Dass im Evangelium die Unehrlichkeit angepriesen wird, möchte man eigentlich gar nicht glauben. Aber doch ist es so im Gleichnis vom klugen Verwalter. Der soll entlassen werden, weil er das Vermögen seines Herrn verschleudert. Er hat nur noch ganz wenig Zeit in seiner Funktion als Verwalter, wo er doch weiß, dass er in wenigen Stunden seinen Posten verloren haben wird. Dann gilt seine Unterschrift nichts mehr. Also läuft er schnell zu den Schuldnern seines Chefs und fängt an, denen die Schulden zu erlassen. Warum? Damit er nach seiner Entlassung wenigstens ein paar Freunde auf seiner Seite hat.
Dem, der 100 Fass Öl schuldet, reduziert er die Schuld auf die Hälfte: „Nimm deinen Schuldschein, setz dich gleich hin, und schreib 50.“ Und dem zweiten Schuldner, von dem noch berichtet wird, dem wird die Schuld von 100 Sack Weizen auf 80 Sack Weizen reduziert. Die Pointe dieses Gleichnisses, das sich bei Lukas findet, ist, dass der betrogene Herr seinen Verwalter am Ende lobt mit den Worten: „Und der Herr lobte die Klugheit des unehrlichen Verwalters und sagte: Die Kinder dieser Welt sind im Umgang mit ihresgleichen klüger als die Kinder des Lichts.“ So weit, so gut und so verwirrend!
Auf jeden Fall widerspricht doch dieses Gleichnis unserer Vorstellung von Gerechtigkeit. Da wird auf Heller und Pfennig abgerechnet. Die Zinsen bis in die zweite Kommastelle festgestellt. Schulden müssen beglichen werden und der sogenannte „ehrbare Kaufmann“ hat am besten gar keine. Nur seltsam, dass in einer Welt, die so moralisch perfekt organisiert ist, die Gerechtigkeit nicht siegt. Nicht in der Wirtschaft, nicht in der Gesellschaft, nicht in der Politik. So viel Moral – und doch so viel Unrecht!
Das sogenannte „unmoralische Gleichnis“, wie es genannt wird, das verweist exakt auf diesen Zusammenhang. Moral ist abstrakt, sie führt nicht automatisch zu einer menschlicheren und besseren Welt. Sie macht strenge Gesetze, an denen am Ende aber der Einzelne zerbricht. Ganz anders bei Lukas: Der Verwalter hat eine Idee – und offenkundig rettet er damit sein Leben.
In der Politik ist jetzt immer wieder die Rede von einer „moralischen Außenpolitik“. Die Außenministerin Annalena Baerbock definiert sie als „Weltinnenpolitik“. Von „Werten“ geleitet wird streng unterschieden zwischen gut und böse. Und den Guten wendet man sich zu, von den Bösen nicht nur ab; nein – hier gilt es korrigierend einzugreifen. Recht, Gesetz und Moral beizubringen mit den Möglichkeiten, die als verantwortbar erscheinen. Das klingt auf den ersten Blick gut, aber ist es auch klug? Die Frage stellt sich: Was kann man wie wirklich erreichen, wenn im Iran die Demonstranten ermordet werden, in Belarus die Foltergefängnisse überfüllt sind und Russland seine Nachbarländer überfällt?
