Zwei glorreiche Halunken Gerhard Schröder und Oskar Lafontaine waren Ausnahme-Politiker – nun sind beide 80 und am Ende ihres Wegs. Was war dieses Leben wert, so ganz verschrieben dem Streben nach Glanz und Macht?

Das Bild ist unvergessen. Gerhard Schröder hat die Bundestagswahl gewonnen. Wir schreiben das Jahr 1998. Mit Oskar Lafontaine streckt er seinen und dessen Arm nach oben. Und dabei beobachten sich die beiden. Wie verhält sich der andere?

Der interne Machtkampf ist längst nicht entschieden. Gerhard Schröder ist Kanzler, aber Oskar Lafontaine Chef der SPD und zugesagt ist ein Superministerium. Natürlich hat der kleine Napoleon aus dem Saarland nicht aufgegeben. Den Vortritt zur Kanzlerkandidatur musste er dem Rivalen lassen, nachdem dessen Wahlergebnis in Niedersachsen keine andere Möglichkeit mehr offenließ. Aber dennoch: Er will der starke Mann in dieser Regierung sein, auch wenn der andere Kanzler wird.

Vor ein paar Monaten hatte alles noch ganz anders ausgesehen. Rudolf Scharping hatte Schröder wegen dessen Ehrgeiz in die zweite Reihe versetzt. Noch war Rudolf Scharping Parteivorsitzender in diesem Dreikampf von zwei Alfa-Tieren – und eben Rudolf Scharping. Dann der Parteitag, Lafontaines heißblütige Rede, der Anfang von Scharpings politischem Ende. Und jetzt also Zeit zum Regieren.

Beide lieben die Frauen, beide lieben die Macht

Wer Gerhard Schröder über die Jahre beobachtete, der wusste, dass er als Kanzler nicht zögern würde, die im Grundgesetz festgelegte „Richtlinienkompetenz“ so zu deuten, dass er der Chef wäre. In jeder Situation. Da gab es nichts auszusprechen, das war einfach so. Er legte fest, was sein sollte. Und Oskar Lafontaine stand als Superminister und Parteivorsitzender daneben und konnte nichts machen. Als er das merkt, wirft er hin.

Das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ wird später schreiben, dass die Gründung der neuen Partei „Die Linke“ für Lafontaine vor allem auch ein sozialer Abstieg sei. Das ist so, ohne Zweifel. Aber für ihn, der nicht von der politischen Tagesarbeit lebt, sondern vom Reiz der Macht, erscheint das der einzige Weg in die Zukunft.

Überhaupt, das Privatleben der beiden. Gerhard Schröder liebt das schöne Leben. Bei einem Wahlkampfauftritt in Eichstätt ist er so betrunken, dass man ihn mühsam ins Hotelzimmer führen muss. Kein Einzelfall.

Beide lieben die Frauen. Über Lafontaine wird über die Medien bekannt, dass er gerne im Rotlichtmilieu verkehrt. In einer Talk-Show wird er danach gefragt, seine Ehefrau sitzt errötend neben ihm. Lafontaines schlagfertige Antwort: „Wer ist denn da das Schwein? Der, der dort war, oder der, der’s erzählt?“ Das ist sympathisch und die Menschen mögen Lafontaine trotz seiner Eskapaden.

Der Regen rettet Schröder die Wiederwahl

In der neuen Partei lernt er die schöne Sahra Wagenknecht kennen. Es ist nur eine Frage der Zeit, dass die beiden ein Paar werden. Sie lieben das Radfahren miteinander.Ein Reporter darf sie begleiten. Als Sahra Wagenknecht das Rad auf das Autodach hebt, entfährt dem Journalisten der Satz: „Was für eine Frau!“ Lafontaine antwortet wieder wie aus der Pistole geschossen: „Wem sagen Sie das!“Und Gerhard Schröder? Nach dem Wahlsieg lässt er es erst einmal richtig krachen. „Zum Regieren brauche er nur Bild, Bams und die Glotze“, meint er großspurig und hat seinen Auftritt bei Thomas Gottschalk in „Wetten, dass“. Er liebt Rotwein und Zigarren – und natürlich, dass er jetzt endlich Kanzler ist. Eine neue zarte Frau an seiner Seite. Nur das Regieren vergisst er – und wie schnell vier Jahre vorüber sind.

Als er es merkt, gut ein Jahr vor der nächsten Wahl, ist es letztlich zu spät. Die SPD ist in den Umfragen weit abgeschlagen. Bis es in Norddeutschland endlich regnet. Schröder erkennt seine Chance sofort und watet in Gummistiefeln durch die Fluten. Tatkräftig, ein Macher, wie er im Bilderbuch steht. Bis Edmund Stoiber erkennt, was geschieht, hat Schröder längst den Ton gesetzt. Nur kurz ist am neuen Wahlabend die SPD zweitstärkste Kraft, dann drehen die Hochrechnungen und Schröder triumphiert erneut.

Das ist die Seite der Macht. Aber was tun nach diesem überraschenden Wahlsieg? Die Kassen sind leer, Schröder weiß das und vor allem, dass er jetzt handeln muss.

