Leitartikel – Herr Weber bitte umkehren!

Da war der Aufschrei in der eigenen Partei nicht zu überhören, als der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz vor drei Tagen in den „Grünen“ plötzlich den Hauptgegner der CDU entdeckte und das laut formulierte. Die Gründe für diesen Widerspruch sind schnell erzählt: Denn in vielen Landesregierungen arbeitet die Union gut und klug mit den Grünen zusammen. Zudem liegt im Ziel der Bewahrung der Schöpfung ein gemeinsamer Markenkern von Union und Grünen.Und am Ende ganz gravierend: Das Ausrufen eines solchen Feindbildes, um es drastisch zu formulieren, widerspricht einem kooperativ-integrativen Politikstil, wie ihn seriöse Politiker in der Union längst pflegen. Wieder einmal hat Friedrich Merz in die strategisch-rhetorische Mottenkiste gegriffen, um vor allem Wählerinnen und Wähler, die er rechts der Mitte vermutet, abzuholen. Noch schlimmer allerdings ist die Europa-Politik, die die Europäische Volkspartei (EVP) mit ihrem Vorsitzenden Manfred Weber zurzeit aufführt.
Mit viel Mühe ist es gelungen, im sogenannten „Green Deal“ eine gemeinsame europäische Umweltpolitik zu skizzieren, die tatsächlich den Erfordernissen der Zeit einigermaßen Rechnung trägt. Wesentlicher Bestandteil: Das „Naturschutzgesetz“, das vor allem Wasser und Böden besser schützen kann, was so dringend notwendig ist. Ebenfalls mit Blick auf Wahlen in einigen europäischen Ländern hat sich hier zusammen mit Manfred Weber eine Allianz aus rechtskonservativen und zum Teil sogar nationalistischen Politikern gebildet, die dieses Gesetz zum Scheitern bringen wollen und kurz davor sind, das auch zu erreichen.
Die vorgetragenen Argumente, dass dieses Gesetz den Landwirten schade und die Ernährungssicherheit gefährde, sind nachgewiesenermaßen falsch. 3 300 Wissenschaftler haben das in einem offenen Brief, der große öffentliche Aufmerksamkeit fand, aufgezeigt. Es gibt keinen ernstzunehmenden Experten, der die Argumente von Weber und den Seinen ernsthaft diskutiert.
Das Gegenteil ist der Fall: Alle Wissenschaftler stimmen überein, dass genau jetzt noch ein Zeitfenster ist, Umweltkatastrophen, Verödung von Land und Wäldern wenigstens einzugrenzen, wenn schon nicht mehr ganz zu verhindern. Auch die Bäuerinnen und Bauern, die gesellschaftlich nicht mehr nur die Rolle von Nahrungsmittelproduzenten spielen sollen, sondern auch als Naturschützer gefragt sind, sind längst keine Gegner dieses neuen Rollenverständnisses mehr. Sie wollen aber für diese zusätzlichen Leistungen geschätzt, fair bezahlt und auch im internationalen Wettbewerb besser geschützt werden.
All das geschieht aber mit der Verhinderung eines mehr als sinnvollen europäischen Gesetzes gerade nicht! Das ist nur rückwärtsgewandte Blockadepolitik zulasten zukünftiger Generationen! Unter Federführung von Alois Glück hat gerade die CSU eine Zukunftsvision entwickelt, der dieses Umweltgesetz exakt entspricht, sodass man sogar sagen kann, dass sich die Europa-Politik Manfred Webers explizit gegen die Interessen seiner eigenen Partei richtet.Und weshalb das? Auch hier geht es um das Fischen im europäischen Wählerteich am rechten Rand. Wieder einmal! Politische Beobachter sagen zudem, dass die Dauerrivalität Webers mit der Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, die diesen Gesetzentwurf will, eher stärker als schwächer wird, was der politischen Arbeit in Europa nicht guttue.
Wie wird das Ganze ausgehen? Dass Merz Kanzlerkandidat der Union wird, ist nahezu auszuschließen. Als Einwechselspieler, der fast 20 Jahre buchstäblich auf der Bank saß und eine nicht gelebte Biografie viel zu spät noch einlösen will, ist seine Position nicht nur bei der Bevölkerung schwach. Auch die CDU im Bund mit Jens Spahn und einem schwachen Generalsekretär wird sich gegenüber den starken Länder-Chefs in Bayern, Nordrhein-Westfalen oder im Norden Deutschlands kaum durchsetzen können. Die werden sich am Ende einigen, wer ihr Kandidat bei der nächsten Bundestagswahl sein soll.
Manfred Weber dagegen hat über viele Jahre solide und seriöse Europa-Politik betrieben. Erst seit der Wahl von Ursula von der Leyen zur Kommissionspräsidentin hat er als Mannschaftskapitän der EVP begonnen, einige beachtliche Fehlpässe zu spielen. Bis Juli, wenn das europäische Umweltgesetz endgültig beschieden wird, hat Manfred Weber noch Zeit, den nächsten Fehlpass zu korrigieren. Notwendig wär’s aus vielen Gründen!
Straubinger Tagblatt vom 30. Juni 2023