Als Herausgeber und ein Autor in diesem Buch hat der ehemalige Kulturstaatsminister und emeritierte Philosophie-Professor Julian Nida-Rümelin gerade den kleinen Band „Perspektiven nach dem Ukraine-Krieg“ herausgebracht. In seiner Einleitung schreibt er zu exakt dieser Frage: „Paradoxerweise ist es die Zurückhaltung westlicher Institutionen wie der Nato, der Europäischen Union, aber auch generell westlicher Staaten gegenüber internen Konflikten in Autokratien, Diktaturen und totalitären Staaten, die die Chance der friedlichen Ausweitung demokratischer Staatsformen erhöhen und damit der Verbreitung des (…) Friedens dienen würde.“ Denn eine Politik „des Regime Change zu verfolgen, wie es die USA jedenfalls mit dem zweiten Irakkrieg, auch in Ägypten, Libyen und Syrien, sogar in der Ukraine verfolgt hat“, sei am Ende eher eine Verführung als ein Weg, der in eine bessere Zukunft führe. Nida-Rümelin: „Diese Versuche können fast durchgängig als gescheitert angesehen werden und die Praxis der humanitären Interventionen, selbst dann, wenn es um massive Menschrechtsverletzungen ging, die dadurch abgestellt werden sollten, ist meistens nicht von Erfolg gekrönt gewesen.“ Moral als Weg in den Abgrund von Krieg und Zerstörung.
Dagegengesetzt das Prinzip Sprache. Der ehemalige außenpolitische Berater von Helmut Kohl, Horst Teltschik, bringt das immer wieder so auf den Punkt: „Wenn es sein musste, haben wir immer auch mit dem Teufel gesprochen.“ Das galt damals in den 80er-Jahren vor allem für China, aber auch vor Gorbatschow für die Sowjetunion. Das Nicht-Abbrechen des Gesprächs im Widerspruch zur moralisch scheinbar gerechtfertigten Isolation und Bekämpfung des Gegners war für Teltschik der Königsweg bei der Schaffung einer besseren Welt. Damals mit Erfolg.
Ein zweiter Blick in die Bibel. Die Religionsphilosophen und Theologen haben immer wieder herausgearbeitet, dass die Evangelientexte des Neuen Testaments durchwoben und zusammengehalten seien vom Karfreitagsgeschehen. Der Leidenston, in dem Jesus sein Leben und Sterben annehme, ohne zur Gewalt greifen zu wollen, sei der rote Faden, der sich durch die Texte ziehe. Nicht nur die Inhalte der Gleichnisse würden so ein faszinierendes Bild von Jesus und seinem Denken bieten; der Ton des Erzählten, der auch ein Ton des Leidens und der Trauer ist, sei fast noch wichtiger.
Das kann zwar kein ausschließliches Maß sein für politisches Handeln. Das Beispiel des Einzelnen bleibt Vorbild, aber nicht politische Richtschnur, die in der konkreten politischen Wirklichkeit ausschließliche Grundlage des Handelns sein darf. Und doch: Wo nicht mehr auch billige und fragwürdige Kompromisse gemacht werden, sondern Maximalforderungen durchgesetzt werden sollen, da geht die Endlosschleife von Gewalt und Leiden erst recht immer weiter. Und das Sprechen, das hier als politisches Sprechen anhebt und begründet, wird im Unterschied zum heilsamen Sprechen der Texte des Neuen Testaments zur immergleichen leeren Beschwörung von Sieg und der Durchsetzung der eigenen moralisch durchaus verständlichen Ziele.
Vor einigen Wochen sagte mir ein Bischof aus Bayern mit Blick auf die Ukraine bei einem Staatsempfang in München: „Ein Land darf sich wehren!“ Und es fällt ja doch auf, dass von beiden Kirchen auch hier kein heilsamer Impuls kommt, der mahnen würde, das Morden im Osten Europas zügig zu beenden. Es dominieren auch bei den Bischöfen und Kardinälen die Vorstellungen von Moral und Gerechtigkeit, nicht das Schicksal der Menschen. Und beim Empfang der Bischöfe beim Papst vor einigen Tagen in Rom sitzt der Kardinal von Köln, Rainer Maria Woelki, in versammelter Selbstgerechtigkeit in der ersten Reihe, so zeigen es die Fotos der Veranstaltung. Diesen Würdenträgern der Kirche sei empfohlen: Weniger Staatsempfänge bei gutem Wein und leichten Gesprächen, sondern sorgfältiges Bibelstudium etwa bei Lukas und dem klugen Verwalter. Lehrreich bis in unsere Tage!
Straubinger Tagblatt vom 17. Dezember 2022