Ukraine-Krieg: Auch Vernunft ist gefragt

Es gibt eine Frage, die immer wieder gestellt wird. Wie kann es sein, dass es gerade die Partei der „Grünen“ ist, die heute so entschieden für Waffenlieferungen in die Ukraine eintritt, wo sie doch mit der Friedensbewegung der vergangenen Jahrzehnte mehr als nur geringe gemeinsame Schnittflächen hatte?

In seinem viel beachteten Interview mit der „Süddeutschen Zeitung“ vor einigen Tagen gibt der Philosoph Jürgen Habermas auf diese Frage einen sehr wertvollen Hinweis, der bisher eher überlesen wurde. Er sagt ganz prinzipiell über die „Konversion der einstigen Pazifisten“, wie er es nennt: „Sowohl die Empörung wie das Entsetzen und das Mitgefühl, die den motivationalen Hintergrund ihrer kurzschlüssigen Forderungen bilden“, erklärten sich gerade nicht aus einer Absage an ihre früheren Grundsätze und „Orientierungen, sondern aus einer überprägnanten Lesart dieser Grundsätze.“ Übersetzt in einfacheres Deutsch: Gerade weil die moralische Orientierung der Pazifisten so stark ist, schlägt sie jetzt in den Willen zu einem gegenteiligen Handeln auf der Basis eines immer noch exakt gleich starken moralischen Denkens aus. Die entschiedene, gerade auch militärische Abwehr des russischen Aggressors wird so für viele Pazifisten von einst heute zum Gebot der Stunde.

Habermas kritisiert allerdings eine solche Kehrtwende um 180 Grad, wenn er am Ende schreibt: „Gewiss, ohne moralische Gefühle keine moralischen Urteile; aber das verallgemeinernde Urteil korrigiert auch seinerseits die beschränkte Reichweite der aus der Nähe stimulierten Gefühle.“ Wieder übersetzt: Lass Dich nicht ausschließlich von Deinen Gefühlen leiten, sondern nimm die Vernunft mit dazu! Ein kluger Rat. Was allerdings zu viel Vernunft bedeutet, hat dieser Tage unser Justizminister Marco Buschmann gezeigt. Im Bundestag argumentierte er so ganz vernünftig, dass die Ausbildung von ukrainischen Soldaten keine Kriegsbeteiligung Deutschlands bedeute, weil sie durch das Völkerrecht erlaubt sei. „Diese Sorge kann ich nehmen“, meinte er großzügig im Parlament. Bleibt die Fußnote: Hoffentlich weiß Putin in diesem Fall, dass das Völkerrecht auch für ihn gilt!

Straubinger Tagblatt vom 13. Mai 2022