In eigener Sache

Natürlich war es nur eine Karnevalsveranstaltung in Aachen, bei der Friedrich Merz mit Bezug auf die digitalen Möglichkeiten für Politiker über Journalisten jetzt sagte: „Wir brauchen die nicht mehr.“ Heute könne man als Politiker die „eigenen Interessen“ medial wahrnehmen und so auch die „eigene Deutungshoheit“ behalten. Aber Kinder und Narren sagen bekanntlich die Wahrheit und so war der Protest groß bei denen, die sich so nicht mehr gebraucht fühlen, zum Beispiel bei Daniel Überall, immerhin Vorsitzender des Deutschen Journalisten-Verbandes, der in einem offenen Brief an Merz klarstellte: „Was für ein Verständnis von der Rolle der Medien im demokratischen Rechtsstaat haben Sie? Glauben Sie ernsthaft, dass Videos, Tweets und Facebook-Postings als Informationsquellen der Bürgerinnen und Bürger ausreichen?“

Merz beschwichtigte dann gleich und formulierte fernsehgerecht, für wie wichtig er die klassischen Medien halte. Aber doch gilt seit Sigmund Freud, dem Wahrheitsfinder in den Abgründen des Unbewussten, dass man am Versprecher oder auch am Witz die innerste Wahrheit eines Menschen erkennen kann, ganz gleich, was das Bewusstsein und die korrigierende Sprache später sicherheitshalber nachschieben.

Schon Gerd Schröder meinte ja am Beginn seiner Kanzlerschaft, dass er zum Regieren nur „Bild, BamS und die Glotze“ brauche, ein eher manipulativer Ansatz also, um vor allem wiedergewählt zu werden. Und Markus Söder sagte ausgerechnet beim alljährlichen Treffen der Bayerischen Zeitungsverleger in Berlin, dass die Zeitungen nur deshalb noch existierten, weil es immer noch Leute gebe, die gerne „blätterten“, er aber, so erklärte er mit Blick auf Handy und Laptop, gehöre zu den Menschen, die in diesen Tagen ausschließlich noch „wischen“.

Was dem durchsetzungsstarken Ministerpräsidenten leider so ganz entgangen ist, ist der Befund der Wissenschaft, dass ein Text im Netz mit einem gedruckten Text nicht vergleichbar ist. Die Nachhaltigkeit, die Wahrnehmung, die Perzeptionsweise des Digitalen sind vom gedruckten Wort ganz verschieden. Und gerade das Reflektieren dessen, was politisch zu diskutieren ist, eignet sich, wenn es ernsthaft sein soll, nicht wirklich für die digitale Welt. Es sind eben gerade die radikalen Parteien und Menschen, die sich mit Vorliebe der digitalen Medien bedienen, wo sie weitgehend unzensiert ihre Botschaften ablassen können. Nicht umsonst hat der Politologe Heinrich Oberreuter schon vor Jahren gewarnt, dass Politiker, die glaubten, auf die klassischen Medien verzichten zu können, buchstäblich an „dem Ast sägen, auf dem sie sitzen“.

Was Friedrich Merz aber so augenzwinkernd formulierte, geht dann doch noch einen Schritt weiter: Da geht es nicht mehr nur um die Art und Weise der Kommunikation, also ob gedruckt oder digital, sondern da geht es schon auch darum, dass Politiker die kritische Funktion des Journalismus gar nicht mehr haben wollen. Der „Linksfunk“ vor allem in der ARD war es, der den Konservativen schon immer auf den Wecker ging. Ein Grund auch, weshalb es vor allem die Konservativen waren, denen es bei der Einführung von Sat.1 und RTL in den 80er-Jahren gar nicht schnell genug gehen konnte. Die Schimpftiraden von Franz Josef Strauß gegen Journalisten aus diesen Tagen klingen gerade in Bayern noch heute in den Ohren.

