Leitartikel: Demokratische Ordnung – An der Kultur des Dialogs festhalten

Mit Donald Trumps Machtübernahme in den USA gibt es gleichzeitig auch einen neuen Ton in manchen Kommentaren unserer Medien. Die gewohnte Welt regelbasierter politischer Ordnung sei nun endgültig zerstoben, so wird kommentiert. Und dort, wo die Erdogans, Putins, Xi Jinpings oder eben Trumps nach dem Prinzip der Stärke und der Durchsetzung mit Gewalt ihre Machtansprüche geltend machen würden, da seien die Europäer mit ihrer Kultur des Dialogs in dieser neuen Welt heute gar nicht mehr teilnahmefähig.

In diesem Sinn schrieb das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ in seinem Leitartikel diese Woche: Es gelte zu verstehen, „dass das, was wir für moralische Überlegenheit halten, für andere Schwäche ist“. Weil wir heute in einer „Welt der Grenzüberschreitungen“ lebten, so heißt es da weiter, gelte es den Stil deutscher oder auch europäischer Politik zu ändern. Quintessenz des Textes im „Spiegel“: „Die Europäische Union und die Bundesrepublik haben jahrzehntelang von der Verbindlichkeit einer regelbasierten Ordnung profitiert, in der Probleme am Verhandlungstisch gelöst wurden. Aber das ist vorbei.“ Der Text endet zum Schluss mit dem martialischen Aufruf: „Deutschland wird sich endlich wehren müssen.“

So absurd und zuletzt dumm eine solche Argumentation auch ist, es stellt sich doch die Frage: Wie kommen Journalisten in seriösen Medien zu solchen Texten und zu solchem Denken? Ein Grund ist sicher das Gefühl einer Bedrohtheit und auch einer Unterlegenheit. Die negativen Zeitgenossen in der Politik auf der ganzen Welt haben so sehr an Zahl und an Bedeutung gewonnen, dass eine vorschnelle Intuition dahin führen kann, dass einer denkt: Wir müssen uns auf derselben Ebene wehren, die uns von dorther angetragen wird. Wir müssen den Trumps, Putins und Erdogans in deren Sprache begegnen, um am Ende nicht unterzugehen!

Ein solcher Spiegel-Effekt, der da also zum Zug kommen soll, hat aber einen ganz gravierenden Nachteil: Die Spielregeln, nach denen gespielt wird, werden dann immer von der anderen Seite bestimmt, also genau von denen, die die Welt mit Krieg, Lügen, Hass und Aggression überziehen. Unsere eigene mühsam erarbeitete Kultur der Mitmenschlichkeit, die zwar auch mit Stärke, aber eben vor allem auch mit Sprache Lösungen sucht, wird eingetauscht gegen das Format des primitiven Zurückschlagens. Mit all den schrecklichen Dauerschleifen, die aus solchem Handeln erwachsen. Die eigene Autonomie, Ziel jeden aufgeklärten Denkens, wird preisgegeben, im Glauben, dass nur so das eigene Territorium verteidigt werden kann.

Das erinnert ein wenig an die Schulzeit. Es gab immer die Einser-Schüler, die sich nicht wehren konnten und im Leben oft genug untergingen – im Gegensatz zu denen, die schon früh alle Regeln brachen und dann doch auch irgendwie erfolgreich wurden. In welchen Metiers auch immer! Einzuwenden ist hier: Aber es gibt doch zwischen diesen beiden Polen eine Menge Handlungsmöglichkeiten, die nicht dazu führen, dass wir unsere eigenen Standards aufgeben müssen. Der narzisstische Größenwahn eines Donald Trump wird von ganz alleine an Grenzen stoßen, die heute noch gar nicht vorherzusehen sind. Und das zwar recht bald. Da gilt es erst einmal klug abzuwarten und hinzuschauen, wo dann für die demokratische Welt neue Handlungsmöglichkeiten erwachsen.

Im Ukraine-Krieg wurde zudem ja schon ganz klar erkennbar, dass es auf den Schlachtfeldern dieser Welt keine Lösungsmöglichkeiten für Konflikte gibt. Und Benjamin Netanjahus Morden an der Zivilbevölkerung im Gaza-Streifen hat keinen einzigen am 7. Oktober 2023 von der Hamas ermordeten Landsmann wieder zum Leben erweckt. Ganz im Gegenteil: Unzählige eigene Soldatinnen und Soldaten Israels, viele die einzigen Kinder ihrer Familie, verloren schon am ersten Tag des Krieges ihr Leben, freilich ohne dass das Fernsehen im Staat Israel das auch nur erwähnte.

Überall dort, wo Regelverletzungen mit Gewalt korrigiert werden sollten, hat das nur zu noch mehr Übel und Unrecht geführt. Wenn Journalisten jetzt schreiben – letztlich in Fortsetzung dieser einzelnen Akte der Geschichte in den letzten Jahren– dass man am besten gleich die ganze demokratische Ordnung Europas mitsamt ihrem auf Sprache basierten Regelwerk über den Haufen werfen sollte, dann müssen alle Alarmglocken bei uns läuten.

Denn jetzt gilt es doch erst recht, bei sich selbst zu bleiben, von sich selbst her zu handeln und sich nicht verführen zu lassen von der gewalttätigen Sprache, die von anderer Seite an uns herangetragen wird. Sich nicht die Trümpfe, die eine auf Frieden und Demokratie gerichtete politische Kultur in Händen hält, von ihren Gegnern buchstäblich aus der Hand schlagen zu lassen.

Straubinger Tagblatt vom 24. Januar 2025