Meine erste Begegnung mit Bischof Rudolf Voderholzer liegt weit zurück. Er war in Regensburg gerade zum Bischof geweiht worden und machte jetzt seinen Antrittsbesuch in unserem Verlag. Das Gespräch war anregend und interessant, aber es war doch auffallend, welche Fülle an Verwaltungstätigkeiten auf einen Bischof zu warten schienen.
Die Steuern, das Bauen, die Wälder, das Regieren als Ganzes – offensichtlich eine Mammutaufgabe. Und so fragte ich den Bischof etwas erschrocken, ob er denn bei solcher Fülle von letztlich äußerlichen beruflichen Aufgaben noch Zeit für das Gebet, die Meditation, den Rückzug ins eigene Innere habe. Der Bischof blickte erstaunt auf und meinte: „Also Meditation ist doch nicht, wenn ich einer Kerze beim Abbrennen zuschaue“, ein offenkundig sehr zeitaufwendiger Vorgang.
An dieser Stelle muss man einwenden, dass einer Kerze beim Abbrennen zuzusehen nicht nur etwas sehr Beruhigendes hat, sondern durchaus als Mittel der Meditation eingesetzt werden kann. Das ist noch nicht einmal selten! Und der Bischof fuhr, einmal in Fahrt gekommen, noch fort: „Wissen Sie, meine Geschwister sind Ärzte, verglichen mit denen schiebe ich immer noch die ruhigste Kugel!“ Das war doch überraschend, denn solche Sätze kannte ich bis dahin eher von Verwaltungsbeamten kurz vor deren Ruhestand.
Mittlerweile aber hat sich der Bischof als durchaus aktiver Repräsentant des Christentums erwiesen. Er tauft, er firmt, er weiht bei Kutschenfahrten die Lande – und auch da ist es nicht ausgeschlossen, dass neben der wunderbaren Symbolik dieses Handelns solches Weihen am Ende auch wirkt. Denn auch die Trauben, denen die Winzer regelmäßig Mozart vorspielen, sollen einen deutlich besseren Wein ergeben, als die, die im prosaischen Alltag auf die Ernte warten.Voderholzer ist Bischof, er wirkt als Bischof, er predigt, er erlässt die Sünden, oder auch nicht – und wer die Sterbesakramente von ihm erhält, kann getrost seines Weges ziehen. Auffallend aber ist, dass Voderholzer sich mehr und mehr als politischer Bischof positioniert. Das ist deshalb lustig, weil er von den Bischöfen das Gegenteil einfordert. Die sollen sich, so fordert er es von der Bischofskonferenz, lieber um die Seelen ihrer Schäfchen kümmern – und nicht um irgendeinen synodalen Weg, der offensichtlich, so scheint es dem Bischof, direkt aus der Hölle kommt und auch direkt dorthin zurückführt. Der Bischof nennt solches teuflisches Geschehen zwar „Zeitgeist“, aber gemeint ist ganz exakt der Teufel, der ja den Zeitgeist produziert.
Bischof Voderholzer selber allerdings mischt sich rege in die Welt der Politik ein. Und weil auch die modernen Öko-Bauern vom Zeitgeist beseelt oder sogar besessen scheinen, stellt er sich mit recht seltsamen Figuren der Zeitgeschichte aufs Foto und positioniert sich gegen ein Dokument der Bischofskonferenz, das sich dem Schutz und der Bewahrung der Schöpfung verschreibt.
Auch sonst sind die Fotos, auf denen man unseren Bischof sieht, recht ungewöhnlich. Regelmäßig findet sich dort der Kardinal von Köln mit Namen Rainer Maria Woelki. Niemand in der bürgerlichen Welt, der auf sich hält, würde sich freiwillig mit dem ablichten lassen. Tausende hat der in seiner Diözese aus dem christlichen Glauben buchstäblich vertrieben. In Köln nimmt man den allenfalls im Karneval noch ernst. Aber doch: Der Schaden, den der angerichtet hat, ist dennoch immens. Ist schon verwunderlich, sich mit so einem zu solidarisieren.„Der hat auf Bischof studiert“, ist unter Theologen ein beliebter Satz. Wenn Woelki wirklich ganz aus dem Glauben und für den Glauben leben würde, hätte er sein Amt in irgendeiner Form, mit oder ohne Rücktrittsangebot an den Papst, längst an einen Nachfolger übergeben, um die Menschen in Köln neu für den christlichen Glauben zu gewinnen. Aber da hat halt einer „auf Bischof studiert“, mit all den Annehmlichkeiten, die ein solches Mandat ein Leben lang mit sich bringt.
