Rotarier sind bestimmt nicht für Revolutionen bekannt. Die, die in einer Stadt erfolgreich sind oder wenigstens für erfolgreich gehalten werden, treffen sich eben als „Rotarier“ in ihren Club-Lokalen einmal in der Woche. Es gibt Vorträge, Begegnungen, gutes Essen. Gespendet wird auch. Aber nicht ganz unbegründet kursierte vor Jahren der Witz: „Where does Rotary go?“ (übersetzt: Wohin geht die Welt von Rotary?); im Scherz beantwortet so: „Rotary goes for lunch!“ (übersetzt: Rotary geht zum Mittagessen.)
Und so ist es schon eine kleine Sensation, dass in einem der letzten Monatshefte von Rotary für Deutschland und Österreich der Politologe Professor Christoph Butterwegge mit einer Fundamentalkritik an den kapitalistischen Auswüchsen und der mangelhaften politischen Antwort darauf in diesem Land ausführlich zu Wort kam. Im Originalton: „Die wachsende Ungleichheit ist das Kardinalproblem unserer Gesellschaft, weil sie sozialen Konfliktstoff zwischen deren Mitgliedern erzeugt, ökonomische Krisentendenzen verschärft und ökologische Nachhaltigkeit verhindert. Den gesellschaftlichen Zusammenhalt kann man bloß stärken, wenn die Kluft zwischen Arm und Reich geschlossen wird. Zu befürchten ist allerdings, dass SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP der Armut nur zögerlich entgegentreten und den sich immer stärker bei wenigen Familien konzentrierenden Reichtum gar nicht antasten.“ Wir erinnern uns: Im Wahlkampf warb Olaf Scholz glaubwürdig dafür, dass Gutverdiener wie er selbst „etwas besser“, wie er sich ausdrückte, zur Kasse gebeten werden – aber das war auch bei bestem Willen der Sozialdemokraten mit der FDP in den Koalitionsgesprächen überhaupt nicht verhandelbar. Butterwegge kommentiert vollkommen zutreffend: „Weil sich die FDP heute … in erster Linie als Sachwalterin der Wirtschaft versteht und glaubt, bürgerliche Freiheit verwirkliche sich vornehmlich beim Investieren des Unternehmers und beim Rasen des Porschefahrers auf der Autobahn, ist die Handlungs- und Entscheidungsfreiheit von Finanzschwachen bei dieser Koalition schlecht aufgehoben.“ In der Tat: Trifft man bei politischen Diskussionen etwa in München auf die Reichen der Stadt, dann sagen so manche fast mantrahaft: „Glücklicherweise gibt es die FDP, die einem Zug, der in die falsche Richtung fährt, wenigstens ab und an ein paar Bremsklötze zwischen die Achsen wirft.“ Zwei Sätze später wird noch die exorbitante Höhe der Hartz-IV-Bezüge betrauert, bevor dann eingefordert wird, dass der neue Konzertsaal in München, der am Ende fast eine Milliarde Euro kosten würde und längst unnötig ist, doch bitte schnell auf den Weg gebracht wird.
Sicher, es gibt auch die andere Seite: Menschen, die sich einer regelhaften Arbeit von vorneherein entziehen. Unternehmer, gerade im Mittelstand, die noch die letzte Stunde Schlaf aufopfern, damit es dem Unternehmen auch in wirtschaftlich schwierigen Zeiten gut geht und so Entlassungen vermieden werden können. Und es gibt sogar die Initiative von reichen und superreichen Erben unter dem Titel „Tax me now“ (übersetzt: Besteuert mich jetzt!), die mit der zugefallenen Erbschaft, die sie gegenüber allen anderen in der Gesellschaft so maßlos bevorzugt, nicht mehr zurechtkommen und so sogar von sich selbst her vorschlagen, dass der Staat von ihnen einen höheren Sozialbeitrag einfordern soll.
