Sebastian Kurz – Wir bleiben erstaunt zurück

Und doch bleibt sie faszinierend, die Karriere des österreichischen Ex-Kanzlers Sebastian Kurz. Als seine Altersgenossen noch an den Universitäten ihre Prüfungen abschlossen, war er schon Außenminister seines Landes.

Unvergesslich die Bilder, als er neben dem damaligen Außenminister unseres Landes, Frank-Walter Steinmeier (SPD), seine erste Pressekonferenz gab. Steinmeier, der heutige Bundespräsident, konnte das Lachen kaum unterdrücken, wenn er zu dem jungen Kerl hinüberblickte, der da neben ihm stand und mit erstaunlicher Professionalität Sätze abspulte, die ihn als politischen Profi identifizieren sollten. Es war eine Mischung aus Sympathie und Erstaunen, die dem jungen Mann aus Österreich in ganz Europa entgegenschlug.

Dann der Weg zum Kanzler. Kurz bemerkte, dass seine Partei auf ihn angewiesen war, und reizte sein Blatt voll aus. Er legte seine Partei mit Haut und Haar auf seine Person fest. Und die ließ das gerne geschehen, der Erfolg des jungen Mannes machte es möglich.

Wenn Sebastian Kurz abends in der ZIB 2, der wichtigsten Nachrichtensendung Österreichs, interviewt wurde, begegnete er dem begnadeten Anchorman Armin Wolf von Anfang an auf Augenhöhe. So kritisch konnten die Fragen gar nicht sein, dass der junge Politprofi nicht doch eine Antwort wusste, die ihn nicht in die Sackgasse trieb.

Und seine Politik? Kein Stillstand. Wirtschaftliche und ökologische Reformen trieb er voran, in der Zuwanderungsfrage zeigte er klare Kante und überließ auf diese Art und Weise der rechtslastigen FPÖ auch dieses Thema nicht wirklich zur eigenen Profilierung.

Nach Straches letztem lustigen Fernsehauftritt mit einer Schauspielerin, die vorgab, eine russische Oligarchin zu sein, war die Koalition mit der FPÖ zwar am Ende. Die Neuwahlen kurz darauf ließen das Licht von Sebastian Kurz aber nochmals heller strahlen. Die Koalition mit den Grünen, die folgte, war nicht einfach, aber doch erstaunlich produktiv.

In ganz Europa war Sebastian Kurz jetzt ein vielbeachteter Politiker, an dem man in der politischen Diskussion nicht mehr vorbeikam. Und das im Alter von gut 30 Jahren!

Auffällig auch seine Begabung, Menschen, die ihm auf der Straße begegneten und die Hand schüttelten, freundlich zu begegnen. Einer Frau, die ihm hörbar ins Ohr flüsterte: „A scheener Bua is a …“, antwortete er mit sichtbarem Erröten. Für einen Politiker eine erstaunliche Authentizität.

Auf der anderen Seite die Schatten. Im Umgang mit den ehemaligen Eliten der eigenen Partei war Kurz von Anfang an rücksichtslos. Er manipulierte politische Prozesse, um selber voranzukommen, sprachlich bediente er sich einer Fäkalsprache, wenn er sich über nicht geliebte Parteifreunde ausließ.

Das immerhin ist in der Politik nichts Ungewöhnliches. Es gehört zur bekannten Steigerungsformel „Freund, Feind, Parteifreund“. Ein bayerischer Spitzenpolitiker sagte mir vor Jahren, als ich ihm mitteilte, dass ein Parteifreund von ihm sich vor wenigen Tagen sehr positiv und wohlwollend über ihn geäußert habe: „Oh, dann muss ich da jetzt aber aufpassen.“ Politik ist ein mehr als raues Geschäft. Weil Kurz das wusste und alle Hebel der Macht so perfekt bediente, wurde er so überaus erfolgreich.

