Unter falschem Verdacht

Es waren nicht nur Verschwörungstheoretiker, die im letzten Jahr Zweifel hatten, ob nicht eine unheilige Allianz von Politikern, Virologen und Medien ihre Welt manipulieren wollte. Viele aus der Mitte der Gesellschaft hatten plötzlich ein Misstrauen, ob die Corona-Welt, in der sie auf einmal aufwachten, tatsächlich so wäre, wie Politik das kommunizierte, Virologen das vorgaben und Medien das bestätigten. Viel zu nahe seien die Medien jetzt an der Exekutive, das war die Klage so mancher, die den Eindruck hatten, dass überstark durchregiert würde und die Medien den notwendigen kritischen Abstand zur Politik aufgegeben hätten.

Der Politikwissenschaftler Michael Schröder von der Politischen Akademie in Tutzing ist in einer sorgfältigen Recherche der Frage nachgegangen, ob die Medien tatsächlich versagt haben – und er kommt zu einem äußerst differenzierten Meinungsbild. Er zeigt auf: Der Vorwurf der „Lügenpresse“ hatte das Vertrauen in die Medien im Jahr 2015 so weit untergraben, dass zu diesem Zeitpunkt nur noch 28 Prozent der Deutschen sagten, dass ihr Vertrauen in die Medien „hoch“ sei. Den Verdacht, dass „die Medien“ nicht aufrichtig kommunizierten, gab es also deutlich vor der Corona-Krise. Im September 2020 hielten dagegen 82 Prozent der Bürgerinnen und Bürger gerade die öffentlich-rechtlichen Medien in der Berichterstattung über Corona für gut oder sehr gut. Dahinter folgten schon die Tageszeitungen mit einem Wert von knapp 70 Prozent. Das heißt, dass bei vielen Menschen gerade die zuverlässige Berichterstattung in den Medien über die Corona-Krise das Vertrauen in die seriösen Medien gestärkt hat.

Aber dennoch: Es gibt auch Medienwissenschaftler wie Stephan Russ-Mohl, die den Vorwurf einer zu regierungsnahen Berichterstattung aufgreifen: „Im Herdentrieb vereint, dem Clickbaiting und den Gesetzen der Aufmerksamkeitsökonomie folgend, haben sie gleichsam über Nacht die Pandemie zum alles beherrschenden Thema gemacht.“

Gerade am Anfang der Pandemie im März 2020 entfielen 95 Prozent der Fernsehnachrichtenzeit von „Tagesschau“, „heute“, „RTL Aktuell“, „Sat1-Nachrichten“, den „Tagesthemen“ und dem „heute-journal“ auf die Berichterstattung über Corona. Eine unglaubliche thematische Engführung. Manipulation? Das Urteil des Politikwissenschaftlers Schröder: „Im März befanden sich nicht nur die Medien im Ausnahmezustand. In Deutschland explodiert die Zahl der Infizierten. Es ging erst einmal darum, das für alle Neuartige zu verstehen. Offenbar dürfte den meisten Journalisten und Kommentatoren die Notwendigkeit der verordneten Maßnahmen schlicht einleuchtend gewesen sein – ebenso wie der großen Mehrheit der Bevölkerung.“ Aber dann? Blieb, als sich die Situation etwas entspannte, nicht doch eine allzu große Nähe der Medien zur Regierung? Der Befund und die Antwort des Politikwissenschaftlers sind eindeutig: „Dieser beschriebene Ausnahmezustand, der die ganze Gesellschaft ergreift, darf nur nicht zu lange dauern. Medien müssen die oppositionellen Stimmen aus Politik und Wissenschaft aufgreifen und wieder eine neue Dynamik in den Diskurs einbringen. Politik in einer freiheitlichen Demokratie ist nicht alternativlos. Dies ist nach einer kurzen Schockstarre auch zunehmend wieder gelungen. Der Meinungs- und recherchierende Journalismus fasste wieder Tritt.“

