Auf der ganzen Welt sollte es Menschen- und Grundrechte geben, die Menschenwürde sollte geachtet sein und vor allem sollte es weltweit die Demokratie als beste Staatsform geben. Darin sind sich die sechs Autoren des kleinen Bandes „Perspektiven nach dem Ukrainekrieg“, den der bekannte Philosoph Julian Nida-Rümelin gerade herausgebracht hat, einig. Ein interdisziplinärer Entwurf, den neben Nida-Rümelin noch ein ehemaliger Soldat, der General Erich Vad, ein Professor für Jura aus New York, Matthias Kumm, die Politikwissenschaftler Albrecht von Müller und Werner Weidenfeld, und ganz zum Ende noch die kluge Grünenpolitikerin Antje Vollmer gemeinsam vorlegen.
Das Spannende daran: Sie zeigen deutlich auf, wie sehr die Politik des Westens und die dabei vorgebrachten Narrative grundfalsch sind. Am spannendsten ist der Aufsatz des ehemaligen Generals Erich Vad, der als hochdekorierter Soldat feststellt: „Beenden lassen sich Kriege nur politisch, nicht militärisch.“ Seine fachmännische Diagnose: Es geht in der Ukraine zuallererst um „einen Stellvertreterkrieg zwischen den USA und Russland um ihre jeweiligen geostrategischen Interessen in der Region.“
Die in den Medien so häufig vorgebrachte Deutung, dass es sich beim Ukraine-Krieg um den Einsatz für Demokratie und Menschenrechte handle, weisen die Autoren entschieden zurück. Aus dieser Perspektive, die den üblichen Deutungen und Narrativen von Politik und Medien widerspricht, wird Kritik an beiden Seiten, die den Krieg befeuern, möglich und der Hinweis sinnvoll, dass gerade auch die USA in den letzten Jahrzehnten beim Scheitern ihrer Projekte, die mit Gewalt mehr Demokratie schaffen wollten, etwa in Afghanistan oder dem Irak, aus europäischer Sicht mehr als problematisch handelten.
Die Gefahr: Am Ende einer zunehmenden Konfrontation zwischen Europa und den USA auf der einen Seite und Russlands mit China und deren Verbündeten auf der anderen Seite stehe keine bessere, sondern eine schlechtere Welt, die im Zeichen von „Deglobalisierung“ und „Bipolarität“ zu weniger Frieden und auch zu weniger Wohlstand gerade für die ärmsten Menschen auf der Welt führen würde.
Sprachverlust der Grünen
Matthias Kumm widerspricht so der heute oft vorgetragenen Forderung, „Handelspolitik allgemein an anspruchsvollen moralischen Kriterien auszurichten und andere Staaten prinzipiell auszugrenzen oder massiv zu benachteiligen. Eine solche Politik ist nicht nur unklug, weil sie autoritäre Staaten, die ansonsten unter Umständen recht unterschiedliche Interessen haben, in eine Allianz gegen Demokratien treibt. Sie ist auch strukturell ein Rezept, das den Frieden unterminiert und Konflikte zu verschärfen geeignet ist.“
Spannend ist auch, dass die kluge Grünen-Politikerin Antje Vollmer in diesem kleinen Band hart mit ihrer Partei ins Gericht geht: Während es den Grünen früher um „Pazifismus und Ökologie“ gegangen sei, hätten die „heutigen Grünen allein die Menschrechtsposition radikalisiert. So sind sie, in vermeintlich idealistischer Absicht, zu Menschenrechts-Bellizisten geworden.“ Auf diese Weise hätten sie aber auch ihre ökologische Position begraben, denn: „Man kann den bedrohten Planeten nur retten, wenn man alle Länder, auch Russland und China, dafür gewinnt und überzeugt.“ Der Sprachverlust gegenüber diesen Ländern, der aggressiv ausgelebt werde, sei auch eine ökologische Bankrotterklärung der Partei. Alle Autoren dieses sehr klugen Buches eint, dass sie realpolitische, strategische und gesprächsorientierte Lösungen des Ukrainekonflikts einfordern und die sogenannten hypermoralischen und so paradoxerweise hochaggressiven Positionen verwerfen. Der Krieg, wie er jetzt befeuert werde, führt für den Fachmann des Krieges, General Vad, zu einer „weitgehenden Verwüstung der Ukraine, zu einem permanenten Kriegszustand im Lande und zu ungeheurem Leid der Zivilbevölkerung.“ Eine Position, die übrigens viele ehemaligen hochrangigen Militärs hierzulande bereits im Frühjahr vorbrachten, als Selenskyj zusammen mit den Verbündeten entschied, diesen Krieg in der bekannten Art an- und aufzunehmen. Das Szenario, das es heute gibt, wurde von vielen Generälen und Offizieren in diesem Land schon damals exakt vorhergesagt und es wurde gewarnt. Die Kritik an unserer massiven Beteiligung an diesem Krieg fasst der Philosoph Julian Nida-Rümelin so zusammen: „Der Krieg, wie auch immer begründet“, ist mit den „Normen und Werten“ einer Demokratie „unvereinbar. Die bewusste Tötung menschlichen Lebens, wie es im Krieg praktiziert wird, ist mit den humanistischen Grundlagen der Demokratie unverträglich.“ Dieser Band ist ungeheuer lesenswert. Er ist ein Gegenpart zum Einheitsbrei, der allabendlich in den Talk-Shows der Öffentlich-Rechtlichen zur allgemeinen Volksverblödung aufgeführt wird.
Straubinger Tagblatt vom 28. Januar 2023