Seifenblasen sehen anders aus

Robert Habeck ist alles andere als ein Schaumschläger. Sein politisches Engagement wirkt darum echt

Neugierig war ich auf meine Begegnung mit Robert Habeck. Ein ungewöhnlicher Politiker ist er auf jeden Fall. Aber wer ist er wirklich? „Wissen Sie, der Habeck hat zu allem eine Meinung, aber von nichts eine Ahnung“, hatte mir gerade noch ein konservativer Politiker am Rande einer Veranstaltung zugeraunt. Aber wie schafft man es dann zum Parteichef der Grünen oder wenigstens zu einem von beiden? Und in Talkshows am Fernsehen kommt er doch immer recht gut rüber, denke ich mir; und dass er bei der Fahrtkostenpauschale mal nicht ganz im Bild war – nachvollziehbar. Aber dennoch: „Der Habeck wird platzen wie eine Seifenblase“, hört man nicht selten. Und jetzt also kommt er nach Landshut, wo die Bauern schon protestieren.

Es ist früher Abend. Kalt und unwirtlich. Nasser Nebel. 1 000 Bauern stehen mit 600 Schleppern vor der Sparkassenarena und sprechen sich Mut zu. Sie fühlen sich nicht mehr gesehen und geschätzt für ihre Leistung für das Land. Sie warten auf Habeck, der heute hier mit Sigi Hagl für die Grünen den Landshuter Kommunalwahlkampf eröffnet. Ihre Stimmung passt zum Wetter. Habeck und Hagl sind zu spät. Wer nur mit dem Zug und dem Fahrrad reist, muss froh sein, überhaupt anzukommen, denke ich mir. Da sind die 20 Minuten Verspätung eigentlich eine positive Überraschung.

„Habeck wird nicht aggressiv, aber er gibt seine Position auch nicht auf“

Beide sprinten jetzt nach oben auf die Bühne im Freien, wo gerade ein im Grunde sympathischer Bauer die Stimmung nochmals angeheizt hat. Freundlich ist der Empfang für Habeck hier also nicht. Der Grünen-Chef ist leger gekleidet und stellt sich sofort vor die 1 000 protestierenden Bauern. Natürlich, das muss ein Politiker können, aber irgendwie ist es doch auch mutig. Beifall bekommt er keinen. Dass es seltsam sei, in die Verantwortung genommen zu werden für eine Politik, die er gar nicht gemacht habe, meint er, um doch zuzugeben, dass die Rolle der Bauern gerade auch für ihn heute eine ganz andere sei als in den letzten 50 Jahren. Die Bauern hätten nach dem Zweiten Weltkrieg die Aufgabe bekommen, ein ausgehungertes Land für wenig Geld wieder gut zu versorgen. Viel zu produzieren, um das Land wieder nach oben zu bringen. Heute sei die Aufgabe der Bauern eine andere. Neben der Ernährung vor allem Landschaftsschutz auch zulasten des Ertrags, und dieser Rollenkonflikt, so erklärt er, sei eine neue strukturelle Problematik, die es jetzt zu lösen gelte.

Im Gespräch auf der Bühne gehen die Bauern nicht wirklich auf ihn ein, sondern schreien ihre Not wieder laut aus sich heraus. Die Antwort Robert Habecks: Er erklärt nochmals in fast denselben Worten die von ihm aufgezeigte Problematik und gibt nicht nach. Allein der Ton seiner Stimme verändert sich. Sie bekommt diesen hellen, abwehrenden Klang, den ich schon aus den Talkshows kenne. Habeck wird nicht aggressiv, aber er gibt seine Position auch nicht auf. Ich kenne Politiker sonst eher als Menschen, die sich entweder durchsetzen wollen oder, wenn das nicht geht, dann halt nachgeben. Habeck steht. Nur in seine Stimme zeichnet sich der innere Kampf und die Mühe ein, die eigene Position zu erklären und nicht aufzugeben.

Beim Pressegespräch danach erklärt Habeck seine Haltung. Er wolle bewusst nicht provozieren und im politischen Streit auch nicht aggressiv reagieren. Auch als der bayerische Ministerpräsident Markus Söder in den letzten Wochen besonders aggressiv auf die Grünen losgegangen wäre, habe man sich nicht provozieren lassen, sondern schlicht die eigene Position bewahrt und erklärt. Ausbrechen wolle man so aus den Negativ-Ritualen der Politik, die die Bürgerinnen und Bürger so satthätten.

Denken muss ich an einen Auftritt von Habeck mit Annalena Baerbock, der anderen Chefin der Grünen, als sie zu Gast waren bei Markus Lanz im ZDF. Ein eher drittklassiger Journalist hatte zu Beginn der Sendung mit allzu einfachen Parolen versucht, Habeck und Baerbock aus der Reserve zu locken. Dem ging es nicht um ein Gespräch, sondern nur um Randale. Aber die beiden waren ganz ruhig geblieben, erklärten ihre Position; was sie sich über den Kollegen dachten, kann ich mir vorstellen. Respekt aber nötigte es mir ab, dass sie ihre gelassene Position die ganze Sendung lang durchhielten und weiter von der Sache her argumentierten.

Über den freundlichen und doch so tragischen Schriftsteller Boehlendorff aus dem 18. Jahrhundert schrieb Habeck seine Magisterarbeit, bevor er in seiner Dissertation dafür warb, dass literarische Welten den Zugang zur Alltagswirklichkeit besser und schöner machen. Seine eigenen Bücher, die er dann als Schriftsteller selber schrieb, gelten bis heute als qualitativ gut, gerade auch seine Kinderbücher. Auch dass er vieles aus Liebe ganz bewusst zusammen mit seiner Frau schrieb, mit der er gleich noch vier Kinder hat, deutet eher nicht darauf hin, dass er nur ein Hochstapler wäre.

„Bis in sein Sprechen hinein ist Platz für andere Menschen“

Noch nicht einmal 20 Jahre ist es jetzt her, dass er sich am Beginn des neuen Jahrtausends ganz bewusst für die Politik entschied. 10 Jahre nach dem Einstieg ins neue Metier wurde er in Schleswig-Holstein Landwirtschaftsminister und stellvertretender Ministerpräsident. Sechs Jahre lang. Jetzt kümmert er sich nur noch um die Bundespolitik. Das Amt von damals und die Bücher von früher sind heute weit weg. Geblieben ist die freundliche Art, die er aus früheren Tagen mitnimmt und offensichtlich nicht preisgeben will.

Am Abend gibt es noch eine Einladung für knapp 40 geladene Gäste. In seiner Rede spricht Habeck nicht von sich, sondern nur von seiner Freundschaft mit Sigi Hagl, die in Landshut Oberbürgermeisterin werden will und dafür den Vorsitz der Partei in Bayern aufgab. Für einen Politiker ungewöhnlich: Bis in sein Sprechen hinein ist da wirklich Platz für den anderen Menschen. Dann geht Robert Habeck von Tisch zu Tisch und spricht mit den anderen Gästen. Dabei bleibt er freundlich und zugewandt. Seifenblasen sehen anders aus, denke ich mir, als ich am Ende spätabends nach Hause fahre.

Straubinger Tagblatt vom 7. Dezember 2019