Schatten über der Sicherheitskonferenz – Eine Analyse

In einer großen Recherche zerlegte in dieser Woche das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ die Münchner Sicherheitskonferenz, wie sie in den letzten Jahren ausgerichtet wurde, buchstäblich. Was als ein Treffen von Politikern aus aller Welt erscheint, ist in den letzten knapp zehn Jahren zunehmend zu einer kommerziellen Veranstaltung, die vor allem auch die Interessen der Rüstungsindustrie bedient, degeneriert. Wir zeichnen die wichtigsten Ergebnisse der „Spiegel“-Recherchen nochmals nach und bewerten sie.

1. Entgegen der allgemeinen Meinung ist der Träger der Veranstaltung weder die Bundesrepublik Deutschland noch das Land Bayern, auch nicht die Stadt München. Jeder eingeladene Gast war in den letzten Jahren „persönlicher Gast“ des Ex-Botschafters Wolfgang Ischinger. Problem: Was sind am Ende die objektivierenden Kriterien, die zu einer Einladung führen? Entsteht so tatsächlich der Diskurs, der wirklich dem Frieden dient und nicht nur interessierte politische Kreise in den zahlreichen anwesenden Medien repräsentiert?

Kontakte vor allem mit Rüstungsfirmen vermittelt

2. Im Windschatten der Münchner Sicherheitskonferenz wurde 2015 die Beratungsfirma Agora Strategy Group gegründet. Mitbegründer ist der Ausrichter der Sicherheitskonferenz Ex-Botschafter Ischinger. Diese Beratungsfirma vermittelt am Rande der Konferenz Kontakte zwischen Ländern und vor allem Rüstungsfirmen. Problem: Damit dient die Sicherheitskonferenz, die vorgeblich die Welt friedlicher machen will, in den Nebenzimmern des Saals im Bayerischen Hof der Anbahnung von bewaffneten Konflikten, die die Welt in der Regel ja nicht sicherer machen.

3. Die Länder, die hier mit den Rüstungsfirmen Geschäfte anbahnen, sind häufig keine demokratischen Länder. Es geht auch um Länder wie Saudi-Arabien, Libyen oder Ägypten, wohin entweder gar keine Waffen exportiert werden dürfen oder sogar bekannt ist, dass dort die Mächtigen töten und foltern lassen. Problem: eigentlich kein Umgang für die zivilisierte Welt.

4. Der Veranstalter Ex-Botschafter Ischinger sitzt bei einer dieser Rüstungsfirmen (Hensoldt) sogar im Aufsichtsrat. Bei dieser Rüstungsfirma hält er zudem Aktien, so schreibt der „Spiegel“. Problem: Stellen nicht dann die Nebengeschäfte rund um die Sicherheitskonferenz eine scheinbar objektive Debatte um die Zukunft der Welt, wie sie der Ex-Botschafter vorgeblich leitet, sogar in den Schatten?

5. Ex-Botschafter Ischinger erklärt, dass er an der Beratungsfirma Agora seinen Anteil von 30 (!) Prozent über einen Treuhänder verwalten lasse, damit er keine Interessenkonflikte habe. Problem: Jeder in der Wirtschaft tätige Mensch weiß, dass Treuhänder exakt das tun, was ihnen der eigentliche Stakeholder anschafft und in der Regel auch die Gewinne vollständig nicht beim Treuhänder, sondern beim Stakeholder landen.

Treffen mit Gruselfiguren der internationalen Welt

6. Auf Ischingers Betreiben hin fördern immer mehr Sponsoren aus der Rüstungsindustrie, zum Beispiel der Panzerbauer Krauss-Maffei Wegmann, die sogenannte Sicherheitskonferenz. Problem: Diese Firmen wollen natürlich, dass ihr finanzielles Engagement auf ihre Geschäfte mit Waffen einzahlt.

7. Unabhängig von der Sicherheitskonferenz lädt der Ex-Botschafter Ischinger zu Treffen mit Gruselfiguren der internationalen Welt ein. Zum Beispiel mit dem ehemaligen mazedonischen Premier Nikola Gruevski. Der „Spiegel“ schreibt: „Gegen Gruevski standen viele Vorwürfe im Raum, die man gemeinhin mit Autokraten verbindet: Amtsmissbrauch, Korruption, Geldwäsche, Wahlfälschung, Massenüberwachung.“ Problem: Auch hier gab es finanzielle Interessen aller Beteiligten. Weiteres Problem: Mit solchen Leuten trifft man sich besser nicht!

