Zurecht wird von vielen in diesem Land kritisiert, dass in den öffentlich-rechtlichen Medien eine einseitige Sicht auf den Krieg in der Ukraine vorgetragen wird. Vor allem die Talk-Shows zu vorgerückter Stunde gleichen eher Zirkus-Veranstaltungen mit den immergleichen Politikern und Wissenschaftlern, die dann den immergleichen Ruf nach noch mehr Waffen für die Ukraine vortragen.
Auch hier hat das gedruckte Wort in den letzten drei Jahren wertvolle Korrekturen erbracht. Allein schon das Buch Die vierte Gewalt von Harald Welzer und Richard David Precht war deshalb wichtig, weil es auf diesen Missstand hinwies. Man muss ja schon wissen, dass die Moderatorinnen und Moderatoren, die bei ARD und ZDF den öffentlichen Diskurs so einseitig ausrichten, überhaupt keine adäquate akademische Ausbildung haben, um über politische Fragen wirklich mitreden zu können. In der Regel kommen sie über die Boulevard-Schiene (Markus Lanz) oder auch über eine primär journalistische Schule (Sandra Maischberger und Maybritt Illner) und haben eben keine weiter- oder tiefergehende akademische Ausbildung, die helfen könnte, Dingen in der Tiefe auf den Grund zu gehen. Aus ihrem simplen Wirklichkeitsverständnis heraus können sie die Ambivalenz von Dingen nicht verstehen und müssen regelrecht zwanghaft die Antinomien von Schwarz und Weiß, Gut und Böse, Hell und Dunkel bilden. Wirklichkeit in ihrer ganzen Komplexität und Differenziertheit zu begreifen, da fehlt es weit!
Texte, die nach Lösungen aus dem Krieg suchten
In den gedruckten Medien dagegen war das über die letzten drei Jahre anders. Zwar gab es auch hier die vielen Vereinfacher und die kalten Krieger. Aber in den Leitmedien Süddeutsche Zeitung, Die Zeit und Der Spiegel fanden sich an prominenter Stelle auch immer wieder Texte, die halfen, den Krieg in der Ukraine in seiner zerstörerischen Macht zu begreifen und nach Lösungen der furchtbaren Situation zu suchen.
An erster Stelle sind hier die zwei großen Interviews zu nennen, die der Philosoph Jürgen Habermas der Süddeutschen Zeitung gab. Im Februar 2023 zeigt er auf, wie sich in Kriegen die Gewalt verselbstständigt, so dass es von daher geboten sei, Kriegen ein schnelles Ende zu bereiten.
Habermas schreibt: „In dem Maße, wie sich die Opfer und Zerstörungen des Krieges als solche aufdrängen, tritt die andere Seite des Krieges in den Vordergrund – er ist dann nicht nur Mittel der Verteidigung gegen einen skrupellosen Angreifer; im Verlauf selbst wird das Kriegsgeschehen als die zermalmende Gewalt erfahren, die so schnell wie möglich aufhören sollte. Und je mehr sich die Gewichte vom einen zum anderen Aspekt verschieben, umso deutlicher drängt sich dieses Nichtseinsollen des Krieges auf.“ Das ist die Antwort des so hochgeachteten Philosophen auf all die Schreibtischtäter, die in den vereinfachenden Antinomien von Gut und Böse, Schwarz und Weiß verbleiben und mit immer noch mehr Waffen eine „Bereinigung“ der Situation in der Ukraine einfordern.
Sinnloses Sterben der Soldaten auf beiden Seiten
Auch der Philosoph Julian Nida-Rümelin hat in dem klugen Buch Perspektiven nach dem Ukraine-Krieg mit eben gedruckten Aufsätzen verschiedener Autoren auf diesen Zusammenhang hingewiesen. Dort schreibt General Erich Vad über das sinnlose Sterben der Soldaten auf beiden Seiten der Front und fordert ein Ende des Irrsinns. Überhaupt ist auffallend, dass sich gerade eine Vielzahl von Offizieren und Generälen sehr kritisch mit dem Verhalten der ukrainischen Politiker auseinandersetzen, die den Krieg gegen die Großmacht im Osten als einziges Mittel ihres Handelns in Betracht ziehen, während im Fernsehen der immer selbe Professor der Universität der Bundeswehr München seine Kreise zieht und seine allabendlichen eitlen Auftritte regelrecht zelebriert.
