Weshalb wählen Leute Donald Trump? Weshalb wählten Leute Adolf Hitler? Weshalb gibt es immer wieder Anführer oder eben „Führer“, die ein Land regieren, obwohl sie erkennbar ein Problem haben oder sogar sind? Trump ist nicht Hitler, natürlich, aber eines erkennen Psychologen und Philosophen als bei beiden gemeinsam. Menschen, die sie wählen, haben das Bedürfnis, an etwas zu glauben, das größer ist als sie selbst.
Selbst zweit- oder drittklassigen Führungsfiguren schlägt deshalb heute weltweit immer häufiger eine Welle der Sympathie entgegen. Herbert Kickl aus Österreich ist eine Witzfigur; aber er führt sich auf, als wäre er eine potente Führungsfigur – und wird am Ende sogar gewählt. Marine Le Pen in Frankreich zelebriert seit Jahren erfolgreich ihren Personenkult und der schreckliche Viktor Orbán in Ungarn hat immer noch zahlreiche Sympathisanten im eigenen Land und kann also weiterregieren. Zweitklassiges und drittklassiges politisches Personal, das nicht mit kluger Politik und Argumenten besticht, sondern einer Haltung, die vorgeblich die zügige Durchsetzung von Maßnahmen und die schnelle Lösung von Konflikten verspricht. Am ersten Tag seiner Amtsgeschäfte setzt sich Donald Trump in diesem Sinn – übertragen für ein Millionenpublikum – vor ein ganzes Paket von Unterschriftsmappen und unterschreibt buchstäblich alles, was ihm so unter die Feder kommt.
Auf diesem Niveau von Politik ist in dieser Woche dann endlich auch Friedrich Merz angekommen. Sein Handeln in Fragen von Ausländer- und Asylpolitik soll zeigen: Hier bin ich – und so wie bisher geht es jetzt mit mir nicht mehr weiter. Es wurde in diesen Tagen oft und richtig gesagt: Die Vorschläge von Merz sind weder zielführend noch taugen sie für ein sinnhaftes Gesetz. Aber darum geht es ja eben nicht. Merz zielt auf die Unzufriedenen, die schon lange sagen: So kann es nicht weitergehen! Und so wird auch mit Fug und Recht kritisiert, dass sich Friedrich Merz damit in eine Reihe mit den Politikern der AfD stellt. Denn die sind längst auf diesem Niveau angelangt. Beteuerungen, dass man ja nichts mit „denen da“ plane, helfen da nicht weiter. Der Ton von den Unionsparteien ist neu gesetzt. Die Botschaft, wie die „Süddeutsche Zeitung“ richtig schreibt: „Deutschland zuerst! Deshalb klafft nun dieses kleine Loch in der Brandmauer, und herausschaut eine bläuliche AfD-Hand.“
Friedrich Merz wird aller Voraussicht nach, obwohl seine Defizite so noch deutlicher sichtbar geworden sind, die Bundestagswahl gewinnen. Mit denen von der AfD wird er eine politische Mehrheit im Bundestag haben, ganz gleich, wer aus der politischen Mitte Koalitionspartner sein soll. Merz’ Antipode Olaf Scholz ist das Gegenmodell einer Führungsfigur – und die drei Jahre einer deutlich mangelnden Führungskultur haben beim Volk merklich Spuren hinterlassen. Robert Habeck dagegen mimt zudem eher eine intellektuelle Führungsfigur, als dass er das wirklich wäre. Er ist wenig überzeugend. Als Wirtschaftsminister war er zudem erkennbar nicht gut, auch wenn gerade am Anfang der Legislaturperiode die Energiesicherheit durch seine Leistung gewährleistet war. Das bleibt als Verdienst, aber mehr war nicht!
Die Wählerinnen und Wähler vergessen vor dem Hintergrund der stark auf wenige Personen zentrierten Berichterstattung in den Medien auch allzu leicht, dass sie gar nicht einen Kanzler wählen, sondern Abgeordnete, die das Parlament bilden und die Herzkammer der Demokratie sind. Geblickt wird allzu stark auf den „einen“ oder die „eine“, von Alice Weidel bis Friedrich Merz. Parteiprogramme sind heutzutage sowieso nur Schall und Rauch und buchstäblich in den Wind geschrieben. Formelhafte Floskeln, die das Papier kaum wert sind, auf dem sie aufgeschrieben sind. Und die Abgeordneten der Union im Bundestag folgen ihrem neuen Anführer – wie bei konservativen Parteien allzu oft üblich – sowieso stillschweigend im gemeinsamen Gehorsam vor der Wahl in knapp vier Wochen tatsächlich durch die Bank! So bleiben die Gesten, die Auftritte, das öffentlichkeitswirksame Sprechen des Vorsitzenden der CDU, die bei den Wählern wirken sollen. An den Stammtischen wird Friedrich Merz so schon Beifall finden, auch wenn am Wahlsonntag von dorther jetzt erst recht eher die AfD gewählt wird.
In Österreich war vor der Nationalratswahl nicht vorstellbar, dass die ÖVP mit der rechtsradikalen FPÖ unter einem Kanzler Herbert Kickl mitregieren würde. Ein solches Szenarium ist bei dieser Bundestagswahl mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit noch auszuschließen. Aber Friedrich Merz hat den Abstand zur AfD auf einen Schlag spürbar verringert. Er hat deren Denken und Sprechen in dieser Woche hoffähiger gemacht. Der Demokratie und dem friedlichen Zusammenleben all derer in diesem Land, die guten Willens sind, hat Merz mit seinem aggressiv-polarisierenden Auftritt in dieser Woche wirklich keinen Dienst erwiesen!
Immerhin beide Kirchen haben dieses Mal beizeiten den Mund aufgebracht und lautstark Kritik geübt. Aber dass Deutschland in den nächsten vier Jahren von einem polternden Politrentner repräsentiert sein wird, ist mehr als traurig – und am Ende auch gefährlich. Man mag sich heute noch gar nicht recht vorstellen, in welcher politischen Atmosphäre dieses wunderbare Land in den nächsten vier Jahren leben wird. Und das Schlimme ist: Danach kann es, wenn sich die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes nicht endlich ihres eigenen Verstandes bedienen, statt sich politisch verführen zu lassen, nochmals weiter nach unten gehen.
Straubinger Tagblatt vom 31. Januar 2025