Als viele Zeitungen im 19. Jahrhundert nach der gescheiterten Revolution 1848 gegründet wurden, waren sie tatsächlich Parteizeitungen. Als in der Frankfurter Paulskirche die Delegierten der Parteien damals über die Zukunft einer deutschen Demokratie oder eines deutschen Parlaments diskutierten, da wurden sie tatsächlich von Parteizeitungen begleitet, die so den demokratischen Diskurs, der damals entstand, journalistisch orchestrierten. Das war aber in diesen Tagen ein Fortschritt, weil in den Monarchien, die es in den Ländern vor der Gründung des deutschen Nationalstaats noch gab, hätten es die Fürsten und Könige schon lieber gehabt, dass es weder Parteien noch Zeitungen gebe. Im Lauf der Jahrzehnte schon des 19. Jahrhunderts aber emanzipierten sich die Zeitungen nahezu allesamt von den Parteien und wurden buchstäblich überparteilich. Die Gleichschaltung der Medien im Dritten Reich bei Adolf Hitler machte dann endgültig klar, welch wichtige Rolle unabhängige Medien für eine Demokratie spielen. Als „vierte Gewalt“ wurden sie fortan bezeichnet, auch wenn dieser Begriff so nicht im Grundgesetz steht. Aber klar war allen, dass neben der Gewaltenteilung in Parlament, Regierung und Gerichte die Medien ein wichtiger Baustein für jede Demokratie sind.

Heute sprechen digital alle durcheinander und Politiker versuchen, das für sich zu nutzen. In den Echokammern des Netzes hallt es gerade von ganz rechts vor lauter Blödsinn unendlich laut. Und deshalb geht es eben nicht an, dass seriöse Politiker, die sich auch noch um den Vorsitz ihrer Partei bewerben, die Rolle der klassischen Medien – von den Zeitungen bis hin zum öffentlich-rechtlichen Fernsehen – lautstark infrage stellen. Schon der Vorstoß von Horst Seehofer vor wenigen Jahren, dass ein öffentlich-rechtlicher Kanal doch reiche, war deshalb absurd und im Letzten ein Anschlag auf die Rolle der Medien in unserer Demokratie.

Politiker haben heute gelernt, die digitalen Medien für sich zu nutzen. Der amtierende Oberbürgermeister von Landshut machte vor einem Jahr ein Foto aus seinem Dienstfahrzeug und postete an seine Follower die Frage: „Wo bin ich?“ Immerhin fragte er also nicht: „Wer bin ich?“ Das wäre noch seltsamer gewesen. Und auch aus den Stadtratssitzungen vieler Städte wird oft schon während der laufenden Sitzungen gepostet und gedeutet. Städte und Kommunen haben zudem begonnen, eigene digitale Kanäle zu bespielen, und versuchen so tatsächlich, die Deutungshoheit über ihre Politik zu gewinnen. Weil sie das aber gar nicht dürfen, klagen vor allem wir Verleger auch mit Schadenersatzforderungen gegen diese Städte und ihr Treiben. Das Internetportal der Stadt München beschäftigt heute 30 Mitarbeiter und lädt auch noch die Kaufleute der Stadt ein, für Werbung hier ihr Geld auszugeben. Dagegen haben jetzt alle Münchner Zeitungen geklagt und es gibt kaum Anhaltspunkte, dass dieser Prozess anders ausgehen wird als der in Dortmund, wo die Stadt exakt diesen Prozess schon verloren hat und ihr digitales Portal jetzt zurückbauen muss. Denn der Gesetzgeber und die Gerichte haben in Deutschland aus gutem Grund festgelegt, dass journalistische Formate den Städten und Kommunen nicht erlaubt sind. Die Trennung von Politik und medialer Berichterstattung ist aus gutem Grund demokratiepolitisch heilig. Natürlich geht es immer auch um Geld und um Arbeitsplätze. Aber wer mit Steuermitteln den klassischen Medien Konkurrenz macht, der hat nicht verstanden, dass die Trennung von Politik und Medien gute Gründe hat.

Straubinger Tagblatt vom 22. Februar 2020