Philosophie, was soll das? Keine Zeit dafür, nein danke! Da gibt’s schon einige, die so sprechen. Was sie nicht wissen: Schon dieser Satz ist Philosophie und ist vor allem auch von philosophischen Voraussetzungen her befragbar.
Die so sprechen, geben gerne andere Antworten auf die Fragen des Lebens als solche, die die Philosophie raten würde: ungebremste Lebensfreude, materielle Güter, Lust an der Lust in allen möglichen oder auch unmöglichen Formen. Eine philosophisch sinnvolle Antwort auf solches Gebaren wäre der Hinweis, dass unsere Lebenszeit begrenzt ist – und dass vor diesem Hintergrund zu bedenken ist, was mit dieser kurzen Spanne begrenzter Lebenszeit am besten anzufangen ist.
Der Religionsphilosoph Eugen Biser hat deswegen die in unserer postmodernen Zeit den Menschen „eingeredete Todlosigkeit“ als schlimme Ideologie gebrandmarkt. Wer den eigenen Tod verdrängt, wird auf das Leben kaum eine Antwort geben, die diesem Leben gerecht wird. Er wird von Vergnügen zu Vergnügen hetzen und doch niemals satt werden.
Die Philosophie dagegen weiß, dass schon das Nachdenken über solche Fragen eine tiefe Befriedigung ist. Kann man denn Denken fühlen? Natürlich – und es ist schön. Und umgekehrt: Man kann auch Gefühle denken – und sich sprechend darüber austauschen.
Verstehen kann heilen, nicht zu verstehen, macht krank
Die Philosophie weiß heute, dass der Dualismus zwischen Geist und Materie Schnee von gestern ist. Der Leib ist der Atem des Menschen, in dem sich sein Geist ausdrückt. Von daher schlägt Philosophie auch die Brücke zur Medizin oder zur Psychoanalyse. Verstehen kann heilen, nicht zu verstehen, macht krank.Ein Studium der Philosophie führt zu anderen Menschen, die sich mit solchen Fragen beschäftigen. Natürlich, auch ein Jurist ist klug – und nicht zuletzt wurzelt das Recht auf Antworten, die die Philosophie gibt: Jeder Mensch hat eine unverlierbare Menschenwürde, das steht dann am Ende sogar am Anfang des Grundgesetzes. So kann ein Philosophiestudium problemlos mit fast allen Fächern, die es an der Universität zu studieren gibt, kombiniert werden.
Wer sich mit Betriebs- und Volkswirtschaft beschäftigt, der wird sich als Philosoph fragen: Weshalb produziert unsere Schöpfung jeden Tag fast das Doppelte von dem, was gebraucht wird, damit jeder Mensch satt wird – und wir sind nicht fähig, das auf der ganzen Welt so zu verteilen, dass in Afrika nicht jede Minute drei Kinder an Hunger sterben?
Aber selbst in unserer Gesellschaft wird er die Frage stellen: Ist es richtig, dass ganz wenige Menschen die Hälfte des Vermögens in diesem Land besitzen, während andere nicht wissen, was tun, wenn die Heizung ausfällt? Und er wird weiter fragen, wie das geändert werden kann, ohne dass unsere Marktwirtschaft, die der Planwirtschaft so unendlich überleben ist, Schaden nimmt.
Leben darf nicht „verzweckt“ werden
Von der Philosophie kann ein lebenslanger Impuls ausgehen, diese unsere Welt besser zu machen – oder auch ganz schlicht: sich besser zu verhalten, als einem das manchmal das eigene Begehren nahelegt. Das „Begehren“, ein Schlüsselbegriff aus Philosophie und Psychologie: Es darf sein, es muss sein; aber wo findet es seine Grenze?
Von Immanuel Kant, einem der Urväter der Philosophie, wissen wir: Leben darf nicht „verzweckt“ werden. In jedem Menschen muss das Leben zu seiner vollen Blüte kommen dürfen. Es geht nicht um seine Funktionalität in der Wirtschaft – und schon gar nicht beim Militär. Und doch müssen wir funktionieren – und das jeden Tag.
