Von Turm- und Sandbauten – Der FC Bayern will hoch hinaus, Hertha BSC hat keinen Boden mehr unter den Füßen: Manchmal hilft ein Blick in die Bibel, um das Geschäft Profifußball zu erklären

Ob es Gott gibt – oder eben nicht –, das wird man mit der Bibel nicht beweisen können. Aber: Ein großartiges Weisheitsbuch ist sie allemal. Was sind das nicht für lebensechte Figuren, die uns begegnen. Faule Verwalter, die sich nicht um den Weinberg des Herren kümmern, Frauen, die sich von der Leidenschaft haben hinreißen lassen. Zöllner, denen es nur um das Geld geht, oder aber auch Menschen, die ihr ganzes Talent vergraben, weil die Lebensangst halt so furchtbar groß ist. Nicht zu vergessen das Alte Testament mit seinen unglaublichen Geschichten, die fast märchenhaft wirken.

Einen Turm gibt es da, der bis zum Himmel gebaut werden soll, was aber am Ende doch nicht gelingt. Türme, die zum Himmel hinaufgebaut werden, sind halt Gottes Sache, nicht die des Menschen. Der FC Bayern hat die Geschichte vom Turmbau zu Babel offensichtlich nicht bis zum Ende gelesen. Nur ein Titel sei für Bayern auf Dauer zu wenig, meinten die Verantwortlichen am Ende der vergangenen Saison, als eben nur die Deutsche Meisterschaft herauskam. Die Mannschaft feierte gelangweilt auf dem Balkon des Rathauses, als wäre man bei einem Kindergeburtstag eingeladen, dessen Besuch man sich lieber erspart hätte. Und gespottet wurde über den VfB Stuttgart, der seinen Nicht-Abstieg – besiegelt mit einem Tor in buchstäblich letzter Minute – tatsächlich so feierte, als habe man die Meisterschaft gewonnen. Dabei waren die doch „nur“ nicht abgestiegen. Der spirituell geschulte Beobachter fragte sich schon damals, ob sich solche Haltung nicht rächen würde.

Schon das Motto des Klubs „Mia san mia“ ist eigentlich eine Gegenagenda zu jeder Form von Demut. „Der Andere als Anderer kommt bewusst nicht in den Blick“, so würde der berühmte französische Psychoanalytiker Jacques Lacan dieses Motto des Vereins deuten. Aber der FC Bayern ist halt der FC Bayern, so werden Freunde des Klubs antworten – ganz falsch ist das auch nicht.Dass Bayern nicht Deutscher Meister wird, falls es überhaupt jemals geschieht, das wird dann auch die Ausnahme bleiben, denn – um im Bilde der Bibel zu bleiben: Uli Hoeneß hat über die Jahre nicht auf Sand gebaut, sondern auf festen Felsengrund.

Etwas anders schaut das in Berlin aus. Lars Windhorst heißt der Mann, der mit der Hertha einen Top-Klub bauen wollte. „Windhauch ist alles“, schreibt schon das Alte Testament – Windhorst hat daraus ein Lebensprogramm gemacht.Fast eine halbe Milliarde Euro investierte der scheinbar überbegabte Kaufmann, der schon als Kind Helmut Kohl auf Auslandreisen begleiten durfte. Um sein Scheitern zu erklären, braucht es allerdings weder Neues noch Altes Testament. Da reicht die Fußballweisheit: „Geld schießt keine Tore.“

Was man aber wissen muss: Teure neue Spieler, die mit viel Geld geholt werden, bedeuten, dass die Spieler, die schon da sind, auch mehr Geld wollen. Viel mehr Geld! Es ist ja jetzt offensichtlich da, sagen ihre Agenten. Und dann ist eine halbe Milliarde schnell weg. Ganz schnell. Im Regelfall spielt dann die ganze neue Mannschaft mit teuren neuen und plötzlich auch teuren alten Spielern gleich schlecht. Und es gibt Streit, das ganze Programm, das bis ins Detail auf den Sportseiten der Zeitungen analysiert wird.

Das liebe Geld, in der Bibel ist reichlich die Rede davon! Aber doch: Auch Windhorst ist ein Erklärungsfall von biblischer Dimension: Eigentlich hat er gar kein Geld, erst recht keine Milliarden, sondern er hat Projekte im vielfachen Millionenbereich. Und dafür gibt es Geld von anderen. Von Banken, anderen Kaufleuten oder auch Freunden. Jedenfalls solche, die sich für seine Freunde halten. Wie ein Jongleur, der 25 bunte Bälle gleichzeitig in der Luft hält, balanciert Windhorst die Projekte, die eines Tages schon Geld bringen werden. Alles wirbelt, ist bunt, und wichtig ist vor allem, dass vor lauter Bällen niemand merkt, dass man längst keinen Boden mehr unter den Füßen hat.

Welches Geld wo welche Lücken schließt, das bleiben Geheimnisse von biblischem Ausmaß. Ein wenig Geld hat Windhorst für den Verkauf seiner Anteile an Hertha BSC Berlin immerhin noch bekommen, ein paar hundert Millionen hat er aber verloren.Ein Wunder des Verschwindens im Gegensatz zur Wundersamen Brotvermehrung am See Genezareth, bei der keiner weiß, wo all die Fische und Brote herkommen, die eine große Gesellschaft am Ende wirklich satt machen. Bei Windhorst wird aber wenigstens sichtbar, wo all das Geld ist.

Das fehlt bei den Menschen, die sich im Schweiße ihres Angesichts täglich bemühen, mit ihren Familien über die Runden zu kommen: Es wirbelt irgendwie als Hoffnungsfunken auf den ganz großen Geldregen durch die Luft – und Leute wie Lars Windhorst sind beim Jonglieren mit den Millionen immer so flüssig, dass es für sie für ein ganz süßes Leben überall auf der Welt, wo sie erster Klasse unterwegs sind, reicht. Sind sie am Ende glücklich? Wenn wir uns an die Texte der Bibel halten, eher nicht. Sie sind reich und unglücklich, so jedenfalls beschreiben es die Texte der Evangelisten.

Immerhin beim FC Bayern, da gibt es neue Hoffnung. In der Sendung „Blickpunkt Sport“ antwortete der bekannte Fußballtrainer Felix Magath, der mit den Münchnern zweimal das Double holte (2005, 2006), ehe er 2007 beurlaubt wurde, auf die Frage, welchen Trainer die Mannschaft jetzt brauche: „Genau so einen wie mich!“ Übersetzt ins Deutsche: „Mich!“ Und wir sehen sie schon, die Spieler des FC Bayern, wie sie die Medizinbälle auf den Olympiaberg schleppen und bei frühlingshaften Temperaturen durch den Kleinhesseloher See schwimmen, um Kraft zu tanken. Eher ein alttestamentarisches Trainingsprogramm – wie immer bei Felix Magath. Aber manchmal geht’s halt nicht anders!

Straubinger Tagblatt vom 29.April 2023