„Von einem Krieg weiß man immer, wie er begonnen hat, aber niemals, wie er ausgeht!“ Mit diesem Satz, den er so oft wiederholte, warnte der Religionsphilosoph und Friedenstheologe Eugen Biser regelmäßig davor, sich an militärischen Konflikten leichtfertig zu beteiligen. Kaum jemals hat dieser Satz so zugetroffen wie in diesen Tagen.
Wer hätte vorausgesagt, dass der engste Verbündete Wladimir Putins sich gegen den eigenen Präsidenten wendet und Richtung Moskau marschiert? Das zeigt auch das ganze Niveau dieses Bruderkriegs an der Ostgrenze Europas. Dass Söldner sich verselbständigen und zu politischen Figuren werden, hat man zuletzt in den Geschichtsbüchern über Hannibals Feldzüge beim Punischen Krieg gelesen oder in der Gegenwart bei Auseinandersetzungen in afrikanischen Staaten, wo es ähnlich blutig zugeht!
Ein zweiter Satz, den Politikwissenschaftler so gerne sagen, hat ebenfalls seine Gültigkeit erwiesen: „Diktatoren sind in der Regel im Letzten unglaublich schwach !“ Wir haben das bei Saddam Hussein gesehen, der sich am Ende in einem Erdloch verkroch, um buchstäblich nicht mehr gesehen zu werden, oder auch bei Muammar al-Gaddafi in Libyen. Sie sind der Schrecken ihres Landes, morden und vergewaltigen, brechen jedes Recht, aber am Ende steht hinter ihrer nach außen getragenen Maske des starken Bösen das schwache Zerrbild eines echten Menschen.
Die Reaktionen mancher Politiker in den Medien in diesem Land waren dementsprechend: Putin sei jetzt geschwächt, jetzt gelte es, die Ukraine noch massiver militärisch zu unterstützen. Die Roderich Kiesewetters und Carlo Masalas in ihrem Element! Der Außenpolitiker Norbert Röttgen, CDU, erklärte auch noch lauthals, dass Putin jetzt gedemütigt sei. Das mag schon sein, aber nur ein politischer Halbidiot würde das laut aussprechen! Es gilt die Regel: Erkläre niemanden, der in der Welt immer noch eine Rolle spielt, für gedemütigt. Barack Obamas Satz von der „Regionalmacht Russland“, die mit den USA nicht ebenbürtig sei, ist übelst auf ihn selbst zurückgefallen. Solche Sätze machen die Welt beileibe nicht friedlicher! Denn die Situation in Russland ist durch diese unerwartete Wendung der Dinge nochmals komplexer und schwieriger geworden. Niemand kann heute voraussagen, was im Osten Europas geschieht. Die naheliegende Antwort, den geschwächten russischen Präsidenten jetzt mit noch mehr westlichen Waffen weiter in die Defensive zu drängen, könnte gerade die ganz falsche Reaktion sein.
Die ukrainischen Politiker drängen natürlich darauf; aber ist es für uns gut, ihren Insinuationen und Einflüsterungen zu glauben? Macht das unsere Welt sicherer? Putin werde die Atomkarte weiter nicht ziehen, sagen die selbstgewissen Fachleute, weil das dramatische Konsequenzen für ihn hätte. Aber welche ? Wie oft wurde das schon gesagt in den letzten Monaten!
In Anbetracht einer ungewissen Situation mit selbst-gewissen Antworten zu glänzen, das erscheint doch mehr als fragwürdig. In den deutschen Talkshows begannen diese selbstsicheren Antworten bereits am Sonntagabend bei Anne Will. Und sie werden weitergehen. Wer das Glück hat, österreichisches Fernsehen zu empfangen, der erfährt dort eine weit intelligentere Antwort auf das Geschehen vom Wochenende: Die Fachleute sitzen beieinander und haben keine fertigen Antworten auf das Geschehen in Russland. Mit dem Abstand des klugen Beobachters versuchen sie, die Situation zu verstehen und vorsichtig zu bewerten. Denn: „Von einem Krieg weiß man immer, wie er begonnen hat, aber niemals, wie er ausgeht!“
Straubinger Tagblatt vom 27. Juni 2023