Wie passt das denn zusammen? Die Philosophie denkt genau über solche Fragen nach und spricht gerade mit jungen Menschen gerne darüber. Wer sich in jungen Jahren dem Denken der Philosophie öffnet, der trägt am Ende einen lebenslangen Schatz in sich. Jede Lebenslage, jede Situation, die geschehen kann, kann von dorther bedacht und besser verstanden werden. Ist eine überraschende Schwangerschaft nicht doch ein Geschenk? Und am Ende des Lebens: Haben alte Menschen nicht doch genau dieselbe Würde wie der leistungsfähige Sportler, der bei Olympia seine Goldmedaille bejubelt? Auf den Intensivstationen in den Krankenhäusern dieses Landes pflegen Krankenschwestern und Pfleger Menschen, die am Ende sind. Gerade dort wohnt die Liebe, die Philosophie weiß, dass Krankenhäuser Orte sind, die auch im Krieg niemals beschossen werden dürfen.
Philosophie stellt natürlich die Frage nach der Logik von Dingen, aber weit wichtiger noch die Frage nach dem Glück des Menschen. Die Ethik, als Lehre von der Moral der Dinge, stellt das Glück und die Freiheit des Menschen in ihren Mittelpunkt. Verantwortung und Liebe als Gegenstück dazu ergeben sich in Gesprächen dann wie von selbst. Denn der Begriff der Pflicht stößt ja von vorneherein ab, um Liebe und Verantwortung geht es schon eher.Und vor allem eines: Die Philosophie weiß, dass es den guten Menschen nicht gibt! Jeder Mensch gewinnt das Gute seiner eigenen Natur wie eine Oase ab. Täglich muss er kämpfen, nicht in die „Raubtiernatur“ seiner Entwicklung, wie der Philosophie und Arzt Dieter Wyss das nennt, zurückzufallen. Jeder Mensch bleibt immer gefährdet, sich in eine Richtung zu entwickeln, die gar nicht gut ist. Jedes Schwarz-weiß-Denken verbietet sich von daher – und das Böse kann eben nicht nur mit Gewalt bekämpft werden, denn es steckt immer in jedem von uns. Wer das Böse auslebt, ist ein Gefallener, der auch im Gespräch immer wieder neu angesprochen werden muss.
Und wo studiert man Philosophie am besten? Auf jeden Fall auch an der Hochschule für Philosophie der Jesuiten in München. Denn von der Philosophie führt eine Frage auch zur Gottesfrage, aber das ist schon wieder ein anderes Thema.
„Philosophie ist eine Schule des Denkens“
Ein Gespräch mit Präsident Johannes Wallacher über 100 Jahre Hochschule für Philosophie
Interview: Christoph Bartscherer
Die Hochschule für Philosophie (HFPH) in München ist ein Lichtstrahl im tristen Grau des akademischen Alltags. Als Bildungsstätte mit besonderem intellektuellem Format hat sie solch große Persönlichkeiten wie Alfred Delp SJ und Karl Rahner SJ hervorgebracht.
Am 10. Oktober 2025 feierte die Hochschule ihr 100-jähriges Bestehen mit einer Festmesse mit Kardinal Marx in St. Michael und einem Festakt in der Aula der HFPH. Wir nutzten diese Gelegenheit, um mit dem Präsidenten der Hochschule, Prof. Dr. Dr. Johannes Wallacher, über die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der von Jesuiten gegründeten und geführten Einrichtung zu sprechen.
Herr Wallacher, am 10. Oktober 2025 fand der Festakt zum 100-jährigen Jubiläum der HFPH statt. Durch wen wurde die HFPH gegründet und warum wurde sie gegründet?
