Vor Kurzem fragte mich ein altgedienter hochrangiger Politiker der CSU, weshalb unsere Zeitung nicht kritischer und offensiver über das Treiben der konservativen Bischöfe in Deutschland, vor allem des Bischofs von Regensburg, anschreibe. Das ist dann doch erstaunlich, wenn ein über 70-jähriger erfolgreicher Politiker der CSU einen kritischeren Kurs dieser Zeitung gegenüber der Amtskirche einfordert, die ihm ja sonst nahesteht.
Aber es gibt auch gute Gründe, in dieser Sache etwas vorsichtig zu sein. Denn die Zahl der Bischöfe, die den neuen „Synodalen Weg“ nicht mitgehen wollen und ihn sogar sabotieren, ist doch sehr klein. Wenn die Medien jetzt auf diese wenigen ganz Konservativen andauernd ein verstärktes Augenmerk richten, so entsteht am Ende der Eindruck, dass die gesamte Kirche von gestern sei. Eine Kirche, die aus ein paar dogmatischen Bischöfen, zahlreichen Missbrauchsfällen und einigen alten Frauen und Männern besteht, die am Sonntag noch immer die Kirche besuchen.
Das Gegenbild ist aber doch eher richtig: Wer unter der Woche in seiner Mittagspause durch die Fußgängerzone von München läuft, der wird von einem kleinen Plakat eingeladen, an einer „Atempause“ in der Jesuitenkirche von St. Michael teilzunehmen. Das Ganze dauert 15 Minuten, vorgelesen wird ein kurzer meditativer Text, danach gibt es wunderbares Orgelspiel, am Ende den Segen. Die Reihen der Kirche sind dicht gefüllt, Liebespaare sitzen Arm in Arm, ein Bild der Ruhe und der Zufriedenheit.
Oder auch der Papst aus Argentinien. Natürlich kann er sich im eitlen Vatikan nicht durchsetzen. Und schon seine Angst, dass die Kirche gerade unter seinem Pontifikat zerbricht, lässt ihn allzu vorsichtig bleiben. Aber wer seine Texte genau liest, vor allem auch ihre politischen Konnotationen, der muss doch sehen, welch revolutionäre Entscheidung der Kardinäle genau dieser Papst Franziskus immer noch ist. Der mit seinem Leben, Handeln und Reden Zeichen setzt, dass es so in der Welt nicht weitergehen darf.
Oder auch all die Einrichtungen der katholischen Kirche, die den Menschen dienen. Die Krankenhäuser, Kindergärten, Schulen oder sogar Universitäten. Was wäre eine Welt ohne diesen Kern des christlichen Glaubens für eine Welt! Eine Plastikveranstaltung ohne Geist und ohne Seele.
Gerade deshalb aber ist es dann doch interessant, zu fragen, weshalb es einige irrende Schafe unter den Bischöfen gibt, die die Zeichen der Zeit nicht erkennen können. Ein Blick nach Köln lohnt zuallererst. Wer den Lebenslauf des Kardinals Rainer Maria Woelki liest, der hat die Lebensgeschichte eines sozialen Aufsteigers vor sich. Aus einfachsten Verhältnissen kommend, hat er einen unglaublichen Weg hinter sich. Glänzendes Studium, dann der Aufstieg zum Bischof, am Ende Kardinal. Allerdings immer verbunden mit einem Konservatismus bis hin zur Nähe zum Opus Dei.
Wer einmal bei einem Bischof zu Gast war, der weiß, welch wunderbare Welt der Ruhe und des allseitigen Komforts dort spürbar wird. Weich ist es da und leise. Abgeschirmt vom Lärm der Welt wird gelebt und gebetet.
