Die Unterschätzten: Bei aller Kritik – die SPD ist immer noch wichtig für die Demokratie in diesem Land

Vor ein paar Jahren widmete sich der Historiker Professor Michael Wolffsohn in einem spektakulär aufgemachten kleinen Büchlein mit dem Titel „Tacheles“ auch dem Schicksal der SPD in diesem Land. Seine Schlussthese damals: Die SPD hat historische Verdienste für die Arbeiterklasse in Deutschland, diese Arbeiterklasse gebe es heute aber gar nicht mehr – und deshalb sei die SPD mittlerweile überflüssig geworden. Aber stimmt das denn?

Denn im Umkehrschluss würde das ja erst einmal auch bedeuten, dass auch die CSU (Christlich Soziale Union) und die CDU (Christlich Demokratische Union) heute überflüssig wären. Denn beide Parteien sind von der Wertewelt des Christentums mittlerweile so weit entfernt wie der Drogenbeauftragte der Bundesregierung von einer guten Flasche Rotwein.

Und erst recht die FDP: Sie definiert sich vor allem vom Freiheitsbegriff her; aber heute geht es doch in der Welt der digitalen Kommunikation und der entfesselten Finanz- und Kapitalmärkte eher um Grenzen der Freiheit als um die Entdeckung immer neuer Freiheitsräume. Durch eine so vereinfachte Form der Parteienwahrnehmung, wie sie dem Historiker Wolffsohn in seinem auch sonst misslungenen Buch gefällt, kommen wir dem Kern des Themas also nicht wirklich nahe.

Gerade mit Blick auf die Sozialdemokratie in Deutschland lässt sich dagegen gut zeigen, wie viele historische Stränge, die gut waren, bis heute in dieser Partei wirken. Der Einsatz für die Arbeiter über Jahrzehnte verdankt sich ja einem emanzipatorischen Impuls! Es musste doch eine Partei geben, die gegen Ausbeutung und Ungerechtigkeit aufstand. Und dieser Impuls ist in der SPD bis heute wirksam.

Das viel gescholtene Bürgergeld ist in seiner Ausgestaltung natürlich reif für Überarbeitung in einigen Aspekten. Aber die Idee dahinter: Diejenigen, die aus verschiedenen Gründen nicht mitarbeiten können und von daher ausgeschlossen sind, dürfen nicht aus dieser Gesellschaft herausfallen. Es geht um den Würdeaspekt jedes einzelnen Menschen! Weil der Abstand zu den Menschen heute, die für wenig Geld arbeiten, zu gering ist, hat man aus diesem Bürgergeld einen Affront gegen die heraus interpretiert, die trotz Arbeit zu wenig Geld in der Tasche haben. Das ist aber nur teilweise zutreffend. Denn der politische Impuls, dem sich das Bürgergeld verdankt, ist derselbe, mit dem die SPD über Jahrzehnte für die Arbeiter eingestanden ist und er ist von daher auch zu respektieren, wenn er auch einer Überarbeitung bedarf.

Dieser emanzipatorische Impuls ist ein großes Pfund dieser Partei. Als nach dem Zweiten Weltkrieg zwölf Millionen Deutsche aus den Ostgebieten in dieses Land kamen, war es vor allem die SPD, so erzählen es die Kinder der Vertriebenen bis in diese Tage, die sich für diese Vertriebenen einsetzte. Heute schmücken sich andere Parteien mit diesem Integrationserfolg. Die Familien der Vertriebenen erzählen das aber bis heute ganz anders.

Auch in der Außenpolitik steht die SPD in der Kontinuität dessen, was sie mit großem Erfolg über Jahrzehnte vertreten hat. Der SPD verdankt dieses Land in den 70er-Jahren, dass dem Kalten Krieg in Europa auch ein Weg des Dialogs entgegengesetzt wurde, dem viele Menschen in der Zeit, da die Grenze zwischen der DDR und der Bundesrepublik Deutschland noch hermetisch abgeriegelt war, Hoffnung und Erleichterung verdankten.

Helmut Schmidt hat in seiner Zeit als Bundeskanzler diesen Weg Willy Brandts fortgesetzt. In den frühen 80er-Jahren war er immer zu Gesprächen, zum Dialog mit den Repräsentanten des Warschauer Paktes bereit. Der Bereitschaft zur Auf- und Nachrüstung fügte er immer (!) den Willen zum Dialog und zur Entspannungspolitik hinzu. Das gelang am Ende auch – und als alle Welt schon den Bruch mit Russland forderte, noch vor dem Ukraine-Krieg, schrieb Helmut Schmidt gemeinsam mit dem Altkanzler Helmut Kohl in der Wochenzeitung „Die Zeit“ einen Appell, in dem beide mahnten, dass es Sicherheit in der Welt und in Europa am Ende nur mit Russland und nicht gegen Russland geben könne. Auch dieses Bewusstsein findet sich bis heute in der SPD.