Johannes Wallacher: Nachdem der Jesuitenorden nach dem Verbot von 1917 wieder zugelassen wurde, bestand ein Bedarf nach Ausbildung junger Jesuiten, die auch in Deutschland wieder tätig werden konnten. Und so hat der damalige Provinzial Pater Augustin Bea, der spätere Kurienkardinal, das Berchmanskolleg in Pullach zunächst als philosophische Ordensausbildungsstätte gegründet.Dieses Konzept hat bis Anfang der 60er Jahre sehr gut funktioniert. In guten Zeiten wurden dort 200 junge Jesuiten aus dem deutschsprachigen Raum, aber auch aus anderen Ländern ausgebildet. In den ersten Jahren waren darunter so namhafte Jesuiten wie Alfred Delp oder Karl Rahner, die nach ihrem Ordenseintritt in Pullach Philosophie studierten. Beim Gedenkakt der HFPH am 2. Februar dieses Jahres wurde an den von den Nazis ermordeten Alfred Delp SJ erinnert.
Welche Bedeutung hat Alfred Delp für die HFPH?
Wallacher: Er ist bis heute ein wirkliches Vorbild: Zum einen in seiner denkerischen Stringenz. Delp steht dafür, dass Philosophie eine Schule des Denkens ist. Zum anderen aber auch für den Mut, in schwierigen Zeiten für seinen Glauben und seine Überzeugung einzustehen, auch wenn es existenzielle Folgen haben kann. Insofern ist Alfred Delp für uns Ansporn und Verpflichtung zugleich, einerseits diese strenge denkerische Tradition zu pflegen und andererseits jene persönliche Entwicklung voranzutreiben, die Menschen dazu befähigt, mit Mut und Haltung für ihre eigene Position einzutreten, auch wenn es heftigen Gegenwind gibt.
Delp hat diesen Mut, für Freiheit und Demokratie einzutreten, mit dem Leben bezahlt.
Wallacher: Diesen radikalen Mut haben nicht alle. Aber auch heute ist es wichtig, Menschen zu ermutigen, für ihre Werte und ihren Glauben, für Demokratie und Freiheit, für Menschenrechte und Solidarität einzutreten.
Gibt es ein Grundethos, ein ethisch-religiöses Prinzip, an dem die HFPH seit ihrer Gründung festhält?
Wallacher: Zunächst einmal geht es der Philosophie um alle Grundfragen der menschlichen Existenz. Dazu gehören die individuellen Fragen, aber auch die des gesellschaftlichen Zusammenlebens. Und bei den individuellen Fragen – und das ist, glaube ich, ein Spezifikum unserer Hochschule – geht es darum, auch in säkularen Zeiten die Gottesfrage offenzuhalten und Studierende herauszufordern, eine je eigene Antwort darauf zu geben. Und zwar mit denkerischen Mitteln, mit Argumenten der Vernunft, und nicht mit Glaubensbekenntnissen.Wir wollen nicht Glaubensbekenntnisse abfragen, sondern wir fordern die Studierenden auf, eine Position zur Gottesfrage zu finden, die für sie selbst schlüssig ist. Bei manchen erwächst aus diesem individuellen Zugang auch eine tiefere Glaubensbindung, andere – und auch das ist in Ordnung – finden für sich andere Antworten.Ein anderes Spezifikum ist die gesellschaftliche Dimension. Es geht hier um Fragen wie: Auf welche Weise kann Zusammenleben in einer Gemeinschaft gelingen? Dabei spielen die großen sozialethischen Fragen nach Gerechtigkeit und Solidarität eine entscheidende Rolle.Aber die Studierenden dürfen auch Atheisten sein.Wallacher: Ja. Die Hochschule ist, seit sie 1971 von Pullach nach München in die Kaulbachstraße umgezogen ist, offen für alle, die ein Interesse an Philosophie haben – unabhängig von der Weltanschauung, der Religionszugehörigkeit, dem Glauben oder der sozialen Herkunft. Entscheidend ist das Interesse an Philosophie.
Es fällt auf, dass die HFPH sich auch brandaktuellen Themen stellt.
