Ukraine-Krise – Waffen sind der falsche Weg

Lange Jahre war er außenpolitischer Berater von Angela Merkel. Ein Diplomat, der die Welt gesehen und bereist hat. Bei einem Abendessen im kleinen Kreis wird Christoph Heusgen, der in Zukunft die Münchner Sicherheitskonferenz leiten wird, vor ein paar Wochen von einem Gast gefragt: „Was würde denn passieren, wenn ein wohlgesinnter europäischer Spitzenpolitiker jede Woche einmal zu Wladimir Putin nach Moskau reiste, um dort um Vertrauen zu werben und die Beziehungen zum Westen nachhaltig zu verbessern?“ Putin sei unveränderbar, antwortete der Diplomat wörtlich, er kenne nur seinen eigenen Willen, niemand könne Putin auch nur einen Millimeter von seinem Weg abbringen.

Ulrich Wilhelm, lange Jahre engster Berater Merkels, erzählte schon vor Jahren, dass ein eiskalter Windhauch durch den Raum gehe, wenn sich die Tür öffne und Putin ein Zimmer betrete. Ist jeder Versuch also, auf den russischen Präsidenten zuzugehen und mit Sprache und Wohlwollen auf ihn einzuwirken, am Ende sinnlos? Sind alle politischen Verstehensversuche, die von der Vernunft her begreifen wollen, weshalb er sein Geschäft so hochgradig aggressiv betreibt, vergeblich, weil in Moskau doch nur ein eiskalter Narziss sitzt, dessen Hunger nach sich selbst und nach Rück-eroberung des alten sowjetischen Imperiums mit nichts zu befriedigen ist? Der alle Grenzen verschieben und verändern will und dem so nicht Einhalt zu gebieten ist?

In einem langen Gespräch, das das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ mit drei engen Wegbegleiterinnen des russischen Präsidenten führte und in dieser Woche publizierte, entsteht dann doch ein etwas differenzierteres Bild. Nina Chruschtschowa, immerhin Enkelin des ehemaligen sowjetischen Staatschefs Nikita Chruschtschow, die heute in New York Politik lehrt, sagt: „Eines hat sich in den vergangenen 20 Jahren immer wieder gezeigt … Putin ist ein kalkulierender, vorsichtiger Spieler. Er nimmt nicht mehr in den Mund, als er schlucken kann. Und meiner Meinung nach glaubt er nicht, dass er die Ukraine schlucken kann.“ Auch dass Putin vollkommen gefühllos sei, streitet sie ab. Auf die Frage, wie Putin über Deutschland denke: „Er hat es geliebt. Er hat Gerhard Schröder geliebt.“ Vor allem die konfrontative Haltung von Angela Merkel aber habe diese Chance auf eine spezielle Beziehung verändert: „Er ist ein kleiner Mann, besonders was seine Vorstellungen und Ideen angeht. Jetzt fühlt er sich betrogen. Vor allem nach der Sache mit Alexej Nawalny.“ Nachdem sich Merkel in Berlin, als der Regimekritiker dort im Krankenhaus nach seiner Vergiftung gepflegt wurde, öffentlich und ostentativ auf die Seite des russischen Intimfeindes von Putin gestellt habe, sei für den russischen Präsidenten die Sache mit Merkel und einer besonderen Beziehung zu Deutschland erledigt gewesen.

Natürlich hatte die deutsche Kanzlerin in der Sache recht, aber war das klug, sich mit der Moral so überlegen zu positionieren? War es klug von Barack Obama, Russland eine bedeutungslose Regionalmacht zu nennen? Und ist es heute klug, mit den idealistischen Formeln von Freiheit und Selbstbestimmung für die Ukraine so lautstark zu argumentieren, wo doch der angesprochene Gegner, der auch noch für sich reklamiert, dass er sich auch selbst angegriffen fühle, eher von den Begriffen Selbstwert und Selbstwertgefühl her denkt und da wohl auch eher ansprechbar ist? Die im „Spiegel“ interviewten Wissenschaftlerinnen machen im Kern bei Wladimir Putin eine narzisstische Verletzung aus, die von der verlorenen Größe des alten Sowjet-Imperiums herrühre und die er in vielfacher Weise zu kompensieren versuche. Wie aber damit umgehen?