8. Im Jahr 2020 gab der Ex-Botschafter Ischinger in seiner Funktion als Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz ein Interview, in dem er die Drohne „als Kampfmittel der Zukunft“ einfordert. Problem: Am Drohnenverkauf kann er als Aufsichtsrat und Aktionär einer Rüstungsfirma gut mitverdienen. Zweites Problem: Drohnen gelten als schreckliche Kriegswaffen und sind ein großes moralisches Fragezeichen, das in der westlichen Welt längst nicht ausdiskutiert ist. Es geht hier um die „Leichtigkeit des Tötens“, das die Schwelle zu töten deutlich herabsetzt. Ein großes nicht ausdiskutiertes ethisches Thema. Dieses Problem wird vom Ex-Botschafter als Thema komplett verschwiegen. Es geht ihm primär um Rüstung und Waffenkauf beziehungsweise -verkauf.

9. Auf all das angesprochen, antwortet Ex-Botschafter Ischinger, er habe ein „reines Gewissen“. Problem: Vielleicht ist dann doch bei der Gewissensbildung in den letzten Jahren beim ehemaligen Botschafter etwas in die falsche Richtung gelaufen, ohne dass er es bemerkt hat.

Lösungsansatz: Im nächsten Jahr übernimmt ein neuer Leiter den Chefposten der Münchner Sicherheitskonferenz. Christoph Heusgen war lange Jahre kluger und fleißiger außenpolitischer Berater von Angela Merkel. Bei einem Vortrag im Münchner Peutinger-Collegium erwies er sich als liebenswürdiger und offenkundig integerer Kenner der Weltpolitik. Seine Diagnose: Es gibt drei schlimme Baustellen auf dieser Welt. Putin und sein nur auf sich selbst bezogenes Regime; China, das seine autokratische Gestalt aus der Partei heraus immer dominierender verwirkliche – und die USA, die weltweit als Führungsmacht immer stärker ausfiele. Lösungsansatz für Heusgen: Die an Demokratie und an Menschen- und Grundrechten interessierten Länder müssen sich in neuen Netzwerken miteinander verbinden und den inneren und äußeren Frieden miteinander zu wahren suchen. Dafür sind Gesprächsrunden wie die Münchner Sicherheitskonferenz natürlich wie geschaffen. Problem: Wird der brave Diplomat Heusgen den bösen Lobbywildwuchs, den ihm sein Vorgänger mit auf den Weg gegeben hat, zurückschneiden können? Es wird Aufgabe der kritischen Medien sein, das genau zu beobachten.

Raum für Gespräche und Diplomatie

Fußnote: Es gibt immer wieder oft sogar gewalttätige Proteste, wenn sich die Spitzen der Welt in Elmau oder sonst wo treffen, um miteinander zu beraten. Menschen haben dann zum Teil das Gefühl, dass diese superteuren Veranstaltungen niemandem helfen und eher Verschwörungsrunden gleichen. Diese Proteste sind dann tatsächlich richtig, wenn die Schattenwelt der Geschäfte das Gespräch miteinander entwertet. Wenn politische Gespräche nur mehr Showveranstaltungen für die Medien sind und die eigentliche Politik ganz woanders oder auch in den Hinterzimmern der Veranstaltung gemacht wird. Unter Ausschluss der Öffentlichkeit.

Bei Horst Teltschik war die Münchner Sicherheitskonferenz ein sinnvolles Treffen von Politikern aus aller Welt. Was in den letzten Jahren passiert ist, ist schlimm und es ist gut, dass das heute klar erkennbar auf dem Tisch liegt. Ein Neuanfang gerade auch der Münchner Sicherheitskonferenz muss dahin führen, dass Bürgerinnen und Bürger wieder stärker vertrauen können, dass bei solchen Konferenzen tatsächlich ihre Sicherheitsinteressen gepflegt und gewahrt werden. Gespräche und Diplomatie brauchen Raum. Dieser Raum darf auch nicht einmal den Anschein erwecken, von kommerziellen Zwecken, die auch noch der internationalen Rüstungsindustrie dienen, missbraucht zu werden!

Straubinger Tagblatt vom 26. Februar 2022