Wallacher: Im Grunde wurzelt das in der jesuitischen Tradition. Gott ist in allen Dingen zu finden. Und wenn es sich um die Grundfragen der menschlichen Existenz dreht, dann geht es immer auch um das Problem, wie wir mit gesellschaftlichen Entwicklungen umgehen.Eine der großen gesellschaftlichen Trends ist natürlich die digitale Transformation und die sogenannte Künstliche Intelligenz, zwei Themenbereiche, bei denen es darum geht, aus philosophischer Perspektive zu klären, ob es überhaupt angemessen ist, über den Begriff Intelligenz analog zur menschlichen Intelligenz zu sprechen.In diesem Kontext stellt sich die Frage nach dem Menschen und seiner Verantwortung ganz neu, indem man etwa überlegen muss: Welche Datenbasis lege ich den Algorithmen zugrunde? Und welche möglichen Verzerrungen gibt es? All diese Fragen beantworten wir hier an unserer Hochschule. Wir beschäftigen uns aber auch zunehmend mit der Friedens-, Sicherheits- und Konfliktforschung.
Sie haben dafür auch die entsprechenden Forschungseinrichtungen geschaffen.
Wallacher: Wir sind Gründungsmitglied der Bayerischen Wissenschaftsallianz für Friedens-, Sicherheits- und Konfliktforschung, der inzwischen zehn bayerische Universitäten angehören. Im Bereich der KI-Forschung betreiben wir zusammen mit der TU München und der Universität Augsburg ein eigenes Zentrum für verantwortliche KI-Technologien. Und wir haben ein Zentrum für globale Fragen, wo es – in bewährter Tradition – um sozialethische Fragen aus globaler Perspektive geht.
Mit welchen Problemen hat die HFPH momentan zu kämpfen?
Wallacher: Es bestand von Anfang an ein Bedürfnis nach finanzieller Stabilität, da die Hochschule lange Zeit gänzlich vom Jesuitenorden finanziert wurde. Da sind wir glücklicherweise seit 2022 mit der Verabschiedung des Bayerischen Hochschulinnovationsgesetzes ein großes Stück weitergekommen, weil sich der Freistaat Bayern gesetzlich verpflichtet hat, die Hälfte der Grundfinanzierung zu übernehmen. Das ist ein großer Schritt. Dennoch bleibt die Frage, wie die andere Hälfte langfristig finanziert werden kann – durch Gönner, durch Stiftungserträge, durch innovative Entwicklungen, durch Drittmittel. Das ist eine bleibende Aufgabe.Und dann ist es für eine private Jesuitenhochschule auch von Interesse, dass es bei zurückgehenden Ordenszahlen eine nachhaltige Präsenz von Jesuiten im Lehrkörper gibt.Und gleichzeitig ist es wichtig, dass die Positionen, die nicht von Jesuiten besetzt werden können, von Menschen eingenommen werden, die einerseits hoch qualifiziert sind und andererseits auch die Mission des Jesuitenordens mittragen.Und wie alle Universitäten stehen auch wir vor der Schwierigkeit, wie wir den Gebäudebestand auf Dauer so sichern können, dass er den Ansprüchen eines modernen Hochschulbaus genügt. Das sind die großen Herausforderungen, bei denen wir uns aber mit dem Jesuitenorden und dem Freistaat Bayern gut abgestimmt haben.
Welche Ziele hat sich die HFPH für die Zukunft gesteckt?
Wallacher: Wir wollen den bisher eingeschlagenen Weg entschlossen weitergehen und die Kooperationen mit anderen Hochschulen und Universitäten ausbauen. Und die Relevanz der Philosophie für die Ausbildung der Einzelnen und der Gesellschaft deutlich machen. Dazu müssen wir durch innovative Studienangebote und gesellschaftsrelevante Forschung attraktiv bleiben, was auch eine Werbung dafür ist, Philosophie an unserer Hochschule zu betreiben.
Straubinger Tagblatt vom 11. Oktober