Es folgt das Trauma der SPD. Hartz IV. Ein ehemaliger VW-Manager macht gleichsam als politischer Unternehmensberater den Vorschlag, den Sozialstaat einzudampfen. Schröder ist dankbar für das Konzept und setzt es zügig um. Das spaltet die SPD, die längst nicht mehr vom Sozialrevolutionär Oskar Lafontaine geführt wird. Der Anfang vom Ende.

Schröder spürt, dass es zu Ende geht – und führt mit seinem ganzen Willen, Herr der Situation zu bleiben, Neuwahlen herbei. Das Ergebnis wird von Politikwissenschaftlern später als letzter Erfolg für Schröder gedeutet.

In der bleiernen Merkel-Ära ein „elder statesman“

Er holt ein überraschend gutes Ergebnis und führt seine SPD nochmals als Junior-Partner in eine Regierung. Die bleierne Ära von Angela Merkel beginnt – und Gerhard Schröder zieht sich als „elder statesman“ zurück. Seine Vorträge lässt er sich teuer bezahlen, wie andere ehemalige Regierungschefs auf der ganzen Welt auch. Zusätzliche Einnahmequelle wird das Gasgeschäft mit Russland und seinem persönlichen Freund Wladimir Putin. Wer viele Frauen hatte und das schöne Leben liebt, braucht viel Geld, Gerhard Schröder gelingt dieser erfolgreiche Schritt in seine persönliche Zukunft. Und Oskar Lafontaine? Auch er zieht sich aus der Politik langsam zurück. Sein Haus im Saarland ist so groß, dass Spötter es den „Palast der sozialen Revolution“ nennen. Auch bei ihm stimmen Denken und Leben nicht so ganz überein, wie bei so vielen berühmten oder bekannten Menschen.

Und heute? Was war es wert, dieses Leben, das sich so ganz dem Streben nach Glanz und Macht verschrieben hat? Beide waren keine harten Arbeiter, die es in der Politik so dringend braucht. Man muss kein Fan von Hans-Jochen Vogel oder Edmund Stoiber sein, um doch wertzuschätzen, wie akribisch beide die Akten studierten und sich täglich neu informierten.

Auf der anderen Seite: Beide hatten unglaublich starke Intuitionen, wohin die Zukunft führt. Im ersten Wahlkampf wurde der Grünenpolitiker Joschka Fischer von einem Fernsehjournalisten gefragt, ob er glaube, dass die SPD mit Schröder die Wahl gewinnen würde. Er meinte nur: „Nochmals vier Jahre Helmut Kohl, können Sie sich das vorstellen?“ Das war die treffende Antwort.

In einer Zeit von so vielen gesichts- und bedeutungslosen angepassten Politikern sind Schröder und Lafontaine so bis heute Ausnahmefiguren. Der ehemalige außenpolitische Berater von Helmut Kohl Horst Teltschik sagte in einem persönlichen Gespräch zu mir, als die Situation mit Russland immer mehr zu eskalieren begann: „Wenn ich Angela Merkel wäre, würde ich Gerhard Schröder alle zwei Wochen als Sonderbeauftragten der Regierung zu Putin schicken!“ Eine kluge Idee, aber bei der bösen Konkurrenz der Parteien untereinander und der machthungrigen Kanzlerin Angela Merkel ein illusorischer Vorschlag. Heute mahnen sowohl Oskar Lafontaine als auch Gerhard Schröder, dass der Krieg zwischen Russland und der Ukraine an den Verhandlungstisch führen und endlich aufhören müsse. Beide wandeln so auf den Spuren von Helmut Kohl und Helmut Schmidt, die kurz vor ihrem Tod noch einen mahnenden Artikel in der Wochenzeitung „Die Zeit“ verfassten, in dem sie gemeinsam schrieben, dass es Sicherheit für Europa nur mit und nicht gegen Russland geben könne.

Unglaubwürdig, nur weil er das schöne Leben liebt?

Und Oskar Lafontaine wirbt immer noch lautstark dafür, dass die Spaltung der Gesellschaft in einige wenige ganz Reiche und immer mehr Arme endlich besser geheilt werden müsse. Ist er politisch wirklich unglaubwürdig, nur weil er selber das schöne Leben immer noch liebt?

Und Gerhard Schröder: Ist alles, was er sagt und denkt, wirklich ein Blödsinn, nur weil er so viel Geld zum Leben braucht? Sicher, sein Rat wäre ernster zu nehmen, wenn er sein Geld nicht mit Russland verdienen würde. Das ist die andere Seite der Medaille.

Jetzt sind beide Politiker 80 Jahre alt geworden. Sie erzählen gerne, dass sie jetzt im Alter wieder zusammengefunden hätten und sich wieder treffen. Eine echte Freundschaft?

Auf jeden Fall kein Machtkampf mehr, da man doch jetzt gemeinsam zurückschaut. Auf zwei schillernde Männerleben, wo die Zeit wie im Flug vergangen ist. Wo man gemeinsam zurückschaut auf Jahrzehnte deutscher Geschichte, die man doch stark genug war, sie maßgeblich mitzugestalten. Was die neue Generation ihrer Nachfolger betrifft, werden sie sich sicher über den einen oder anderen bei ihren Wiedersehen wunderbar amüsieren.

Straubinger Tagblatt vom 17. Mai 2024