Ich habe auch noch eine zweite wirklich lustige Begegnung mit unserem Bischof Rudolf Voderholzer, diesmal eine literarische. In einem Text hatte ich geschrieben, dass mir ein hochrangiger CSU-Politiker gesagt hatte, dass er sich wundere, was der Bischof von Regensburg so treibe. Wenige Tage später erhielt ich Post. Der Bischof hatte mir zwei Bücher zugesandt, eines für mich, eines für den Politiker, beide wohlwollend signiert. Einfach um mich und den anderen von der CSU aufzuklären, was ihn so umtreibe, was er denke und am Ende so schreibe.
Ich liebe Bücher und so nahm ich auch dieses zur Hand. Und ich kam tatsächlich – wenn auch mit Mühe – bis zur Seite 91. Dann nahm ich eine „Geschichte des Mittelalters“ zur Hand. Und siehe da: Das Frauenbild von Bischof Voderholzer fiel offenbar vor diese Zeit zurück. Und so stellte ich das Buch ins Regal und ließ beim CSU-Politiker anfragen, ob er das Buch überhaupt noch haben wolle. Der wollte das auf jeden Fall und holte das signierte Buch gerne bei mir ab. Über seine Lektüreerfahrung habe ich allerdings niemals mit ihm gesprochen.
Schon mit dem Vorgänger Voderholzers hat mich eine recht lustige Beziehung verbunden. Kardinal Gerhard Ludwig Müller lud mich ein paar Mal zum Weintrinken in die bischöflichen Gärten nach Regensburg ein. Das hatte ihm sein Presseadjutant geraten, um lustige Glossen über ihn in der Zeitung in Zukunft eher zu vermeiden. Professor Gerhard Ludwig Müller ist ein hochgebildeter Zeitgenosse. Aus dem Stegreif unterhielt er sich mit mir über die Philosophie des Dänen Sören Kierkegaard, als hätte er ihn gerade erst studiert.
Kardinal Müller hat auch echten Humor. Als er mir an einem lauen Sommerabend in den bischöflichen Gärten ein dickes Buch von sich schenkte, fragte er vorsichtig, ob er es mir handschriftlich widmen dürfe oder ob es dann verdorben sei. Das waren schöne, geistreiche Abende. Eine Glosse später allerdings wurde ich nie mehr eingeladen. Wenn wir uns heute zufällig auf den Straßen Regensburgs treffen, freuen wir uns dennoch beide und begrüßen uns herzlich, so krude ich seine Theologie auch finde.
Und Bischof Rudolf Voderholzer? Das Problem ist für mich nicht nur seine Theologie. Da gibt es sogar einen Aspekt, der vollkommen richtig ist. In der Weltkirche und beim Papst sind die Glaubens- und Kirchenfragen in diesem Land tatsächlich zweitrangig. Zölibat, Rolle der Frau und anderes. Der Papst ist ein Papst der Liebe jenseits der Theologie – und er kommt noch dazu aus Südamerika. Der tickt ganz anders als die Bischöfe hier. Aber die Art und Weise, wie dieser Widerspruch – und das ist entscheidend – vorgetragen wird, hat etwas Zerstörendes.
Die Mehrzahl der Bischöfe in Deutschland bemüht sich mit ganzer Kraft, den Glauben in eine immer noch modernere und noch säkularere Welt hineinzutragen. Die verraten den wahren Glauben doch damit nicht, sondern sie suchen verzweifelt einen Weg zu den Menschen in diesem 21. Jahrhundert. Das ist in dieser Zeit unglaublich schwer, oft fast unmöglich. Das darf man doch nicht so kontrovers in Abrede stellen. Das ständige Sondervotum der so medienwirksam widersprechenden anderen Bischöfe ist in dieser Form nicht gut, sondern es schadet der Sache des Glaubens. Dem Glauben, der in dieser postmodernen Gesellschaft am Ende so dringend gebraucht wird. Solche Widerrede lässt sich theologisch sicher begründen. Und beim Papst gibt es für solchen lauten Widerspruch vielleicht sogar ein Fleißbildchen, aber ob es der Liebe Gott auch so gerne sieht? Schon gar in dieser Form?
Und die Priester vor Ort? Vor Kurzem habe ich im Gespräch mit einem von ihnen bemerkt, dass sie Bischof Voderholzer den Spitznamen „unser Rudi“ gegeben haben. Jedenfalls einige von ihnen. Das ist gut so. Wir sollen nicht streiten. Wir wollen nicht streiten. Bischof Rudolf Voderholzer ist unser Bischof. Er tauft, er firmt, er ist als Christ einer von uns – und an Weihnachten wird er im Dom von Regensburg stehen und seine Weihnachtspredigt halten. Und für die unter uns, die von anderem Denken und Sprechen inspiriert werden, gibt es viele andere Kirchen mit vielen anderen Predigten.
Straubinger Tagblatt vom 15. November 2024