Die Träume der Regierung – Bei kritischer Betrachtung scheinen die Wünsche und Vorstellungen mancher Mitglieder des Bundeskabinetts aus einer verzerrten Wirklichkeit entsprungen. Ein Essay

In Joseph Roths Roman „Hotel Savoy“ gibt es die wunderbare Figur eines „Lotterieträumers“. Der Mann gibt vor, dass er die richtigen Zahlen beim Spiel im Schlafen träumt. Und weil er tatsächlich schon ab und an die richtigen Zahlen vorausgesagt hat, glauben ihm die Bewohner des Hotels Savoy in Wien. Sie investieren in seine Träume – und wenn er also arbeiten geht, sagt er, dass er sich jetzt schlafen lege, um die richtigen Zahlen zu träumen. Bei unserer Bundesregierung ist es wenig anders.

Wenn der Haushalt geplant wird, dann geben die zuständigen Minister ihre erträumten Zahlen beim Kassier Christian Lindner (FDP) ab. Wie die Losverkäuferin an der Kasse des Tante-Emma-Ladens sitzt er da und prüft die abgegebenen Scheine. Welche zählen? Wer hat die richtigen Zahlen gefunden? Offensichtlich wieder einmal niemand! Alle abgegebenen Zahlen der Minister sind zu hoch, sagt der Kassier – und zudem, Geld sei sowieso viel zu wenig in der Kasse. Neue Zahlen bitte! Am besten den Lotterieträumer fragen!

Jetzt passt zusammen, was vorher unvorstellbar war

Überhaupt die Träume der Regierung: Geträumt wird davon, dass es nur noch Elektroautos gibt, am besten mit einer Reichweite bis in die Toskana, damit es an den nur erträumten Ladestationen zu keinen Staus kommt – wegen zu langer Ladezeit. Dass immer der Wind weht und die Sonne scheint, immerhin ist das kein Traum, der Klimawandel könnte es möglich machen. Wir steigen aus allen Energieformen fast gleichzeitig aus, sagt die neue Regierung. Kernkraft, Braun- und Steinkohle. Das geht dann am Ende schon. Auch in der Wirklichkeit, wie wir sie sehen! Öl und Benzin? Weg mit dem Teufelszeug. Und das alles in Traumgeschwindigkeit.

Getagt wird in traumhaften Märchenschlössern mit schönen Bildern. Gestritten wird nicht, jedenfalls zeigen die Bilder der Fotografen traumhafte Einigkeit.

Und der Kassier? Fast ein Kaiser. Traumhochzeit auf Sylt! Die Kirche weiß, die Braut ganz weiß, der Porsche auch. Bilder der Unschuld. Und einen Prediger gab‘s auch. Kein Priester in Weiß, das wäre dann doch zu viel, wenn man Gott nur vom Hören-Sagen kennt, sondern ein Philosoph, der seit Jahren erzählt, dass der christliche Glaube eher ein Traum wäre. Passt also doch!

Und der Kanzler? Wird er gefragt, was er denn mit den feinen Bankiers aus Hamburg vor Jahren gesprochen habe – ein Traum war‘s, sagt er, an den er sich nicht mehr erinnere. Typisch für viele Träume, vor allem für die ganz bedeutungslosen! Überhaupt sein Wahlsieg: Ich trete an, sagte er, und ich will gewinnen! Träum‘ weiter, dachten die anderen und lachten. Am Ende der Sieg gegen den Traumtänzer aus Nordrhein-Westfalen. Jetzt bitte nicht aufwachen, dachte Träumer Scholz und versammelte seine Traumtruppe um sich.

Wie im Traum passte jetzt plötzlich zusammen, was vorher noch unvorstellbar gewesen war. Die Autopartei des Porschefahrers mit den Sandalenkriegern der ehemaligen Friedensbewegung. Traumhaft!

Und die Außenministerin fliegt um die Welt. Neue Bilder, neue Wörter: eine moralische Außenpolitik; eine feministische Außenpolitik. Und Panzer für die ganze Welt der Braven und Guten. Es gibt zwar keine, und die, die es gibt, können nicht fahren, aber in Traumgeschwindigkeit wird das jetzt geändert. Gleichzeitig wird geliefert nach Osten und zuhause die Heimatfront gesichert. Endlich: Traumhafte Aktienkurse bei Rüstungsfirmen. Traumgewinne. Echte Panzer, erträumte Panzer, versprochene Panzer. Der ganze Wirbelwind des Durcheinanders der vielen Bilder, wie sie unsortiert in den Träumen erscheinen und wieder verschwinden. Das steigert die Fantasien und die Aktienkurse.

Und Amerika? Endlich wieder unser Freund! Vom Pazifik zurück zum Atlantik. Amerika hat wieder Freude an Europa, Interesse an uns. Hurra! Die Atlantikbrücke lebt, sagt der CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen, der sich jeden Tag vor dem Spiegel kleidet wie die Märchenprinzessin. Das ist kein Traum, sagt er, die USA sind unsere Verbündeten. Vietnam, Nicaragua oder der Irak, das waren nur Alpträume. Auch Donald Trump. Ein echter Alptraum! Aber jetzt ist wieder alles gut, so meint er.

Und Macron, der plötzlich mahnt vor zu viel Nähe zu den manchmal doch etwas schwierigen Freunden auf der anderen Seite des Ozeans? Das könnte gefährlich werden, so warnt er. Ein Spinner, ein Träumer, der lebt in seiner eigenen französischen Welt, so rufen die, die ihn jetzt laut kritisieren. Allen voran unser niederbayerischer Freund Manfred Weber (CSU). Der wenigstens hatte eigentlich die richtigen Zahlen bei der Europawahl. Der hätte keinen Lotterieträumer gebraucht, weil – sein Wahlsieg war echt! Nur die französische eins fiel eben nicht. Wie beim Glückspiel – wenn man auf eine Zahlenkombination setzt, und alles stimmt am Ende, nur eine Zahl ganz zum Schluss kommt halt nicht. Das war die aus Frankreich. Die kam nicht. Und seitdem ist jeder Schritt, den Macron macht, für unseren Freund Manfred Weber falsch. Nachvollziehbar.

Nachdenken vor dem bösen Erwachen

Dabei ist es gar kein Traum, dass es in der Gegend von Taiwan gefährlich werden könnte. Da sollte man sich vielleicht wirklich besser abseits halten. Wenigstens drüber nachdenken sollte man dürfen, bevor man aus allen Träumen böse erwacht.

So träumen wir also weiter. Die Bürger von mehr Geld für Gesundheit, Pflege und Alter. Die Regierenden von der Wirklichkeit, wie sie am besten sein sollte. Und alle Politiker miteinander von den Prozentzahlen, die sie bei den nächsten Wahlen erreichen wollen. Und die wirkliche Welt selber? Wird uns schon nicht einholen!

Straubinger Tagblatt vom 15. April 2023