Der Trainer, ein Vater – Was die Bundesliga-Saison über das Leben lehrt

Lehren aus dem Sport für das Leben gibt es viele. Lehren aus dem Fußball für das Leben ganz viele. Was gab es nicht alles in der abgelaufenen Bundesligasaison zu bestaunen. Zum ersten Mal wurden Trainer für Geld ausgelöst. Das ist neu. An sich nichts Verwerfliches. Was wäre nicht käuflich. Aber interessant war halt doch, wie sehr ein Fußballtrainer von seinen Spielern als Autorität und sogar als Vaterfigur angesehen wird.

Als Adi Hütter von der Frankfurter Eintracht entgegen allen Beteuerungen am Beginn eines Trainings kurz vor Spielrundenschluss seinen Spielern verkündete, dass er den Verein nun doch verlassen werde, obwohl das noch kurz vorher ganz anders gesagt worden war, da waren die so bestürzt, dass sie an diesem Tag nicht trainieren konnten. Das ist mittlerweile bekannt. Und das ist dann doch erstaunlich: Den Profis sagt man nach, dass sie eben nur Profis wären, die für viel Geld das Spielgerät möglichst oft geschickt hin- und herpassen würden.

Aber siehe da: Da ist doch mehr. Und in der wöchentlichen Fernsehsendung „Heimspiel“ des Hessischen Rundfunks, die immer am Sonntag mit ihren Gästen sich ausschließlich mit der Eintracht aus Frankfurt beschäftigt, wurde spürbar, wie sehr das Umfeld des Clubs und die Fans regelrecht mit Hass auf diese Entscheidung des scheidenden Trainers reagierten. Da sagt man immer so leicht, dass das Ganze nur ein Zirkus für viel Geld sei – am Ende aber stimmt das nicht ganz. In diesem Zirkus gibt es zu viel Liebe und Leidenschaft, als dass alles für Geld möglich wäre.

Der Rest ist bekannt: Der Club aus Frankfurt war nicht wiederzuerkennen und verspielte in kürzester Zeit die Teilnahme an der Championsleague. Eigentlich eine Wiederholung: Marco Rose hatte das in Gladbach ja schon vorgemacht. Von ganz oben ins bedeutungslose Mittelfeld. Wenn der Geist nicht mehr stimmt, kann man trainieren, was man will und so viel man will.

Und ob das geschickt ist, dass der neue Trainer des FC Bayern München, ein hochbegabter Jungspund mit gut 30 Jahren, für ein Urgestein des Clubs, das man an jedem Platz brauchen und auf jeden Platz hinstellen kann, exakt keinen Platz mehr hat? Eine verdammt hohe Hypothek für die neue Saison. Kein Unternehmer würde es zulassen, dass ein neuer Prokurist, der von außen kommt, als Erstes die altgedienten Säulenheiligen des Betriebs entsorgt. Da wundert man sich. Ob das mal gut geht!

Überhaupt die Bayern. Wurde ernsthaft erwartet, dass die Erfolge des Vorjahres wiederholt werden? Ein schönes Buch gibt es von einem bekannten Psychologen, der erklärt, wie sehr nach einem Erfolg erst einmal eine sogenannte „Nachfolge-Depression“ lähmt.

Wie schwer es dann ist, sich schon wieder neue Ziele zu setzen – und das, nachdem man gerade sechs und nicht nur zwei oder drei Titel gewonnen hat. Das ist schon mehr als erstaunlich, wie gut es dem jetzt scheidenden Trainer gelungen ist, seine Mannschaft abermals zu motivieren und schon wieder den Meistertitel nach München zu holen. Das zeigt, wie viel Kraft dieser Club hat und wie sehr die jahrzehntelange solide Arbeit im Management den Erfolg fast schon sicherstellt. Bayern München eben.

Aber noch viel mehr gab es zu lernen im letzten Jahr. Tönnies. Ein Milliardär. Mit Schlachtbetrieben. Die Tierärzte, die seine Betriebe kennen, erzählen unisono, dass er über Jahre in seinen Betrieben nur die absoluten Minimalstandards der Hygiene vorgehalten hat. So kommt man auch zu Geld. Am Ende hatten nicht nur die Mitarbeiter in seinen Betrieben Corona in hoher Zahl, sondern sein Club Schalke 04 buchstäblich die Seuche. Eine Handschrift halt. Wenn nichts mehr stimmt, dann gibt es am Ende überhaupt keinen Erfolg. Tönnies ist immer noch vielfacher Millionär, seine Mitarbeiter arbeiten weiter für den Mindestlohn und Schalke hat 250 Millionen Schulden und steigt ab. Irgendwie gehört das zusammen.

