„Mental“ seien wir in Deutschland nicht mehr auf „Krieg eingestellt“, meint der immer noch recht neue Verteidigungsminister Boris Pistorius. Nur wenn wir in der Lage wären, „einen Abwehrkrieg, einen Verteidigungskrieg führen zu können“, würden wir das am Ende „nicht müssen“. So weit – so gut und so richtig. Das ist die traditionelle Lehre der Abschreckung, die für eine wehrhafte Demokratie lebenswichtig ist.
Aber Achtung: Mittlerweile wird von immer mehr Politikerinnen und Politikern die scheinbare Normalität des Krieges hinter einem solchen Sprechen insinuiert. Kriege habe es immer gegeben, sie seien gleichsam ein Naturzustand der Geschichte, so sagen viele von ihnen. Es ist keine zufällige Häufung, dass gleichzeitig in allen bürgerlichen Parteien der Krieg mittlerweile als alternativlos akzeptiert wird. Von Norbert Röttgen und Roderich Kiesewetter (beide CDU) über Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP) bis hin zu Michael Roth (SPD), der zwar diametral entgegensteht zu seinem Fraktionsvorsitzenden Rolf Mützenich, aber als Außenpolitiker die Linie seiner Partei zu vertreten vorgibt.
Die zweite Säule des Friedenskonzeptes der westlichen Welt in den 70er- und 80er-Jahren war neben dem Prinzip der Abschreckung Gespräch und Diplomatie. Zutiefst ernsthaftes Bemühen, den Frieden gerade auch in schwierigen Zeiten aufrechtzuerhalten! Als 1968 die Truppen der UdSSR in Prag einmarschieren, um dort den sogenannten „Prager Frühling“ blutig niederzuwerfen, warnt der damalige SPD-Fraktionsvorsitzende Helmut Schmidt, später der vielleicht beste Kanzler in diesem Land jemals, in einem Gastbeitrag für die Münchner „Abendzeitung“ davor, mit eigener Gewalt der Nato dagegenzuhalten, und wirbt stattdessen dafür, an der „Entspannungspolitik“ festzuhalten, um den Frieden in Europa nicht zu gefährden. Das Ende ist bekannt, Tschechien oder auch Ungarn sind heute ohne Krieg Teil der freien Welt.
Dass wir „mental“ nicht auf Krieg eingestellt sind, entspricht dem eigentlichen Grundbedürfnis und der eigentlichen Grundhaltung des Menschen im Widerspruch zu den blutigen Auseinandersetzungen der Antike oder auch des 20. Jahrhunderts. Zum Frieden gehört mehr, als die Messer so laut zu wetzen, dass der potenzielle Gegner Angst vor einem Angriff bekommt. Der bekannte Theologe und Friedensphilosoph Eugen Biser, der geprägt war von den schrecklichen Erlebnissen im Zweiten Weltkrieg, hat in diesem Sinn in den letzten Jahren vor seinem Tod zwei Sätze immer wieder gesagt: „Wer Krieg und Frieden sagt, der hat den Frieden schon verraten.“ Und als zweites: „Der Friede ist alternativlos. Er ist durchzuhalten.“
Hinter jeder Art der Abschreckung muss zuerst ein tiefer Friedenswille erkennbar bleiben. Dass die Bürgerinnen und Bürger in diesem Land „mental nicht auf Krieg eingestellt sind“, ist sicher nicht nur ein beklagenswerter Zustand ihres Bewusstseins.
Straubinger Tagblatt vom 3. November 2023