Parteien – Wege in die Zukunft

Das war schon sehr lustig, als der stellvertretende CDU-Vorsitzende Norbert Röttgen am letzten Sonntag in der Talkshow von Anne Will erzählte, dass man nun in seiner Partei aufpassen müsse, nicht den Weg der SPD zu gehen. Zur Erinnerung: Die SPD hat gerade zwei Landtagswahlen und eine Bundestagswahl an einem Sonntag gewonnen. Die Wahl in Mecklenburg-Vorpommern mit einem geradezu unglaublichen Vorsprung. Kein Wunder, dass die Wahlsiegerin aus diesem Land, Manuela Schwesig, die mit in der Runde saß, bei so viel ignoranter Unverschämtheit nur noch entsetzt den Kopf schüttelte.

Überhaupt, diese ganzen Ehrgeizlinge in der CDU, die sich jetzt plötzlich über die Medien zu Wort melden, um das Schicksal der Partei scheinbar zum Besseren zu wenden. Der immerwährende Friedrich Merz, der noch bei jeder Niederlage der CDU entweder mit an Bord war oder gleich selbst unterlag. Jens Spahn, der zweitklassige Karrierist, der in der Corona-Krise mit ernster Miene den Weltverbesserer spielte, aber doch nicht verbergen konnte, dass es ihm immer zuerst um die eigene politische Laufbahn geht. Und Norbert Röttgen, der ewige Talkshow-Gast, der im immer gepflegten Anzug das Gegenmodell zu jedem hart arbeitenden Mitarbeiter dieser Gesellschaft darstellt. Wenn das die Zukunft der CDU sein soll, dann gute Nacht!

Eines verbindet die SPD und die CDU allerdings tatsächlich. Bei beiden Parteien werden die Milieus, die traditionell ihre Partei wählen, von Jahr zu Jahr kleiner. Mit jeder Kohlezeche, die geschlossen wird, schwindet das Wählerpotenzial der SPD. Und mit jeder Kirche, die am Sonntag leer bleibt, das Potenzial der CDU. Nur zur Erinnerung: Es war eine der ganz großen Leistungen der Union, dass das „C“ in ihrem Namen beide Konfessionen in Deutschland politisch einte. Gerade noch waren Ehen daran gescheitert, dass er Katholik und sie Protestantin war, so fest zementiert waren die Frontstellungen. Und dann kam nach dem Zweiten Weltkrieg diese Partei, die überkonfessionell sein wollte und sein sollte. Und diesen christlichen Aspekt ihrer Partei betonten die Politiker der Union mal mehr oder weniger heilig oder scheinheilig mit großem Erfolg bei ihrer Wählerschaft.

Unvergessen, wie Helmut Kohl vor seiner Kanzlerschaft immer wieder tönte, dass es in Deutschland „eine geistig-moralische Wende“ brauche. Jahrzehnte später versuchten Politikwissenschaftler herauszufinden, was denn damit gemeint gewesen sei und ob das dann auch stattgefunden habe. Sie fanden interessanterweise heraus, dass diese Wende von Anfang an eine völlige Leerformel gewesen war, die dann auch niemals mit Inhalt gefüllt werden würde. Willy Brandt, der für das konservative Bürgertum eine so riesige Provokation gewesen war, kam nach Kohls Regierungsübernahme seltener im Fernsehen – vielleicht war das am Ende die „geistig-moralische Wende“.

Und heute? Welcher Impuls geht in dieser Gesellschaft vom Christentum überhaupt noch aus? Wer das Trauerspiel um den Synodalen Weg verfolgt, der spürt, dass von dieser Kirche in den nächsten Jahrzehnten kein gesellschaftlicher Impuls ausgehen wird, der in der Politik dann kreativ aufgenommen werden kann. Wer heute den Glauben noch lebt, hat sich längst einen eigenen spirituellen Weg gesucht, der ihn aus den Tiefen und Untiefen von Politik und Amtskirche befreit. Das berühmte Wort vom „Erfahrungsglauben“, der alle dogmatischen Vorgaben ablöst, ist doch für die, die noch im Glauben verankert sind, längst wahr geworden. Und ein solcher Glaube führt gerade nicht mehr zu einer bestimmten Partei.

