Das war spannend, dass der Vier-Sterne-General Carsten Breuer, Generalinspekteur der Bundeswehr, schon zwei Tage vor Beginn der Sicherheitskonferenz in München angelandet war und sich dort mit einem fast einstündigen Vortrag dem Peutinger-Kollegium in aller Offenheit stellte. Carsten Breuer gilt als nachdenklicher Militär. Als Vater dreier Töchter steht er mitten im Leben und auch mitten in der Gesellschaft. Sein Vortrag allerdings hatte es in sich.
Er zeichnete das große Bild der Gefahren, die allüberall auf der Welt sich immer weiter zuspitzen: die ständige Aufrüstung in Russland, die ungebrochen fortläuft und im Jahr 2029 eine echte Angriffsbedrohung für die Nato-Länder darstelle; China mit seinem Macht- und Expansionsdrang, die Huthi-Rebellen, die keine Chaostruppe seien, sondern eine bestens organisierte Kampfeinheit, die hochgradig gefährlich sei; die Situation im Nahen und Mittleren Osten, nicht zuletzt die von den großen Machtblöcken der Welt umkämpfte Zukunft Afrikas. Am Ende natürlich die veränderte Situation in den USA, die auch für Deutschland und Europa eine neue und veränderte Lage bringe. Es wurde einem fast schlecht beim Zuhören, auch wenn der General im Ton ruhig und gelassen blieb. Immerhin konstatierte er, dass in den letzten Jahren die Bundeswehr einen deutlichen Aufholvorgang gestartet habe, der Deutschland und Europa guttue und den es auch dringend brauche. Die 100 Milliarden Euro, die die Bundesregierung im Sofortprogramm zugesagt habe, seien zur Gänze angekommen und verplant, auch wenn es dauere, alle Investitionen und Projekte umzusetzen. Aber man sei dabei und nicht untätig. Er blicke positiv auf die Entwicklung, in der sich die Bundeswehr in dieser Zeit wiederfinde.
Allerdings seien – und das war dann doch hochinteressant – die Zeiten so schnelllebig, dass man bei der Drohnenbeschaffung gar keine Drohnen mehr kaufen wolle, sondern mit der Industrie Verträge machen müsse, dass diese fortlaufend immer die neueste Drohnenart entwickle und vorhalte. So kurz seien die Innovationszyklen bei dieser Waffenart. Während noch vor Jahren diskutiert wurde, ob der Einsatz von Drohnen, wo das eigene Leben im Kampf nicht gefährdet ist, moralisch erlaubt sei, sieht der General heute keine Möglichkeit des Abwehrkampfes gegen den Feind ohne den Einsatz von Drohnen, die buchstäblich „um die Ecke“ schauen können, wie er es formulierte.
Einer Wiedereinführung der Wehrpflicht erteilte der General allerdings eine deutliche Absage. Denn diese binde Offiziere und Unteroffiziere in der Ausbildung der Wehrpflichtigen stark und schade der Abwehrfähigkeit des Landes. Es gebe ausreichend Programme für Freiwillige in einer kleineren Zahl, die der Armee besser weiterhelfe.
Je länger man dem General zuhörte, umso klarer wurde mit jeder Minute des Vortrags, dass – wo die Welt von heute von einem so vielfachen Overkill aus allen Richtungen bedroht ist – es am Ende gerade keine rein militärische Möglichkeit gibt, die schlimmsten Szenarien, die vorstellbar sind, zu verhindern. Der General sprach von einer „multipolaren Krisensituation“ – und seine Antwort war genau die, zu der ein Militär gerufen ist: „Kriegstüchtigkeit“, wie er es natürlich nannte – und das ist für einen Militär auch angemessen, denn sonst wäre er nur ein Klempner, der nicht weiß, wie man Rohre richtet.
Aber eine politische Perspektive fehlt einem solchen Denken und Reden. Der General sprach – und das bringt sein Beruf mit sich – wie ein Abwehrspieler im Fußball, der erklärt, welche Wege die gegnerischen Stürmer alle wählen könnten, um ein Tor zu schießen. Und hier endet diese Perspektive dann auch.
Politik muss heute – im Unterschied zum militärischen und strategischen Denken – gerade deshalb einen entscheidenden Schritt weitergehen und ein zusätzliches Feld bereiten: den Weg der Politik, also des Dialogs, der vertrauensbildenden Maßnahmen, der defensiven Haltung, der wertschätzenden Anerkennung auch des bedrohlichen Gegners in der Begegnung mit ihm, die so zeigt, dass man an Kriegen mit ihm nicht interessiert ist. Dass die Verhinderung einer solchen „Lose-lose-Geschichte“ eines Krieges, wo alle Beteiligten nur verlieren können, politisch ausgeschlossen werden soll, das muss im Handeln und Sprechen demokratischer Politiker spürbar werden und bleiben. Wer dem liebenswürdigen General Breuer zuhörte, hatte erst den Eindruck, dass es um die Abwehr im Falle eines Krieges geht, dann – im Verlauf des Vortrags –, dass ein Krieg durchaus möglich wäre, am Ende, dass er im Raum steht, ganz zum Schluss, dass er kaum mehr zu verhindern ist.
Generäle dürfen und müssen so denken und sprechen. Politiker müssen dagegen einen Horizont dahinter entwickeln, damit ein solches Sprechen am Ende keine selbsterfüllende Prophezeiung wird. Damit von solchen Szenarien keine Eigendynamik, die erst recht gefährlich ist, ausgeht.
Nach der Veranstaltung erzählte mir eine Unternehmensberaterin, dass sie zurzeit 120 Existenzgründer betreue, die allesamt Militärdrohnen entwickelten. In der jungen Waffenindustrie herrsche „Goldgräberstimmung“, wie sie es nannte. Auch das ist am Ende eine Eigendynamik hierzulande, die doch nachdenklich stimmt.
Straubinger Tagblatt vom 14. Februar 2025