Und die Menschen in der Region haben nichts als die Hoffnung, dass es anders wird. Auch das gehört irgendwie zum Ruhrpott. Dass sie am Tag des Abstiegs randalieren, obwohl sie seit Wochen wussten, dass das jetzt passiert – wen wundert’s? Und sonst? Trainer Christian Streich in Freiburg wie immer: Sympathisch, seriös, ein Sportsmann. Gefühlt seit 40 Jahren Trainer in Freiburg. Beispielhaft.

Dass sein ehemaliger Präsident beim DFB sich mit einem Satz ins Abseits gespielt hat – auch das eine Geschichte dieser Saison. Die vielen Begegnungen mit dem Funktionär, die es vorher gab und die ihn immer tiefer in seine Wut hineintrieben, kennt keiner.

Die Medien waren jedenfalls sofort politisch korrekt: ein „unsäglicher“ Vergleich war ihre standardisierte Formel, mit der das Ganze sofort korrekt eingeordnet wurde und man selbst auf der ganz sicheren Seite war. Die, die Fritz Keller kennen und etwas mehr Stärke hatten, bescheinigten dem scheidenden Präsidenten, dass er für sie ein Ehrenmann bleibe, der sich einmal habe hinreißen lassen, und ihre Loyalität zu dem Winzer aus Oberbergen wurde spürbar.

Jeden Sonntagmorgen gibt es den wunderbaren Stammtisch mit Thomas Helmer bei Sport1. Man sieht dort nicht nur, wie die Idole von früher heute aussehen und sprechen – schon das ist interessant –, sondern man erfährt was über die Liga. Aber was wurde da geurteilt über Borussia Dortmund: Eine junge Mannschaft, die immer dann, wenn’s drauf ankommt, versagt. Konnte man ja auch denken. Aber plötzlich: was für ein Pokalspiel – und jetzt doch wieder Championsleague. Der Ball bleibt rund – und im Fußball gibt es immer wieder Überraschungen. Man freut sich mit dem jungen Trainer und dem Stürmer, der bei seinen Toren mit dem Finger auf den zeigt, der ihm den Ball aufgelegt hat. Für einen Stürmer in diesem Alter ungewöhnlich. Überhaupt, was ist das für ein Spieler: Solche Typen gibt es sonst eher in den Ritterromanen des Mittelalters.

Und sonst? Keine Zuschauer, aber doch ungeheures Interesse. In Deutschland hält der Fußball das Land zusammen. Und so traurig es war, dass es keine Zuschauer gab, man war dankbar, dass der Ball überhaupt rollte und die Liga spielte. Wieder mit dem VfB Stuttgart, der irgendwann sogar mal Meister war, und weiter ohne Hamburg, die auch irgendwann mal Meister waren. Mit dem Sohn von Dieter Hoeneß als Trainer in Hoffenheim, der mit seiner unaufgeregten sympathischen Art dann doch noch erfolgreich war und nicht entlassen wurde – man freute sich mit ihm.

Mit einem Schiedsrichter, der so gut pfeift wie kein Zweiter, aber aufhören muss, weil er halt alt ist jetzt: exakt 47 Jahre, ein Opa eben. Die Spieler und die Vereine wollen zwar, dass genau er weitermacht, aber das ist Deutschland: das Land der Paragraphen und Amtsschimmel. Ausnahmen von der Regel? Wo kämen wir da denn hin! Wie armselig!

Und der FC Augsburg? Wieder mit dem kleinsten Etat der Liga. Aber einem Weltmeister als Manager. Der grundsätzlich lange zum Trainer hält, auch wenn der Fußball in Augsburg noch nie so furchtbar zum Anschauen war wie diese Saison. Am Ende ging’s nicht mehr, weil wer nur hinten drin steht, hat dann auch kein Glück mehr.

Zwei Spiele vor Schluss der neue alte Trainer. Spielentscheidend zwei Spieltage vor Ende der Saison im Spiel gegen Werder Bremen zwei Innenpfosten: Bei Augsburg geht das Spielgerät rein, bei Bremen fliegt der Ball ganz knapp wieder raus. Schicksal? Der Fußballgott? Oder einfach ein Trainer aus Straubing in Niederbayern? Nichts Genaues weiß man nicht!

Straubinger Tagblatt vom 22. Mai 2021