Vor ein paar Tagen beleuchtete eine Fernsehdokumentation im öffentlich-rechtlichen Fernsehen das Leben von Aussteigern aus der AfD. Schon diese Themenfindung deutet darauf hin, dass es sich bei der AfD offenbar um eine Partei handelt, die durchaus Merkmale einer Sekte hat. Und in der Tat: Wer die Geduld hatte, über fast zwei Stunden die Lebensschicksale derer mitzuverfolgen, die über Jahre Zeit und Geld in die AfD investiert hatten, der konnte fast körperlich spüren, in welche Abgründe Menschen geraten, die sich dieser Organisation anschließen. Das Motiv der gutwilligen Idealisten: Abkehr von der gewöhnlichen Welt. Suche eines besseren Planeten. Idealistische Motive, die Welt, wie wir sie jeden Tag mit ihren Höhen und Tiefen erleben, zu verbessern.
Was dem Parteieintritt folgt: Begeisterte Aufnahme bei den neuen Freunden. Deren laut ausgesprochenes Credo: Das hast Du gut gemacht! Du hast verstanden, dass die Welt, die Du da draußen erlebt hast und die Dich ja nur missbraucht, nicht die Deine ist. Begeisterter Empfang. Schulterklopfen. Nestwärme.
Was dann folgt, ist Kärrnerarbeit. Die Lebensenergie fließt nun ganz in das Schaffen der AfD. Widerspruch zu den vorgegebenen Zielen der Partei? Nicht erwünscht. Das eigene Leben plötzlich im Strudel der Parteiarbeit, die den ganzen Menschen auf- und aussaugt. Die Freunde draußen in der Welt – plötzlich weg. Ein neuer Kreis von Lebensbegleitern, der eine Lebenswelt außerhalb des Schicksals, das da mit unglaublicher Gewalt seinen Weg nimmt, nicht zulässt.
Die Aussteiger berichten: Wir haben versucht, innerhalb der Partei für innovative politische Lösungen zu kämpfen. Was die Wirtschaft angeht, was Europa angeht – mit demokratischen Mitteln für demokratische Ziele; aber am Ende: Wir wurden dominiert von denen, die die Richtung vorgeben und Widerspruch oder Alternativen innerhalb der Alternative für Deutschland nicht wollen. So vergehen Jahre. Der Weg der Partei nach ganz rechts unaufhaltbar.
Von seinem Schicksal erzählt der ehemalige Parteivorsitzende der AfD Professor Jörg Meuthen. Er scheitert – die Fernsehbilder sind präsent – mit seinem Versuch, die Partei in der Mitte der Gesellschaft zu verankern und ihren Rechtsdrift zu verhindern und tritt zurück. Er berichtet, wie er an einem Tag alles hinter sich lässt und als normaler Bürger mit dem Zug nach Hause fährt. Er denkt: Man wird mich erkennen und anpöbeln. Mit einem verletzten Lächeln erzählt er: „Und genauso war es dann auch!“
Den anderen erging es nicht besser. Mit dem Willen, die Welt ins Gute zu verändern, waren sie in die Partei eingetreten. Am Ende stieß die Partei sie aus – und beschimpfte sie noch mit Hunderten von E-Mails. Es blieb ihnen die große Leere. Die Freunde weg, der Kontakt zur eigenen Familie längst abgebrochen. Was folgt, sind Jahre der Verarbeitung dessen, was da mit ihnen geschehen ist. Neuanfang und Neuaufbau des eigenen Lebens. Dankbarkeit, wo die eigene Familie sich wieder für sie öffnet. Reue, Erschöpfung, Neubeginn. Suche nach sich selbst. Ein mühsamer Weg.
Viele Merkmale, die wir Sekten zuordnen, werden von den ehemaligen Parteimitgliedern für die AfD bezeugt: Das Aufsaugen der gesamten Person, die Unmöglichkeit, die Ziele und Methoden der Organisation infrage zu stellen. Jede Ablehnung eines internen Meinungspluralismus. Das Verhindern von echtem Gespräch und echter politischer Diskussion. Eine auf diese Weise machtvolle und gewalttätige Gruppendynamik, die den Einzelnen in seiner Individualität zerstört. Die Abgeschlossenheit dieser Welt zur Welt draußen. Der Abbruch des Kontakts zum Freundeskreis und zur Familie. Auf diese Art und Weise Isolation und Einsamkeit. Das Ganze in der Partei begründet mit einer projektiven Weltsicht, dass das, was sich da draußen in der demokratischen Welt mit all ihren Problemen zuträgt, eine feindselige Welt sei. So das Verhindern eines Erkennens, dass man auf diese Art und Weise dieser Welt eben selbst feindselig entgegentritt.„Deutschland den Deutschen! Ausländer raus!“ So skandieren Hunderte in einer Diskothek. Minutenlang. Befragt wird vor großem Fernsehpublikum am Sonntagabend der Parlamentarische Geschäftsführer der AfD Bernd Baumann im Bericht aus Berlin. Braungebrannter Teint, die Krawatte sauber gebunden, freundlicher gelassener Auftritt. So was könne passieren, meint er, „beim Bier“, wie er sich ausdrückt. Zugewandtes Lächeln in die Kameras. Wem auch immer das gilt. Dass das jetzt gesendet und besprochen werde, eine Kampagne gegen die AfD. Kultiviertes, joviales Benehmen bis zum Schluss, freundliches Lächeln nochmals – dann Ende des Fernsehauftritts. Die Welt der AfD geht weiter.