In der Süddeutschen Zeitung dagegen ist es Heribert Prantl, der immer wieder den Finger in die Wunde legt. Im Sommer 2024 schreibt er: „Es fällt auf, dass die Aufrüstungsankündigung von heute, anders als die im Nato-Doppelbeschluss von 1979, gar nicht erst mit der Forderung nach Abrüstung verbunden wird. Ist das so, weil man von vornherein nicht daran glaubt, dass mögliche Vereinbarungen auch eingehalten werden? Das wäre eine Art diplomatischer Defätismus…“ Und über die Verwandlung der Partei „Die Grünen“ von einer Friedens- in eine Kriegspartei urteilt er ebenfalls im Sommer 2024: „Heute agiert der grüne Wirtschaftsminister als eine Art Vertreter der deutschen Rüstungsindustrie, und Außenministerin Annalena Baerbock liefert sich dabei mit ihm einen Wettbewerb. Und aus Sicht des Grünen-Parlamentariers Anton Hofreiter kommt man zum Frieden, wenn man möglichst viele Waffen liefert. Der Bellizismus gilt der Partei als der neue Pazifismus.“
Der Ukraine-Krieg im weltpolitischen Zusammenhang
Auch mit dem Historiker Peter Brandt, der mit politischen Freunden den Appell „Frieden schaffen“ im Frühjahr 2023 veröffentlichte, führte die Süddeutsche Zeitung zeitgleich ein ausführliches Interview, in dem der Wissenschaftler anmahnte, dass auch der Ukraine-Krieg eine „Vorgeschichte“ habe und in einem „weltpolitischen Zusammenhang“ stehe. Der sonst unwidersprochenen These, dass allein die Ukraine entscheide, wann und wie der Krieg zu enden haben, widerspricht er in diesem Interview, das an prominenter Stelle publiziert wurde, deutlich: „Es wäre ja völlig wirklichkeitsfremd zu sagen: Die Ukrainer dürfen alleine entscheiden, ob sie die Krim zurückerobern wollen oder nicht, und die Nato liefert alle Waffen, die gewünscht werden.“
Und ebenfalls im Frühjahr 2023 mahnt auch in der Süddeutschen Zeitung der Historiker Frank Biess, dass man die Gefahr einer nuklearen Eskalation nicht unterschätzen dürfe. Während in den Talk-Shows der öffentlich-rechtlichen Fernsehsender Wladimir Putin regelmäßig als zahnloser Löwe dargestellt wird, der nicht zur Atombombe greifen werde, davon sei man überzeugt, meint Frank Biess dazu: „Ich wundere mich über die Fachleute, die vorgeben zu wissen, dass es nicht zu einer nuklearen Eskalation kommen werde. Denn diese Gewissheit haben wir eben nicht.“ Und weiter: „Es ist falsch, die Angst vor der Eskalation einfach zu verdrängen.“
Der Papst wurde für seine Zurückhaltung kritisiert – zu Unrecht
Oft genug wurde in der Öffentlichkeit auch kritisiert, dass der Papst sich nicht eindeutig auf die Seite der Ukraine stellen würde. Auf den ersten Blick scheint diese Kritik nachvollziehbar. Es war aber dann doch im Sommer 2023 das Nachrichtenmagazin Der Spiegel, in dem ein langes Interview mit dem Vatikan-Kenner Marco Politi geführt wurde. In diesem Interview wurde schnell klar, dass der Papst nur als überparteilicher Vermittler die Chance sieht, an einem Frieden in der Welt und in der Ukraine mitzuwirken. Dem vorschnellen moralischen Blick, der vom Papst ein eindeutiges Bekenntnis abverlangt, widerspricht Politi aus gutem Grund: Franziskus habe „ein gutes Gespür für das Aufkommen neuer Protagonisten“. Deshalb sei er davon überzeugt, „dass die Stimmen des Globalen Südens im Krieg gegen die Ukraine gehört werden müssen. Bevölkerungsreiche Länder wie Indien, Pakistan und Indonesien, aber auch Brasilien, Südafrika oder Saudi-Arabien wollen weder für Wladimir Putin noch für den Westen Partei ergreifen. Und Franziskus hat verstanden, dass über die Welt nicht mehr nur in der nördlichen Hemisphäre entschieden wird.“ Während sonst über den Friedenswillen des Papstes nur müde gelächelt wird, war es immerhin also das Nachrichtenmagazin Der Spiegel, der die tiefere Bedeutung des Handelns von Franziskus verstand und an die Öffentlichkeit kommunizierte.
Und im Magazin Stern kam im Herbst 2023 sogar der ukrainische Politiker Oleksij Arestowytsch zu Wort, ehemaliger Berater von Wolodymyr Selenskyj, und forderte das „Einfrieren des Konfliktes“ mit Russland, indem er sagte: „Ich bin überzeugt, dass eine Fortführung der Kämpfe sinnlos ist.“ Das würde nur „dutzende und hunderte neue Tote jeden Tag“ bedeuten. Wo kommt die Opposition in der Ukraine, die es dort längst gibt, sonst zu Wort? Im Fernsehen auf jeden Fall überhaupt nicht!
Fazit: Während in den Trash-Talk-Shows der öffentlich-rechtlichen Fernsehsender der immergleiche Diskurs aus einer verfehlten Perspektive heraus mit den immer selben Figuren aus Politik und Wissenschaft geführt wird, haben zahlreiche Texte in vielen Printmedien immer wieder für ein viel tiefgründigeres Nachdenken und eine realistische Diskussion gesorgt. Die verkürzte und verfehlte Perspektive, die ausschließlich der Kraft der Gegengewalt vertraut, die sich jetzt seit fast drei Jahren als sinnloses gegenseitiges Morden von mittlerweile mehr als einer Million Menschen täglich neu erweist und im Fernsehen nicht hinterfragt wird, wird so immerhin in den Printmedien häufig in Frage gestellt. Auf diese Weise kann zwar nicht ein Diskurs, der in einer Fehlperspektive gefangen ist, gesellschaftlich vollkommen korrigiert werden. Aber es gilt eben am Ende doch der Satz: „Wer Zeitung liest, weiß mehr!“
Straubinger Tagblatt vom 11. Januar 2025