Die beglückende Heimat in uns selbst

Der Münchner Jesuit Michael Bordt hat ein erhellendes Buch über die Sehnsucht geschrieben

Im Zentrum vieler Wissenschaften steht der Begriff des Begehrens. So geht es in der Lehre von der Betriebswirtschaft primär um die Frage, wie Märkte erkannt und organisiert werden können: wie also die Bedürfnisse der Menschen so abgeholt werden können, dass am Ende Unternehmen zielgerichtet diese Bedürfnisse befriedigen und mit dieser organisierten Form der Bedürfnisbefriedigung Arbeitsplätze schaffen und Gewinne machen können.

Auch in der Psychologie geht es primär um den Begriff des Begehrens. Es war der französische Theoretiker der Psychoanalyse Jacques Lacan, der herausgearbeitet hat, dass es das Begehren der Menschen ist, das sie vor allem als Mann und Frau immer wieder neu zueinandertreibt und damit die Dynamik des Lebens bestimmt. Nach Lacan muss jeder Mensch immer wieder aufs Neue begehren, um dann nach der Erfüllung seines Begehrens traurig festzustellen, dass das Spiel des Begehrens schon wieder von vorne beginnt. Also auch ein Hamsterrad, so sehr das Begehren und seine Erfüllung auch beglücken mögen.

An diesem Punkt der Geistesgeschichte setzt jetzt ein neuer kleiner Band des bekannten Münchner Jesuiten Michael Bordt an, der unserer Unzufriedenheit in der Alltagswelt nachspürt und hinter dem Begriff des Begehrens einen ganz anderen Begriff herausarbeitet: den der Sehnsucht. „Ihre und unsere Sehnsucht“, so schreibt er, „ist verwandt mit unserem Verlangen, unserem Begehren, unserem Wollen und unseren Wünschen. Dabei gibt es allerdings einen interessanten Unterschied. Wenn wir das, was wir begehren oder wünschen, erst einmal bekommen haben, erlischt es, so wie wir nicht mehr hungrig sind, wenn wir ausreichend gegessen haben. Wenn wir aber das Ziel unserer Sehnsucht erreicht haben, dann erlischt sie damit nicht. Das Ziel der Sehnsucht zu erreichen ist wie Öl, das man in die Flammen gießt: Es treibt die Sehnsucht nur noch mehr an. Für einen beglückenden Moment mag sie zur Ruhe kommen, aber nur, um sich danach umso heftiger zu melden.“

Eigentlich ist Sucht bekanntermaßen etwas Schlechtes, wir versuchen, sie zu vermeiden. Sie führt uns in Abhängigkeiten und Abgründe. Mit der Sehnsucht aber, so Bordt, verhält es sich anders. Sie sei der Urgrund unseres Lebens in dieser Welt, und nur wer sie zulasse, der vermöge sich als Mensch dorthin zu entwickeln, wozu er im Innersten aufgerufen sei.

Michael Bordt ist als Jesuit zwar Christ und steht so im Transzendenzbezug auf Gott hin, aber sein Büchlein handelt vor allem von der Sehnsucht der Menschen, wie er sie vorfindet, und der Möglichkeit, ihr in allen möglichen Formen der Meditation zu begegnen. Oder auch in Gesprächen oder sogar im Schweigen. Bei Spaziergängen oder dem Blick aus dem Fenster im Winter auf den leise fallenden Schnee. Er will gerade nicht uns beredt von Gott überzeugen, sondern er geht auf den Menschen zu, wie er von sich her fühlt, begehrt und sich sehnt. Es geht ihm darum, dass wir „ein immer feineres Gespür für uns selbst“ entwickeln, es nicht nur „anderen Menschen rechtmachen“ wollen, uns also bloß in der Außenwelt des alltäglichen Lebens verheddern. Es geht ihm darum, dass wir unser Leben gerade im Alltag besser erleben und erspüren können. Denn die „Grenze zwischen profanen Alltagserfahrungen und tiefen spirituellen Erlebnissen“ bleibe immer unscharf.

Sein schönes Resümee am Ende des Buches lautet: „Den Versuch zu wagen, sein Leben immer umfassender von der spirituellen Identität her zu verstehen und zu führen, zieht interessante Konsequenzen nach sich. Wenn wir wissen, dass unsere Sehnsucht auf eine innere Heimat zielt, dann werden wir unempfänglicher gegenüber den Versuchen der Werbe- und Marketingindustrie, uns glauben zu machen, unser Glück hinge an unserem Lifestyle und Konsumverhalten.“

Michael Bordt SJ: Die Kunst, unserer Sehnsucht zu folgen. Spiritualität in Zeiten des Umbruchs. Elisabeth Sandmann Verlag, München, 128 Seiten, 16 Euro.

Straubinger Tagblatt vom 12. September 2020