der spüre und wisse, dass er im Leben nicht dorthin komme, wo er im Innersten hingehöre, ins Bodenlose falle. Dass der den Mut verliere und zur Gewalt greife. Der Mensch muss die Möglichkeit haben, der zu werden, zu dem er sich im Innersten berufen fühlt. Im Beruf, in der Beziehung, im ganzen Leben. Und alles hat diesem Ziel zu dienen. Auch die Beziehung zu Gott. Das war Bisers menschenfreundliches Credo.
Eine solche Theologie passte natürlich den konservativen Theologen nicht ins Konzept, und sie feindeten ihn regelrecht an. Als Biser bei einem Symposion wieder einmal seine Lehre vom menschenfreundlichen und gütigen Gott verkündete, der nicht mit Angst und Schrecken herrschen wolle, meldete sich ein junger Theologe, der gerade Professor geworden war, um mit den Worten zu widersprechen: „Ich muss jetzt doch etwas Wasser in den Wein gießen.“ Nach langem Vortrag setzte er sich, während Eugen Biser nur antwortete: „Das war jetzt wirklich reichlich Wasser.“ Ja, der alte Herr war um gute Pointen nicht verlegen.
Eine zweite Lehre von ihm ist mir genauso wichtig geworden: das Motiv vom Sorgentausch. Gott wolle, dass sein Reich schon auf dieser Welt beginne. In der Sorge um den Anderen, in der Liebe, im Heil, zu dem die Menschen füreinander werden sollten. Er kümmere sich dafür um unsere Sorgen und helfe uns in unserem Innersten, wo wir Hilfe bräuchten. So würde auch das Böse in unseren Herzen weniger. Ohne unser Zutun, ohne dass wir das merkten. Jesus „als inwendiger Lehrer, als Freund“, wie er sagte.
Und als Drittes wurde mir wichtig: Biser wusste, dass Menschen immer Angst haben, dass der, der gerade noch Freund war, sich im nächsten Moment verwandelt und zum Gegner und Rivalen wird. Die Angst des Menschen vor dem Anderen. Dass die Liebe enttäuscht wird. Dass Beziehungen zerbrechen. Eugen Bisers ganzes Handeln war darauf ausgerichtet, die Menschen so zueinander zu bringen, dass Freundschaft entsteht und bleibt. In der Mühe des Alltags.
Eugen Biser wusste um das Leben, wie es sich wirklich zuträgt. Als der Irakkrieg begann, hätte er sich gewünscht, dass sich der Papst so lange nach Bagdad setzt, bis der kleine Bush seinen Rachefeldzug für seinen Vater abbläst. Und schon den Afghanistankrieg hatte er lauthals abgelehnt, obwohl ihn die ganze Welt nach den Anschlägen vom 11. September forderte. Er war ein Mann des Friedens und er wusste, dass Krieg keinen Frieden bringt. Und so kam es ja auch.
Lange Jahre war ich so Eugen Bisers Fahrer und Freund. Er rief an, wann er wollte, und wir fuhren durch die Welt. Gelernt habe ich immer etwas von ihm, obwohl ich schon längst kein Student mehr war.
Eines Tages wurde er schwächer. Zwei Jahre lag er am Ende seines Lebens im Bett und hörte Beethoven, weil er auch nicht sterben wollte, obwohl er schon weit über 90 Jahre alt war. Wenn man ihn fragte, wie es ihm gehe, sagte er „gut“ und lachte freundlich dazu. Als er dann starb, ging langsam eine Zeit zu Ende: die Zeit der großen Theologen und Religionsphilosophen. Guardini und Rahner waren schon lange tot, aber Hans Küng und Johann Baptist Metz sollten noch ein paar Jahre leben.
„Kein Problem, aber einen Fahrer bräucht ich“
Das Leben geht weiter. Ein Samstag in München vor wenigen Jahren. Einkaufen mit meiner Familie. Trubel, mir wird ein wenig schwindlig. Es ist kurz nach fünf. Ich ziehe mich kurz zurück in die Kirche St. Michael. Einfach, um wieder Luft zu holen. Dort predigt gerade ein Jesuit. Am Ende der Predigt klatscht die Gemeinde Beifall. Ungewöhnlich, aber die Predigt war auch verdammt gut. Zuhause recherchiere ich, wer das war. Karl Kern ist sein Name, und ich rufe ihn an. Wir verabreden uns und lernen uns kennen. Schon bald lade ich ihn zu einem Vortrag nach Landshut ein. „Kein Problem“, sagt er, „aber einen Fahrer bräucht ich …“ ‚Ah, verstehe!‘, denke ich, und sage kurz zum lieben Gott, dass ich mich recht gut von Ihm behandelt fühle.
Mir ist bewusst, dass es gerade jetzt viele Menschen gibt, die mit der Kirche keine guten Erfahrungen gemacht haben. Ich verstehe und akzeptiere, dass sie nicht mehr in der Kirche bleiben können und wollen. Aber ich wollte von meinen positiven Erfahrungen mit Vertretern der Kirche erzählen, damit die andere Seite der Kirche, die ich erlebt habe und die es eben auch gibt, nicht ganz verloren geht. Von Pater Karl Kern sind mittlerweile vier Predigtbücher zu den vier Evangelisten in unserem Verlag erschienen, die allesamt lesenswert sind. Sie seien am Ende dieses Beitrags recht herzlich empfohlen.
Straubinger Tagblatt vom 19. Februar 2022