Obwohl der SPD die klassischen Arbeiterprofile ausgehen, hat sie es hier leichter. Denn die soziale Frage brennt den Menschen trotzdem gerade heute auf den Nägeln. Die Frontstellung von Arbeitgebern und Arbeitnehmern gibt es zwar deutlich weniger als früher. Aber dass die Reichen immer reicher werden und ein wesentlicher Teil der Gesellschaft auf der anderen Seite Angst hat, sozial abgehängt zu werden, oder es schon wird, das bleibt ganz oben auf der Agenda. Dazu kommen die Themen Rente, Pflege und Krankenversicherung. Das gehört zum Themenkreis soziale Gerechtigkeit. Hier liegt für die SPD eine gewaltige Chance, auch in Zukunft gesellschaftlich relevant zu bleiben.

Und die CSU? Was heute vielen Menschen gar nicht mehr bewusst ist, ist die Tatsache, dass Bayern gegenüber den anderen Ländern in Deutschland aus gutem Grund Eigenständigkeit und Abgrenzung suchte. Heute spricht man spaßhaft vom Weißwurst-Äquator; aber dahinter verbirgt sich eine ziemlich ernste Geschichte. Denn schon im 19. Jahrhundert war das protestantische und martialische Preußen, das mit seinen Soldaten die Bühne der Welt betreten hatte, den Bayern ein Graus. Lieber wäre man 1871 mit Österreich, dem man sich verwandt fühlte, in ein deutsches Vaterland gegangen als mit Bismarck in ein preußisches Kaiserreich. In der Volkspartei CSU spiegelt sich diese Sehnsucht nach Eigenständigkeit und Abgrenzung bis heute. Auch deshalb liegt das Wahlergebnis der CSU traditionell immer deutlich über der CDU. Gerade darin aber liegt für die CSU auch in Zukunft eine Chance auf einen Identitätsvorsprung, der der Schwesterpartei mangelt. Es wird darauf ankommen, diese Chance geschickt zu nutzen, ohne sich bei den Menschen allzu populistisch anzubiedern.

Und sonst? Das Wahlergebnis für die Grünen ist doch ein Erfolg. Zu messen ist es nicht an den kurzfristigen Wahlprognosen im Sommer, sondern an dem, was wirklich realistisch war. Eine Beteiligung an der kommenden Regierung wird eher dazu führen, dass es mit dieser Partei weiter aufwärtsgeht. Denn das Klimathema bleibt und die handelnden Personen überzeugen zum allergrößten Teil. Dass Robert Habeck in diesem Wahlkampf noch nicht zum Zug kam, ist seine und der Partei große Chance auf noch mehr Zukunft.

Unklar ist der Weg der FDP. Allmählich werden hier hinter dem medial dauerpräsenten Christian Lindner andere Politiker sichtbar, die seriöser wirken als der oberste Vertreter der Liberalen. Inhaltlich wird es darauf ankommen, ob liberale Ideen von freien Märkten tatsächlich auch heute noch so wirken können, dass wirtschaftliche Anreizstrukturen am Ende tatsächlich nicht nur zu mehr Innovation, sondern vor allem auch zu mehr sozialer Gerechtigkeit führen.

Kurz nach der Wahl sah es so aus, als könnte tatsächlich ein geschwächter Unionskandidat die nächste Regierung anführen, weil seine Schwäche eine Chance für die Partner zur Durchsetzung eigener Projekte sein würde. Dass am Ende nicht Schwäche, sondern doch Stärke das grundlegende Prinzip für die neue Regierung sein wird, ist für das Land allerdings von Vorteil.

Straubinger Tagblatt vom 9. Oktober 2021