Alice Weidel: Promoviert – auch noch mit Auszeichnung. Bürgerliches bis scheinbar adeliges Auftreten. Schweizerin, jedenfalls fast. Immer bestens gekleidet. Parteivorsitzende, Aushängeschild der Partei, falls man das so nennen will. Aber doch: in ihrem Sprechen hochaggressiv. In Bundestagsdebatten laut und für sensiblere Gemüter unerträglich. Wertschätzung des Gegenübers? Fehlanzeige. Im Ton oft bedrohlich und dominant. Auseinandersetzungen auf der Sach- und Fachebene? Nicht erwünscht. Die AfD – nur im Osten Deutschlands so radikal wie Björn Höcke das zeigt und will? Wer genau hinsieht, der muss erkennen, was sich da zusammenbraut!
„Alles und nichts sagen“ heißt der kleine Band, den die österreichische Schriftstellerin Eva Menasse vor kurzem vorgelegt hat. Sie arbeitet in ihrer Analyse der digitalen Welt auch das entscheidende Motiv heraus, weshalb Menschen sich radikalen Parteien oder Lebenswegen zuwenden. Die so wichtigen Grautöne des Lebens seien für die nicht auszuhalten. Dass es das ideale Gute in dieser Welt nicht gebe, werde nicht verstanden und so seien die Menschen verführbar. Sie schreibt: „Dabei sind die Unvollkommenheit der Welt und die eigene Vergänglichkeit ja überhaupt nur zu ertragen, wenn man später im Leben und, mit mindestens über die Hälfte abgestoßenen Weltverbesserungshörnern, endlich einsieht, dass es weder ein gut noch ein pur jemals irgendwo gibt, sondern höchstens ein weniger schlecht und weniger verdorben. Es gibt – im besten Fall – nur etwas größere Freiheiten und etwas kleiner Beschränkungen. Der Weg bleibt das Ziel, denn das jeweilige, sich ständig verändernde Ziel wird keiner von uns je erleben.“
Radikale Parteien leben davon, dass sie laut erzählen, dass die Welt besser sein könnte und genau sie wären die Heilsbringer dafür. Demokratische Parteien ebnen ihnen dann den Weg, wenn sie als teilweise handlungsunfähig erscheinen. Wenn ihr demokratischer Streit untereinander scheinbar zu politischem Stillstand führt, auch wenn wir dort längst nicht sind! Die digitale Welt tut ein Übriges dazu! Sie verstärkt die Tendenz, komplexe Sachverhalte, die Zeit zur Diskussion brauchen, aggressiv zu vereinfachen, Verschwörungstheorien zu befeuern, mühsame und detaillierte Diskurse zu untergraben. Eva Manesse dazu: „Es ist unübersehbar, dass das Netz mit seinen Überrumpelungs- und Beschleunigungstalenten die Qualitätssicherung der alten, klassischen Medien unterhöhlt. Die Brandmauern sind aus Gehetztheit niedriger geworden….
Aber wen interessieren denn eigentlich noch die klassischen Medien, würden hier ,digital natives‘ einwerfen? Darauf müsste man paradox antworten: Stimmt, aber leider ist das Netz, das sie fast ganz ersetzt hat, selbst eine einzige falsche Gewichtung.“
Digitale Kanäle und radikale politische Gruppen befeuern sich häufig wechselseitig. Radikale politische Parteien suchen so immer den Weg ins Netz und über das Netz. Der österreichische FPÖ-Vorsitzende Herbert Kickl spricht mit klassischen Medien fast nicht mehr und kommt alleine durch die Kommunikation über die sogenannten sozialen Medien auf eine Zustimmung von über 30 Prozent bei der Bevölkerung.
Am Ende eines solchen Weges stehen Figuren wie der ehemalige amerikanische Präsident Donald Trump, der mit Macht und Gewalt zurück ins Amt drängt. Ein Meister der Manipulation im Netz! Das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ erzählt in einer seiner letzten Ausgaben, wohin ein solch radikalisierter Weg führt. Donald Trump steht vor einem ultrakonservativ gewordenen Publikum in der Nähe der amerikanischen Hauptstadt Washington und schreit: „Ich bin euer Krieger, ich bin eure Gerechtigkeit. Und allen, denen Unrecht getan wurde und die betrogen wurden, sage ich: Ich bin eure Vergeltung!“ „Der Spiegel“ kommentiert treffend: „Er sprach die Worte nicht wie ein Politiker, sondern klang so eindringlich wie ein Sektenführer, als den er sich offenkundig auch sieht.“
Die Menschen, die in diesen Tagen in ganz Deutschland auf die Straßen gehen, um gegen die AfD und einen Rechtsruck zu demonstrieren, zeigen das bessere Gesicht dieses Landes. Es sind Hunderttausende, die aufstehen für das, was in Jahrzehnten einer guten demokratischen Geschichte Deutschlands erreicht wurde. Und zahlreiche Politiker in den demokratischen Parteien haben auffällig begonnen, bei aller politischer Konkurrenz ein besseres Miteinander zu suchen, um Zukunft im gemeinsamen politischen Arbeiten der demokratischen Parteien besser zu organisieren. In schwierigen Zeiten beides ein großer Lichtblick!
Straubinger Tagblatt vom 3. Februar 2024