Wie viel Geld macht glücklich? Voller Unverständnis schüttelte vor Jahren mein Religionslehrer, zugleich ein guter Priester, den Kopf, weil ihn sein Bruder extra angerufen habe, dass er jetzt die erste Million verdient habe. Eine Million Mark damals, das sei doch gar nicht vorstellbar, sein Vorstellungsvermögen höre schon weit vorher auf, so meinte der redliche Mann. Warum scheffeln Menschen Millionen? Der Schriftsteller Martin Walser hat eine Diagnose: Es seien die entscheidenden Zahlen gegen den Tod. Die Uhr des Lebens mit ihren abnehmenden Zahlen auf den Tod zu laufe ab. Bis zum bitteren Ende. Wenn wenigstens der Geldhaufen wachse, ein Leben lang, dann sei das für viele die Gegenbewegung, die wenigstens tröstlich sei.
„Vermute nie eine bessere Gesinnung, wenn es noch eine schlechtere gibt“, so meinte dagegen ein Politikredakteur dieses Verlages und noch kurz vor seinem Tod hielt er an dieser Meinung fest. Ja, das Geld ist für viele der ganz große Treiber. In den letzten Wochen zu besichtigen beim Schlachthofmagnaten Clemens Tönnies. Während seine Mitarbeiter in vorzivilisatorischen Standards hausen mussten, scheffelte er buchstäblich ein Milliardenvermögen, nicht nur eine oder zwei Millionen.
Gleichzeitig führte er den Traditionsclub Schalke 04 in der Form, dass dort heute Schulden sind in Höhe von 200 Millionen Euro. Warum hat er die nicht beglichen? Das wäre doch naheliegend gewesen. Und ihm wären immer noch sage und schreibe 800 Millionen Euro geblieben. Auch davon kann man doch noch einigermaßen leben. Stattdessen bezahlte er den ehemaligen Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel gut, um sein Schlachtunternehmen international noch weiter nach vorne zu bringen. Die Jugendmannschaften von Schalke 04 dagegen haben heute keine Busfahrer mehr, die waren immerhin auf 450-Euro-Basis angestellt, aber das konnte sich der Verein nicht mehr leisten.
All das war schon ein sehr seltsames Schauspiel. Aber immerhin ist Tönnies mit Armin Laschet befreundet, der in Deutschland immer noch Kanzler werden will, auch wenn es jetzt allmählich eng für ihn wird. Ganz exakt so schauen also die Schattenseiten des Kapitalismus aus. Karl Marx lässt grüßen.
Dass die Grundrente schlampig gebaut ist und alle Züge eines typischen politischen Kompromisses trägt, ist das eine. Aber sie ist gerade in diesen Tagen ein Signal, dass es wenigstens den Versuch von mehr Gerechtigkeit gibt. Es kann doch nicht sein, dass die einen Milliarden scheffeln und die anderen im Alter hungern müssen. Oder im Krankheitsfall sich keine ausreichende Versorgung leisten können. Ein Drittel der Menschen in Deutschland hat Angst, abgehängt zu werden, und das hat dann doch Gründe. Die Grundrente hätte man viel differenzierter und sorgfältiger bauen müssen, aber das Signal, dass es sie jetzt gibt, ist richtig und gut.
Es gibt viele Sprüche, die uns sagen, dass Reichtum beileibe nicht alles ist. „Das letzte Hemd hat keine Taschen“, ist einer der schönsten davon. Eine Münchner Society-Lady sagte dagegen vor Kurzem im Fernsehen auf die Frage, wann es denn genug sei, was ein Mann ihr bieten müsse: „Es ist nie genug!“, und ihre Augen funkelten voller Lust am Reichtum. Dass sie selber mittlerweile aussieht wie ein verfallenes mittelalterliches Schloss, das längst keiner mehr bewohnen will, war ihr im Spiegel offenkundig nicht aufgefallen. Denn zu viel Geld macht in aller Regel die, die ihm nachjagen und häufig regelrecht verfallen sind, hässlich, und das gilt für Männer und Frauen.
Ins Bild dieser Tage passt dann gut, dass es ein windiges Unternehmen wie Wirecard mit Luftbuchungen in den Dax geschafft hat. Seit 2014 sollen dort die Bilanzen gefälscht worden sein. Einer der Gangster will sich verantworten, damit danach sein Leben wenigstens irgendwie weitergeht. Der andere ist untergetaucht. Wer das bessere Schicksal haben wird, ist lange nicht ausgemacht.
In den Vorlesungen der Betriebswirtschaft lernt man, dass das Engagement der Klugen und Begabten, die so am Ende zu Geld kommen, den allgemeinen Wohlstand fördert und so auch die Mehrheit der Bürger in einem Land zu mehr Wohlstand bringt. Das ist nicht nur falsch. Die klassische These der Linken ist dagegen, dass der Reichtum der Reichen sich zulasten und auf Kosten der Armen aufbaut. Das ist auch nicht nur falsch!
Straubinger Tagblatt vom 4. Juli 2020