Ein Fehler allerdings war es, über den er am Ende stolperte. Um durch eine gewisse Autosuggestion die Wahlen zu gewinnen, bestellte und bezahlte er bei einer österreichischen Tageszeitung Umfragen, die ihn im Voraus als glänzenden Wahlsieger prognostizierten. Weil Wähler den Erfolg bevorzugen, entwickeln solche geschönten Umfragen eine Eigendynamik, die dann bei den Wahlen tatsächlich mit zum Erfolg führt.

Im Unterschied zu Deutschland werden die Zeitungen in Österreich vom Staat zwar finanziell großzügig alimentiert, aber das ist selbst dort verboten. Gekaufte Umfragen sind auch dort genau der eine Schritt zu viel, der nicht mehr verziehen wird.

Nach kurzer Kanzler-Rochade mit einem willigen Diplomaten war Kurz politisch dann doch erst einmal am Ende. Bei einer letzten Pressekonferenz verabschiedete er sich freundlich von den vielen Journalisten, um dann noch zu sagen, dass er jetzt im Krankenhaus seine Frau abhole, die dort mit dem neugeborenen Kind auf ihn warte. Es gebe Wichtigeres als die Politik. Auch das ein selbstbewusster Abgang mit Charme. Stünde Frank-Walter Steinmeier nochmals neben dem jungen Mann, er müsste wohl abermals schmunzeln.

Und jetzt? Sebastian Kurz verabschiedet sich in die USA, so wie damals Karl-Theodor zu Guttenberg, als es für ihn in Deutschland nichts mehr zu gewinnen gab. Das Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Vom Tellerwäscher zum Millionär, so hieß es früher, offensichtlich gilt es immer noch – nicht nur für Tellerwäscher.

Sein neuer Arbeitgeber ist Peter Thiel, der als gebürtiger Frankfurter dort auf Augenhöhe mit Jeff Bezos oder Elon Musk sich Gedanken über die Zukunft macht. In seinem Buch „Zero to One“ schreibt der neue Arbeitgeber von Kurz: „Der Mensch unterscheidet sich von anderen Arten durch seine Fähigkeit, Wunder zu vollbringen. Wir nennen diese Wunder Technologie.“ Mit Recht sieht die „Süddeutsche Zeitung“ in einem solchen Glauben „an die Macht der Technologien“ einen „antidemokratischen Impuls“.

Zusammengefasst kann man sagen: Sebastian Kurz ist auf Kurs geblieben. Er will erfolgreich sein und die Mittel und Wege der Demokratie sind dabei eher störend.

Und die Zukunft? Sebastian Kurz wird ein spannendes Leben haben, in einer Welt, die es eigentlich gar nicht gibt. In einem Überfluss von Geld und Verrückt-Sein gegenüber so manchem Normalen des Alltags, was schaudern lässt. So plant die Firma „Space X“, die Elon Musk mit Peter Thiel betreibt, die Menschheit auf lange Sicht auf den Mars zu übersiedeln. In Österreich ermittelt mittlerweile die Justiz gegen Kurz, der Weg nach Amerika war von daher sinnvoll. Ob es auch noch die Flucht auf den Mars braucht, bleibt heute abzuwarten.

Und wir? Bleiben erstaunt zurück. Wie Zuschauer, die gerade ein neues Stück von William Shakespeare erlebt haben und zwischen „Mitleid und Furcht“, wie schon Gotthold Ephraim Lessing uns mahnt, zerrissen bleiben.

Sebastian Kurz werden wir immer mal wieder sehen. Bei Vorträgen, in Interviews, auf den Bühnen der Welt. Die Ungenauigkeiten im Umgang mit den bezahlten Umfragewerten werden kaum zu einer Gefängnisstrafe führen. Und wenn doch? Amerika liebt Typen wie Kurz – und der Mars vielleicht auch.

In Österreich bauen gerade die Landeshauptleute der Steiermark, von Vorarlberg und Tirol ihre alte Partei, die ÖVP, wieder auf. Das immerhin sieht man in der ZIB 2 – falls man sich dafür interessiert.

Straubinger Tagblatt vom 8. Januar 2022