In einem großen Interview mit unserer Redaktion meinte Horst Teltschik, der ehemalige außenpolitische Berater von Helmut Kohl, er als Angela Merkel hätte den vorherigen Kanzler Gerhard Schröder jede Woche als Sonderbeauftragten für die deutsch-russischen Beziehungen nach Moskau fliegen lassen. Das wäre klug gewesen. Und heute?

Immer mehr Waffen in die Ukraine zu liefern, wie es manche Länder bereits tun, ist sicher der ganz falsche Weg. Stärke haben und zeigen ist das eine. Militärische Eskalation und Gewalt das andere – und das ganz Falsche. Für das Grenzgebiet der Ukraine einen weltweiten Flächenbrand riskieren?

Es war in dieser Woche schon bemerkenswert, dass der ehemalige Generalinspekteur der Bundeswehr Harald Kujat sich vor den entlassenen Marineadmiral stellte, der zum falschen Zeitpunkt und am falschen Ort vor laufenden Kameras die richtige Botschaft hatte. Der ehemalige General Kujat sagt: „Ist der Zweite Weltkrieg schon zu lange her, dass wir vergessen haben, wie schlimm Krieg für die Menschen ist?“ Den Konflikt im Grenzgebiet der Ukraine mit Waffenlieferungen zu vertiefen, ist selbst ein Verbrechen. Dass die Regierung der Ukraine das lautstark einfordert, führt sie weg von der Idee Europas, wie wir sie haben.

Überhaupt die Nato und die USA! War das in den letzten Jahrzehnten wirklich immer das Wertebündnis, das sich auf der Basis von Werten und Grundrechten vom Warschauer Pakt unterschied? Hier die Guten, dort die Bösen? Was haben die USA über die Jahrzehnte nicht alles in Mittel- und Südamerika angestellt. Dann der sinnlose Irakkrieg zusammen mit Großbritannien, von Vietnam und den Gräueln dort ganz zu schweigen. Richard Nixon – eigentlich ein Kriegsverbrecher, aber am Ende mit dem Friedensnobelpreis geehrt.

Wie kann eine Welt der Zukunft aussehen, in der wir in Frieden leben können? Der Spitzendiplomat Christoph Heusgen hat die Antwort, dass die Länder in der ganzen Welt, die für Demokratie, Freiheit und Frieden stehen, sich in einem Netzwerk verbinden müssen.

Das führt weg von alten Mustern und Freund- oder Feindbildern. Und es führt auf jeden Fall zu einer Politik, die in ernsthaftem Dialog immer wieder neu Anlauf nimmt, das Beste zu erreichen, was in diesem geschichtlichen Moment zu erreichen ist. Das ist eine Politik, die sich nicht provozieren lässt. Eine Politik, die nicht leichtfertig mit militärischen Lösungen hantiert und mit den robusten Mandaten hausieren geht, wie das gerade von CDU-Politikern immer wieder gerne gemacht wird.

Die neue Bundesregierung hat es bisher gut gemacht. Entschieden in der Sache, aufrecht im Gang, hart in der Haltung, aber mit entschlossener Ablehnung, den Konflikt mit eigenen Waffenlieferungen noch anzufeuern. Der Druck, sich hier offensiver zu verhalten, wird steigen. Von Medien, vom Ausland, von selbst ernannten Fachleuten.

Sicherheit in Europa kann es aber ohne und gegen Russland nicht geben. Und die Menschen in Russland sind Deutschland immer freundlich gesinnt gewesen. Das ist die Karte, die am Ende eher sticht.

Straubinger Tagblatt vom 29. Januar 2022