Jetzt, da Inflation und Energie plötzlich die ganz großen Themen sind, gilt es, die Diagnose von Butterwegge noch ernster zu nehmen. Denn dort, wo in der sogenannten Mittelschicht dieses Landes die Stabilität der gesamten Gesellschaft am allermeisten gewahrt wurde, gibt es auf einmal Probleme. Der sorgfältig austarierte Finanzplan der Familie mit Kindern, Urlaub und Altersvorsorge funktioniert auf einmal nicht mehr wie vorher. Und wir müssen doch zugeben: Politische Rahmenbedingungen, die die wirtschaftlichen Stellschrauben in diesem Land einstellten, funktionierten hauptsächlich dort. Hier eine kleine Steuererhöhung, dort die Besteuerung der Renten, obwohl die Rentenbezieher die Steuern für das einbezahlte Geld längst abgeleistet hatten. Viele andere kleine Beispiele. Der Staat, die Politiker waren einfallsreich, wenn es darum ging, die Mitte der Gesellschaft in die Pflicht zu nehmen. Bei den sozial Abgehängten gab es ja von vorneherein nichts zu holen und an die Reichen und ganz Reichen traute man sich sowieso nicht heran. Blieb die sogenannte Mittelschicht.
Das Magazin „Der Spiegel“ beschrieb vor Kurzem in einer faszinierenden Reportage, wie der österreichische Milliardär René Benko (geschätztes Privatvermögen fast fünf Milliarden Euro) seine Geschäfte macht. Immobilien, Immobilien, Immobilien. Aber wie? Benko sichert sein Vermögen mit billigen Arbeitsplätzen ab. Wie das? Ganz einfach: Benko hat für wenig Geld Galeria, Kaufhof und Karstadt erworben. Diese Unternehmen sind auch wenig wert und die Politiker in den Städten fürchten nichts mehr, als dass sie schließen und Arbeitsplätze publikumswirksam verloren gehen. Der Kaufmann Benko aber zeigt sich als nett, aufgeschlossen und großzügig, wenn auch die Ansprechpartner in der kommunalen Politik bei der Vergabe von Filetstücken in den Städten, die bebaut werden können, sich als nett, aufgeschlossen und großzügig zeigen. Dann wird investiert, auch mit Partnern, gebaut und am Ende verdient. Fonds werden aufgelegt, Banken und Versicherungen spielen gerne mit, reiche Freunde und Partner an Bord geholt. Reichtum entsteht und dafür werden dann die billigen Arbeitsplätze in den Kaufhäusern noch eine Weile aufrechterhalten. Das also nennt man heute ein Gegengeschäft!
In Bozen gibt es guten Rotwein und die Luft riecht nach Freiheit und Leben. Aber die Stadt ist arm und braucht Geld. Und so bietet Benko dort an, auf dem Berg Virgl, der verlassen und unwirtlich über der Stadt thront, ein Zentrum der Freude und des Vergnügens zu errichten. Noch ein letztes Mal soll Ötzi umziehen, genau dorthin, und eine noch bessere Attraktion sein für die Gäste der Stadt. Auch das Konzerthaus von Bozen würde Benko dort neu und noch schöner erbauen. All das wäre per Seilbahn leicht erreichbar und auch die zu bauen sei für ihn kein Problem. Die Innenstadtlagen der Stadt, die so frei würden, und auch noch andere Plätze würde er selber in bester Weise neu errichten. Und das von ihm erbaute Vergnügungszentrum auf dem Berg Virgl könne die Stadt Bozen für 50 Jahre von ihm abmieten – günstig, das versteht sich von selbst. Ein ehrbarer Kaufmann also – und ein Bombengeschäft, wenigstens für die Stadt, ob er selber profitiere, sei unklar, aber man gibt und ist auf diese Weise ein Freund der Menschheit.
Die Welt der Reichen. Ein Kapitel für sich. Es wird Zeit, dass sich hier etwas ändert!
Straubinger Tagblatt vom 30. Juli 2022