Eine Frau und die Liebe zu ihrem Kind – Über das Buch „Willkommen und Lebewohl“ von Beatrice von Moreau

Eine Frau. Eine Frau liebt einen Mann. Endlich, nach langer Zeit, kommt das ersehnte Kind. Die Frau ist glücklich. Sie freut sich auf das Leben, das in ihr wächst. Alles ist gut.

Fast beiläufig geht die schwangere Frau mit ihrem Freund zu einem Routinetermin. Der sogenannte große Ultraschall. Alle Frauen, die schwanger sind, gehen dorthin. Was dann geschieht, ist aber die Ausnahme. Die Ärztin sieht die Bilder und weiß, dass das Kind nach der Geburt nicht leben wird können.

Beatrice von Moreau erzählt diese ihre Geschichte. Es ist die Geschichte von einer Frau, die plötzlich erfährt, dass das Leben, das in ihr wächst, nicht leben wird nach der Geburt. Und die sich aber dennoch entscheidet, das Leben, das sie in sich spürt, zu begleiten, bis es von selber geht. Eine liebende Mutter.

Eine Frau, die nicht bereit ist, auch nur einen Tag der Liebe, die sie in sich spürt, zu verschenken, abzugeben. Die Ärzte bieten es an: Auch nach dem dritten Monat sei es erlaubt, ein Kind, das nicht leben wird, im Mutterbauch nicht weiterzutragen. Aber die Frau sagt Nein. Es ist ihr Kind. Sie spürt es in sich und will mit ihm bleiben, solange das Kind das will.

Eine erstaunliche Geschichte. Eine Geschichte der Liebe und des Muts. Und was die Frau in diesen Monaten erlebt, ist sie bereit, zu erzählen. „Willkommen und Lebewohl. Eine Liebeserklärung an mein Sternenkind“ – das Kind wird nicht leben. Der Tag, an dem es zur Welt kommt, ist auch der Tag, an dem es sterben wird. Die Mutter weiß das und will es doch nicht wissen. Aber auf jeden Fall spielt es für sie keine Rolle. Weil heute ist heute – und morgen ist immer ungewiss.

Beatrice von Moreau hat diese ihre Geschichte aufgeschrieben. Auf Hunderten von Seiten erzählt sie, was sie erlebt. Eine Geschichte der Liebe mit einem ungeborenen Sohn. Timon wird sie ihn nennen – und Timon ist auch der Mensch, der ihr in ihrem Bauch erzählt, wer sie selbst ist. Geht das? Ein ungeborenes Kind erzählt der Mama, was ihre eigene Geschichte ist?

Als sie weiß, dass das Kind nicht leben wird, vertraut sie sich anderen Menschen an. Freunden. Ärzten. Therapeuten. Und keiner erklärt sie für verrückt. Alle verstehen, dass da Leben ist und Beziehung und Liebe. Die Mutter bleibt bei ihrem Sohn. Noch denkt sie, es ist ein Mädchen, so ungenau sind die Bilder aus ihrem Bauch. Und es gibt niemand, der auch nur den Hauch eines Zweifels in ihr säen könnte, dass das Kind bei ihr bleibt, solange es will. Was aber geschieht, ist fast ein Wunder. Eine Hebamme begleitet sie. Sie reibt sie immer wieder zärtlich ein, mit Ölen, die sie sorgfältig wählt, und mit der Zeit, die sie sich großzügig nimmt.

Die Frau liegt mit offenen Augen da und träumt von ihrem Kind. Aber das sind gar keine Träume, die Frau ist ja wach, sondern eher Bilder aus ihrem eigenen Unbewussten, die sie mit ihrem Kind verbinden. Bilder vom Leben, das in ihr ist und zu ihr spricht. „Ein Sonnenschein. Eine Frohnatur. Mit ganz viel Energie und Lebendigkeit. Sie hat am Anfang Quatsch gemacht und auf eine Wasseroberfläche gehauen, dass es nur so gespritzt hat … sprang herum, machte Saltos, hatte ein kurzes, graues Kleidchen an, eine rote Strumpfhose und halblange schwarze Haare …“

Eine Verrückte? Sicher auch. Alle Träume, alle Bilder, die aus unserem Unbewussten heraufsteigen, sind buchstäblich verrückt. Sie haben wenig zu tun mit unserer Alltagswirklichkeit, unserem Verstand, unserer Fähigkeit, alles zu verstehen und zu begründen. Sie künden von Wünschen und Sehnsüchten. Aber eben am Ende auch von uns selbst. Was in uns wirklich ist. Von dem, was unserer Alltagswirklichkeit verborgen bleibt.

Und wenn ein Kind im Schoß der Mama heranreift, erzählen die Träume von beiden. Von der Mutter und von dem Kind, das da lebt und das da ist. Was ist Wahrheit, was ist Sehnsucht? Am Ende spielt es keine Rolle. Das Kind lebt. Im Bauch der Mama. Und die Mama spürt es und lässt es leben in ihren Gedanken, in ihren Gefühlen – und es ist gar nicht abwegig, zu glauben, dass so manches, was die Mama so fühlt und erlebt, dann doch in ihrem Bauch so ganz wirklich geschieht. „Mir sagt sie immer wieder, ich solle nach oben in den Himmel schauen und dort nach ihr sehen, nicht nach unten. Ich erinnere mich, dass ich sie schon einmal im Himmel gesehen habe. Als Sternschnuppe. In einem der Kurse im Rahmen des Tantra-Jahrestrainings, als ich nachts nicht schlafen konnte, bin ich aufgestanden und nach draußen gegangen, um meinen Kinderwunsch in den Sternenhimmel zu schicken. Damals habe ich zwei Sternschnuppen gesehen.“