Und jetzt soll Woelki das alles aufgeben? Das leuchtet ihm nicht ein, auch wenn schon Tausende seiner Glaubensbrüder wegen seiner Person die Kirche verlassen haben. Und so stellt er sich jetzt erst recht trotzig auf den Standpunkt seines hierarchiebetonten Konservatismus, der ihn von den „Normalgläubigen“ so hervorhebt. Und so gehen ideologischer Konservatismus und eigenes Fortkommen eine unselige Verbindung ein. Unter Priestern und Ordensleuten gibt es das wunderbare Wort: „Der hat auf Bischof studiert.“ Will sagen, dass es gerade auch in der Kirche nicht nur um den Dienst am Nächsten geht, sondern bei manchen Mitchristen Karriereplanungen genauso betrieben werden wie in der Politik.
Aber es bleibt doch die Frage, weshalb jenseits von eigenem Fortkommen und konservativen Vorfestlegungen manche Bischöfe in ihren Vorstellungen so gefangen bleiben. Ein Grund ist sicher die Angst, die fundamentalistischen Positionen immer zugrunde liegt. Was würde passieren, wenn in der Kirche nicht mehr die Hirten die Richtung vorgeben, sondern die Schafe ein eigenes Bewusstsein entwickeln? Würde da nicht alle Ordnung über Bord gehen? Für so manchen Bischof eine schreckliche Vorstellung!
Und dann kommen natürlich noch all die Fallstricke dazu, die in der Geistesgeschichte des Christentums angelegt sind. Der späte Augustinus, der die Fleischeslust geißelt, oder auch der dänische Philosoph Søren Kierkegaard, der den Menschen umschlungen von Schuld und Erbsünde (fast) hoffnungslos verloren sieht. Dass Kierkegaard als Mensch vollkommen scheiterte und überhaupt keine tragfähigen Beziehungen entwickeln konnte, tritt da gegenüber der scheinbar so geheimnisvoll großartigen Philosophie vollkommen in den Hintergrund. Immerhin hat der Philosoph Theodor W. Adorno das Denken des vorgeblichen Christen Kierkegaard in seiner Doktorarbeit so wunderbar entlarvt. Aber bei den konservativen Bischöfen steht er im Bücherregal an vorderster Stelle.
Kann man das Bewusstsein der konservativen Bischöfe ändern? „Erklären Sie einem Wahnsinnigen, dass er wahnsinnig ist“, pflegt ein kluger Psychotherapeut über seine Klientel manchmal schmunzelnd zu sagen. Wahnsinnig sind die konservativen Bischöfe sicher nicht, aber in ihrem Festhalten an überkommenen Positionen und konservativen Ideologemen sicher nicht dialogwillig, vielleicht sogar auch gar nicht mehr dialogfähig.
Sind sie in der Kirche die schweigende Mehrheit? Am Ende doch eher nicht. Es sind wenige, Einzelne. Sicher, der Vatikan in Rom bleibt ein Hort der Eitelkeit und der nahezu mafiosen Verstrickungen. Das konnte auch dieser Papst nicht lösen. Aber in der Weltkirche gibt es doch eine ungeheure Zahl von mitfühlenden, mitleidenden, mitlebenden Priestern und Ordensleuten, die das „Salz der Erde“ bleiben. Wenn die Medien ihr Augenmerk immer nur auf die irrenden Bischöfe legen, dann wird die Sache des Christentums geschwächt. Dann geht der Blick auf das, was in der Kirche gut und lebenswichtig ist, verloren.
Und wenn wir am Ende auf unsere bayerischen Bischöfe schauen, die der CSU-Politiker härter kritisiert sehen will. Sie stehen doch im Glauben, das kann man ihnen nicht absprechen. Und sie leisten in unserer Heimat sehr viel Arbeit, die auch fruchtbar ist. Und am Ende glauben sie wohl wirklich, was sie glauben.
Über die Wahnsinnigen pflegte der liebenswürdige Psychotherapeut zu sagen, dass sie alle in ihrer je eigenen Welt lebten. Deshalb gebe es Glaubensbrüder, weil die alle in einer gemeinsamen Welt lebten, aber keine Wahnbrüder. Bei aller Kritik – unsere konservativen Bischöfe bleiben unsere Glaubensbrüder, so schwer das manchmal ist.
Straubinger Tagblatt vom 23. Oktober 2021