Von einer Manipulation durch die Medien kann also keine Rede sein. Was aber stimmt, ist, dass viele andere Themen gerade in der heißen Phase der Pandemie zu kurz kamen, weil einem bekanntlich das Hemd immer näher ist als der Rock. Wird auch sonst schon über die Katastrophen in Afrika oder Lateinamerika weniger berichtet als über die Frage, wer Kanzlerkandidat der Union wird, so war die Aufmerksamkeit für diese Brennpunkte einer globalen Welt, wo alle auf alle angewiesen sind, in dieser Zeit noch schwächer entwickelt als sonst. Aber auch hier gilt: Noch nie zuvor haben Medien so sehr ihren Blick auf die Hungersnöte in Afrika gerichtet wie in diesem Jahrtausend, wo dann am Ende auch noch die Kontonummern der Katastrophenbündnisse, die helfen sollen und wollen, tatsächlich in den Nachrichten über den Bildschirm flimmern.

Und eines muss auch klar sein: Es ist gar nicht die Aufgabe der Medien, sich von vorneherein primär auf „Kritik und Kontrolle“ zu beschränken. Nirgendwo stehen die Medien als sogenannte „vierte Gewalt“ im Grundgesetz. Da kann man lange suchen. Im fünften Artikel des Grundgesetzes steht, dass jedermann das „Recht hat, sich in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern“, das ist es aber auch schon.

Natürlich, Zeitungen gründen sich vor allem im 19. Jahrhundert gerade als kritische Organe gegenüber den Regierenden. Das waren aber damals die Könige und die Fürsten, die das Land zum eigenen Nutzen unter sich aufteilten. In einem demokratischen Rechtsstaat ist es dagegen beileibe keine Schande, in Krisenzeiten das Handeln einer Regierung in aller Ausführlichkeit zu kommunizieren und im Zweifelsfall sogar zu unterstützen. Dass gerade in der Auseinandersetzung zwischen Bund und Ländern, aber auch im Schaulaufen der Kanzlerkandidaten von CDU und CSU manches nicht gut genug war, steht auf einem anderen Blatt. Aber auch das wurde doch von allen Medien in großer Ausführlichkeit beschrieben und kommentiert.

Wenn man die Kurven der Pandemieentwicklung im europäischen, aber auch im globalen Vergleich ansieht, dann muss man schon festhalten, dass es in Deutschland gar nicht so schlecht gelaufen ist. Man ist doch dankbar, dass man nicht in einem Land lebt, das von Egomanen wie Donald Trump oder Boris Johnson regiert wird. Dass gerade dort jetzt die Zahlen der Corona-Patienten stärker fallen als bei uns, hängt allein damit zusammen, dass dort rechtzeitig mehr in die Impfindustrie investiert wurde; aber das entschuldigt noch lange nicht den Zynismus, mit dem solche Politiker ihr Regierungsgeschäft über Monate betrieben. Auch hier macht der Ton die Musik – und dass die verantwortlichen Politikerinnen und Politiker in diesem Land zu jedem Zeitpunkt sorgenvoll und ernsthaft ihrer Arbeit nachgingen, wird man nicht abstreiten können.

Das Verhältnis von Politik, Medien und Gesellschaft unterliegt einer dynamischen Spannung. Da wird es immer auch Fehler oder Fehleinschätzungen geben. Wer aber leichtfertig den Verdacht äußert, dass es bei Politik und Medien von vorneherein nicht mit rechten Dingen zugeht, der muss sich schon selber vorhalten lassen, dass er all die Werte und Errungenschaften, die seit dem Ende des Dritten Reiches in diesem Land mühsam errungen wurden, mit seinem Sprechen und seiner Deutung leichtfertig aufs Spiel setzt. Verdächtig sind dann nicht Politik oder Medien, sondern eher er selbst!

Straubinger Tagblatt vom 29. Mai 2021