Aber natürlich sieht die Frau auch nach unten. Sie ist traurig. Ihr Kind wird sterben. Sie sieht die anderen werdenden Mütter. Ihre Kinder werden leben. „In meinen E-Mails hatte ich Fotos von der diesjährigen Berlinale vorgefunden. Auf einem der Fotos sah ich, wie jemand den dicken Bauch einer ebenfalls schwangeren Kollegin küsste. Der Neid schoss durch meinen ganzen Körper hindurch, als ich das sah. Warum ist sie glücklich und ich nicht? Warum darf sie ihr Kind haben und ich nicht?“

Aber die Frau ist standhaft. Es ist ihr Kind, das in ihr ist und das lebt – und am Ende vergleicht sie ihr Schicksal nicht mit anderen. Sie ist treu und sie bleibt gut. Die Monate vergehen – und immer intensiver wird die Beziehung der Frau mit ihrem Kind. Immer intensiver und farbiger werden die Bilder, die aus ihrem Unbewussten heraufsteigen, wenn sie in tranceähnlichen Zuständen Zugang findet zu ihrem Sohn. Sie künden von Abschied und Leben, von Sterben und Zukunft und sie verbinden die Frau immer tiefer mit ihrem Sohn. In ihr Tagebuch schreibt die Frau: „So viel Schönes, was du mir bringst. So viel Liebe darf ich spüren in mir und um mich. Und doch bin ich so traurig. So viel Reines, das du mir schenkst. So viel Güte, so viel Liebe, in mir und um mich herum. Und doch bin ich traurig. Traurig, weil ich dich nicht haben darf. Traurig, weil ich nicht weiß warum. Traurig, weil du mich an meine Grenzen bringst. Traurig, weil mich die Ohnmacht übermannt.“

Aber das entscheidende Wort bleibt die Liebe. Und die Frau erlebt in ihrem Innersten, dass das Kind sie lehrt, loszulassen. Schon tröstet ihr Kind sie selbst: „Weißt du, du musst mich eh loslassen, ganz gleich, wie es kommt. Mir ist es eigentlich egal, ob ich lebendig zur Welt komme oder nicht. Und auch für dich macht es keinen Unterschied. Denn du wirst mich von Anfang an loslassen müssen. Ich bin eine Draufgängerin und freiheitsliebend. Mein Motto ist: ganz oder gar nicht. Das heißt, wenn ich am Leben bleibe, möchte ich von Anfang an frei sein. Voll ins Leben rein. Das kann immer wieder meinen Tod bedeuten. Es kann sein, dass du mich dann als Kind oder als junge Erwachsene loslassen musst. Das sind die zwei Varianten. Entweder mich gleich loslassen oder dich daran gewöhnen, dass ich dich dein und mein ganzes Leben lang mit dem Loslassen konfrontiere.“ Die Geschichte einer Mutter. Die Geschichte jeder Mutter.

Ist das, was die Mutter da erlebt und hört, wirklich? Sind das nicht nur Fantasien, die aus ihrer tiefen Liebe und ihrer Sehnsucht herauskommen? Hat sie wirklich eine solch sprechende Beziehung zu ihrem ungeborenen Sohn? Der könnte längst sterben, das haben ihr die Ärzte gesagt. Noch nicht einmal das ist sicher, dass er am Tag seiner Geburt das Leben auf dieser Welt gleich wieder verlässt – und nicht vorher. Aber die Mutter hält ihn am Leben. Und ist so tief mit ihm verbunden, dass kein Mensch mehr weiß und sagen darf, was wahr ist und was nur erträumt und erhofft.

Und die Mutter entscheidet: Ich bleibe bei dir bis zum Schluss. „Und immer noch denke ich: Das Leben ist das höchste Gut. Nein, ist es nicht. Der Seele höchstes Gut ist nicht das Leben, sondern die Liebe.“ Der Tag der Geburt ist der Tag seines Sterbens. Noch im Bauch der Mutter nimmt der Sohn kurz vor dem ersten Blick auf die Welt seinen Abschied. Und doch: Die Mama liebt ihren Sohn und hält ihn in ihren Armen, als er nicht leben und nicht atmen kann. Die Ärzte hatten ihr das gesagt. Und jetzt ist es ihre Wirklichkeit. Die Mama aber ist froh über den Weg, den sie mit ihrem Kind über die Tage und Wochen gegangen ist. Sie ist stolz und auch glücklich, so traurig sie ist. Und sie schreibt: „Mein kleines Kind, mein Wunderschöner, du große Seele du. So wie der Wind entschwindest du und streichelst uns zugleich. Und wir, wir stehen fassungslos, weil du uns nun verlässt. Und dennoch wissen wir, dass du doch nie verloren bist. In unseren Herzen wohnst du weiter und warst immer darin, so fröhlich, lebendig und so heiter bleibst du uns ewig im Sinn.“

Die Geschichte einer Liebe. Die Geschichte einer großen Liebe. Und die anderen? Halten sie die Mama für verrückt? Die Freunde, die Familie, die Ärzte. Kein Einziger. Alle bleiben bei ihr und lieben sie selbst für ihre Liebe, die sie so aufrecht durchlebt.

Und die Mama notiert in ihr Buch, das sie schreibt: „Ich hatte gesehen, dass auch ein viel zu kurzes Leben solche Unmengen an Liebe und Bewegung, Erhellung und Erkenntnis auslösen konnte. Nichts ist umsonst. Nichts geschieht einfach so. Und in allem steckt ein Sinn. Das weiß ich heute.“

Das Buch

Beatrice von Moreau, Willkommen und Lebewohl. Eine Liebeserklärung an mein Sternenkind, Verlag Hörchen, Berlin 2020. Hardcover, 308 Seiten, 26,80 Euro.

Straubinger Tagblatt vom 24. Dezember 2021