Leitartikel: Transatlantische Beziehung – Der weiße Ritter, der Amerika niemals war

Aus einem falschen Welt- und Selbstverständnis zu erwachen, ist eine schmerzhafte Angelegenheit. Am schönsten hat das der Schriftsteller Martin Walser in seinem Roman „Halbzeit“, geschrieben im Jahr 1960, auf den Punkt gebracht. Als die Hauptfigur Anselm Kristlein endlich die eigene Situation versteht und aus einem falschen Welt- und Selbstbild herausfindet, urteilt er treffend über sich: „Ich fühle mich wie Don Quijote, nachdem er las, was Cervantes über ihn schrieb.“ Don Quijote, der Ritter aus einer anderen Zeit und einer anderen Welt, der in Wirklichkeit nur gegen Windmühlen kämpft. Der Leser weiß es, er selber nicht! Kaum anders ergeht es jetzt in zweifacher Weise den Ländern Europas.

Drei Jahre haben die Europäer mit größter Anstrengung und sehr viel Geld für „Freiheit und Demokratie“ in der Ukraine gekämpft – und jetzt lösen andere das Thema, ohne Europa auch nur mit ins Gespräch nehmen zu wollen. Europa hat mehr getan für die Ukraine als die USA, gerade auch finanziell, aber der Sonderbeauftragte der USA, Keith Kellog meint auf die Bitte der Europäer, dass man „mit am Tisch sitzen wolle“, wie es immer heißt, in aller Offen- und Unverschämtheit: „If they wanna sit at the table, they have to bring more to the table!“ (Übersetzt: Wenn sie mit am Tisch sitzen wollen, müssen sie mehr an den Tisch mitbringen). Das ist ein unglaublicher Zynismus!

Und das zweite Erwachen: Aus allen Wolken fallen viele, weil Donald Trump für ein Amerika zu stehen scheint, von dem sie glauben, dass das so gar nicht absehbar gewesen sei. Als zeigten die USA erst jetzt ihr wahres Gesicht. Gerade das ist doch der ganz große Irrtum.

Viele in Europa sind halt stehen geblieben bei den Bildern, auf denen amerikanische GIs nach der Befreiung Deutschlands 1945 freundlich lachend Orangen und Kaugummis von ihren Jeeps herab verteilen. Amerika als der weiße Ritter! Diese Zeiten waren doch schon vorher lange vorbei!

Die USA der letzten 60 Jahre, das waren die blutigen Massaker in Vietnam, die vielen Schweinereien in Mittel-und Südamerika bis hin zum politischen Mord, etwa in Chile, das Unterstützen autoritärer und mörderischer politischer Systeme gegen demokratische Bewegungen weltweit, der unsinnige Krieg in und gegen Afghanistan, die verlogene Kriegsbegründung beim Überfall auf den Irak. Amerika hat längst seine politische Unschuld verloren, falls es sie jemals gab.

Im Land selber herrscht zudem ein weitgehend ungezügelter und oft genug seelenloser Kapitalismus und die Benachteiligung der „Black People“ ist längst nicht vorbei, die vielen von weißen Polizisten ermordeten Schwarzen der letzten Jahre geben beredtes Zeugnis dafür ab. Aber wer in den Zeiten vor Donald Trump auf solche Dinge hinwies, dem wurde schnell und laut Antiamerikanismus unterstellt. Die „transatlantische Freundschaft“ war mit allzu großen Buchstaben auf die Fahnen geschrieben, daran war nicht zu zweifeln.

Gezweifelt an diesen USA hat allerdings immer stärker die Bevölkerung dort selber, – bis sie, angewidert von den immer spürbarer werdenden Fehlern des Systems ihren neuen Helden fand: Donald Trump! Es ist eine paradoxe und tragische Geschichte, dass im Versuch, ein kaputtes politisches System zu verändern, genau der gewählt wird, der das korrupte und falsche Amerika nochmals in einer gewaltigen Steigerung zu einem neuen unvergleichlichen Höhepunkt bringt. Unter Joe Biden wechselte noch 30 Prozent der landwirtschaftlichen Fläche in der Ukraine seinen Besitzer. Das gehört jetzt amerikanischen Investmentfirmen, ohne dass das eine breitere Öffentlichkeit mitbekommen hat. Donald Trump fordert dagegen in aller Offenheit die Hälfte der Bodenschätze der Ukraine, er ist also, – wenn man es zynisch auf den Punkt bringen möchte –, auf diese Weise immerhin ehrlicher als seine Vorgänger im Amt!

Und wie geht es jetzt weiter? Für uns in Deutschland und in Europa? Das bleibt offen und ist jeden Tag in den Abendnachrichten neu zu beobachten. Aber wer so überrascht erwacht – wie mancher in diesen Tagen –, der hat vorher schlicht nicht gut genug hingeschaut, was die wirkliche Situation längst ist. Und ob man an jedem Tisch auf dieser Welt wirklich zum Sitzen kommen muss, ist auch eine offene Frage. Vor allem, wenn es dort nicht viel zu gewinnen gibt.

Was am Ende aber gar nicht geht, ist, dass die, die dort sitzen, die, die dort nicht sitzen, zu irgendwelchen Friedenstruppen an einer neuen Grenze fernab vom Osten Europas abkommandieren. Es wäre schön, wenn solche einfachen Gedanken, die gar nicht so schwer zu verstehen sind, auch einmal von den Parteien in der politischen Mitte unseres Landes und nicht nur an den Rändern des politischen Spektrums verstanden und beherzigt würden. Am Ende gibt es sonst nochmals ein überraschtes Erwachen, an den Wahlurnen, wo die Bürgerinnen und Bürger mit ihrer Einschätzung, was „deutsches Interesse“ ist, längst nicht mehr hinter dem Berg halten.

Straubinger Tagblatt vom 28. Februar 2025