Rolf Mützenich als Fraktionsvorsitzender hat immer noch den Mut, sich im Bundestag vor versammelter Kriegsbegeisterung anderer Parteien zu diesem Weg zu bekennen. Und vor allem Journalisten aus dem Ausland haben immer wieder bemerkt, dass auch Kanzler Olaf Scholz bis in seine Körpersprache hinein versuchte, sich von dem ukrainischen Präsidenten Wolodymir Selenskyj nicht völlig vereinnahmen zu lassen. Während andere Politiker aus der ganzen Welt den fanatischen Präsidenten der Ukraine bei den Treffen in Brüssel oder sonst wo regelrecht kuschelten wie einen Teddy-Bären, hielt Scholz immer auch vorsichtigen Abstand und versuchte, sich nicht noch weiter in den Krieg zwischen Russland und der Ukraine hineinziehen zu lassen. Das ist von vielen als Schwäche und mangelnde Solidarität mit der Ukraine denunziert worden. Die Wahrheit ist: Dieses Verhalten war gut für unser eigenes Land – und dem muss doch das politische Interesse derer gelten, für die wir an den Wahlurnen die Stimme abgeben. Deutsche Taurus-Raketen gegen Russland – was für ein Irrsinn!

Erinnert werden darf in diesen Tagen auch, dass es die SPD war, die 1933 im Reichstag als einzige Partei die Kraft und den Mut hatte, gegen die Politik des Reichskanzlers Adolf Hitler aufzustehen und laut Protest zu erheben. Es waren auch Sozialdemokraten, die auf den Straßen Berlins verprügelt wurden und die sich zahlreich in den schnell eingerichteten Konzentrationslagern und Gefängnissen der Nazis fanden. Die Industriellen des Landes und das angepasste Bürgertum fand sich schnell mit den neuen Verhältnissen ab und versuchte zu profitieren, wann und wo es nur ging.

Der Impuls des Widerstandes gegen solche Verhältnisse ist in der SPD heute lebendig. Während die Unionsparteien im Bundestag eine Stimmenmehrheit mit der AfD in Kauf nehmen, um gleichzeitig lautstark zu verkünden, dass sie mit „denen da“ nichts zu tun haben wollen, ist diese Abgrenzung bei der SPD nicht nur blanke Rhetorik, sondern Wirklichkeit.

Wer heute in einer Talkshow den CDU-Politiker Jens Spahn reden hört, der muss doch wahrnehmen, wie brutal und kalt dieser Typus eines machthungrigen Karrieristen ist. Und solche Leute werden in der nächsten Regierung als Minister sitzen, an denen führt kein Weg mehr vorbei. Das ist von Alexander Dobrindt bis Carsten Linnemann der neue Stil der Konservativen, der dieses Land in den kommenden vier Jahren prägen wird. Da ist der Weg – nicht nur im Abstimmungsverhalten – zu den brutalen Figuren der AfD viel weniger weit, als das so mancher heute wahrhaben will.

Die Süddeutsche Zeitung urteilt: „Der Wahlkampf von Merz propagiert den Exodus der Menschlichkeit. Die grobe Mitleidlosigkeit und der verächtliche Verwertungszynismus, die sich auch noch als bürgerliche Tugenden geben, lassen sich nicht auf den Umgang mit Geflüchteten begrenzen. Diejenigen, die ihr rohes Reden als Vernunft verkaufen, machen sich zu wenig klar, wie dies soziale, besser gesagt asoziale Mentalitäten prägt.“ Im Stil und im Umgang mit dem Anderen hat sich die viel gescholtene SPD niemals auf ein solches Niveau begeben, das darf man schon so festhalten!

Der innere Widerstand gegen die SPD bei vielen Menschen macht sich vor allem an der Figur von Kanzler Olaf Scholz fest. Er wirkt tatsächlich seltsam entrückt und für das Amt des Bundeskanzlers auch buchstäblich zu klein. Aber gewählt wird am Ende von den Wählern bei der Bundestagswahl nicht ein Kanzler, sondern ein Parlament. Nicht eine Regierung, sondern Abgeordnete.

Dass der Impuls, diesen Kanzler Olaf Scholz nicht mehr wiederzuwählen, viele Menschen von der SPD in diesen Zeiten wegführt, ist durchaus tragisch. Es erinnert ein wenig an die Zeit, als Berti Vogts als Bundestrainer der deutschen Nationalmannschaft eine regelrechte Hassfigur in diesem Land war. Heute wissen wir: Berti Vogts konnte wenig für die Spielweise seiner Mannschaft. Der deutsche Fußball war damals einfach nicht besser. Die Trainer, die nach Berti Vogts kamen, waren erst einmal schlechter als er, aber sie konnten sich allesamt besser in der Öffentlichkeit verkaufen. Heute ist das Urteil der Fachleute recht eindeutig, wenn sie sagen: Berti Vogts war ein recht guter Trainer, aber damals wurde das nicht ausreichend gewürdigt.

Es ist nicht unwahrscheinlich – gerade mit Blick auf die Jahre vor uns liegen – dass das Urteil kommender Generationen über die Kanzlerschaft von Olaf Scholz in den vergangenen drei Jahren viel milder ausfällt, als wir uns das heute vorstellen können. Dass die Sozialdemokratie in diesem Land auch in den kommenden Jahren eine Stimme hat, die gehört wird, ist vor dem Hintergrund der sozialen Kälte, die so spürbar ist, und dem In-den-Hintergrund-Treten des Willens zum Frieden, immer noch wünschenswert. Für andere Parteien sind Kriege in Europa eine realistische Zukunftsmöglichkeit geworden, die sie mehr oder weniger akzeptieren. Die haben vergessen – oder können es wenigstens nicht mehr spüren – was in Europa bei den beiden furchtbaren Weltkriegen in den Jahren 1914 und 1918, aber auch zwischen 1939 und 1945 wirklich geschah. Dagegen gilt es heute die Stimme zu erheben!

Straubinger Tagblatt vom 13. Februar 2025