Guten Morgen, Herr Caruso!
Guten Morgen, mein Freund, was kann ich tun für Sie?
Herr Caruso, ich habe heute ein ganz tief sitzendes psychologisches Thema, ich möchte sogar sagen Problem, mit Ihnen zu besprechen!
Immer raus damit!
Sie kennen doch sicher auch den Künstler und Musiker Haindling?
Natürlich, der ist großartig, ich bewundere ihn, der ist ein Genie.
Ja, sicher, seh’ ich auch so! Ich bewundere ihn auch, er hat übrigens zum 175-jährigen Jubiläum unseres Verlages bei der Festveranstaltung für uns gespielt!
Aber das ist doch kein Problem, das ist doch eine Freude!
….jaja, schon!
Oder hat er „Schau hi, da kimmt a Depp daher“ gespielt und es haben sich zu viele Gäste angesprochen gefühlt…?
Nein, das wollte er nicht spielen, ich hätte es gewollt, aber er hatte Angst, dass unser Ehrengast, der Bayerische Ministerpräsident Markus Söder, das auf sich bezieht – und wollte das also nicht spielen!
Aber bei dem…
Nein, Caruso, ich verbitte mir erstens Ihre Frechheiten und zweitens hat sich Markus Söder sehr verwandelt in letzter Zeit…
Tatsächlich?
Ja, er wandelt immer stärker auf den Spuren König Ludwig II. Er sieht nicht nur immer mehr so aus, sondern er verhält sich auch so – und nach der Bundestagswahl will er mitsamt seinem gesamten bayerischen Kabinett nach Neuschwanstein umziehen!
Und das ist also Ihr psychologisches Problem?
Nein, natürlich nicht, das ist etwas ganz Anderes! Ich erzähle es Ihnen jetzt: In einem Interview aus Anlass seines 80. Geburtstags hat Haindling vor ein paar Wochen einen sehr persönlichen Satz gesagt, der mir bis heute zu denken gibt.
Und der wäre?
Auf die Frage, ob das Alter ihn verändert habe, antwortet er wörtlich: „Die Ideen lassen eben bei einem Künstler, das ist ja das Gute, nicht aus. Dadurch bleibt man eigentlich immer so, wie man meint, dass man war.“
Und wo ist da das Problem?
Ja, wenn man meint, dass man so und so ist… dann ist man ja gar nicht so, wie man ist, sondern nur so, wie man meint, dass man ist… und dann stellt sich mir am Ende die Frage: Meinen wir Menschen also nur, dass wir sind, wie wir sind… und zum Schluss sind wir das gar nicht und sind vielleicht ganz anders?
Oh, mein Freund, das ist eine ganz schwierige Frage! Ich hätte mir gewünscht, dass Sie sich die niemals stellen!
Aber wenn ich sie mir nun stelle, dann brauche ich doch Antwort – und eben am besten von Ihnen, Herr Caruso!
Also schauen Sie: Es gibt einen Schweizer Schriftsteller, der erzählt von einem Mann, der ein Leben lang denkt, dass er ein Pechvogel sei… und plötzlich gewinnt der im Lotto eine Million Schweizer Franken…
Und was ist dann mit ihm passiert?
Er war todunglücklich… weil das passte nun wirklich nicht in sein Selbstbild!
Ja, aber wenn er dann todunglücklich war… dann hat sein Selbstbild ja gar keinen Schaden genommen, er blieb ein Pechvogel, gerade weil er eine Million Franken im Lotto gewonnen hatte!
Ja, das stimmt auch wieder!
Aber ist denn dann jedes Bild, das wir uns von uns machen, nur die Bestätigung eines Vorurteils, das wir von uns selber haben?
Auf jeden Fall sollten wir uns, das können Sie doch jetzt verstehen, kein zu exaktes Bild von uns selber machen! Denn dann sperrt man sich selber am Ende ja in diesem Bild ein, genauso wie der Unglücksrabe aus der Schweiz!
Aber dann hat ja der Haindling mit seinem philosophischen Satz so richtig recht!
Natürlich! Und vor allem sagt er ja auch, dass sich sein Selbstbild im Alter nicht völlig verändert hat. Er ist dann doch im Innersten derselbe Haindling geblieben! Sein Selbstbild hat also schon eine gewisse Kontinuität und Identität! Und seine Vorstellung, wer er ist, das kann auch nicht nur Fantasie sein – weil sonst wär’ er auf dieser wirklichen Welt niemals so wirklich erfolgreich geworden. Wer nur Fantasien hat, der kommt auf dieser Welt nicht weit, auch nicht als Künstler, das müssen Sie schon wissen!
Herr Caruso, ich danke Ihnen sehr für dieses Gespräch!
Straubinger Tagblatt vom 1. Februar 2025