Als Karl-Theodor zu Guttenberg noch nicht der überführte Fälscher einer Doktorarbeit war, sondern gefeierter Nachwuchsstar der CSU, da geschah es regelmäßig, dass er bei Veranstaltungen, wo auch der damalige Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) anwesend war, auf das Freudigste mit Namen begrüßt und beklatscht wurde. Horst Seehofer, der ihn längst als Rivalen um seinen eigenen Ministerpräsidentenstuhl erkannt hatte, reagierte dann regelrecht elektrisiert, als habe ihn gerade wieder einmal ein Stromschlag getroffen. Guttenberg hatte die Gabe, fast eine Stunde lang zu reden und dabei nichts zu sagen, das aber so salbungsvoll, dass seine Zuhörer begeistert applaudierten. Am Ende war alles nur Show und der Ministerpräsident verlor sein Amt an einen anderen Rivalen, den er überhaupt nicht als Nachfolger sehen wollte.
Von einem nicht uneitlen katholischen Bischof ist bekannt, dass er immer dann, wenn auch nur der Name eines liberalen Theologen genannt wurde, mit dem ihn eine langjährige Rivalität verband, vor Ärger fast vom Stuhl fiel. Dass der auch nur erwähnt wurde – und das auch noch in seiner Gegenwart!
Und ein heute pensionierter Bischof der evangelischen Kirche ging gleich noch einen Schritt weiter. Weil der Hörsaal eines beliebten Professors der evangelischen Theologie, der es wagte, die Brücke vom christlichen Glauben zum Buddhismus zu schlagen, regelmäßig überfüllt war, sein eigener aber weitgehend leer, strengte er ein Verfahren an, das dem beliebten Kollegen die Lehrerlaubnis entziehen sollte, weil der nicht mehr auf dem Boden der protestantischen Theologie stünde, sondern sich mit seinem Brückenschlag in die fernöstlichen Kulturen von Martin Luthers strenger Lehre längst unbotmäßig entfernt habe.
„Vermute nie eine bessere Gesinnung, wenn es noch eine schlechtere gibt“, pflegte der langjährige Politikredakteur unserer Mediengruppe, Fridolin Rüb, immer wieder zu sagen. Gemeint war, dass allzu oft Neid und Eifersucht die bestimmenden Motive hinter Debatten sind, die scheinbar so sachlich geführt werden.
Dass Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck in den letzten Wochen eine unglückliche Figur abgab, steht außer Frage. Ein im ersten Anlauf missglückter Entwurf, die Gaspreise in den Griff zu bekommen; eine Talkshow-Äußerung, die auch nur die halbe Wirklichkeit abbildete und mehr als holprig formuliert war; und dann auch noch der Kompromissvorschlag mit den drei Kernkraftwerken, der wiederum sehr stark darauf abzielt, die eigenen Wähler nicht noch mehr zu verschrecken, als sie es mit dem Kurswechsel in der Außenpolitik, was die Ukraine angeht, sowieso schon sind. Das war etwas viel!
Aber die Frage stellt sich dennoch. Steckt hinter den hochaggressiven Angriffen der politischen Gegner auf Habeck in den letzten Wochen nicht doch ein tieferes Motiv, das sich nicht zu erkennen gibt? Entlädt sich über dem Intellektuellen Habeck nicht eine Wut ganz anderer Art? Wer ist dieser Mann, dass sich so viele an ihm reiben?
Vor allem ist Robert Habeck ein Gegenentwurf zu den üblichen Politikern, wie sie uns häufig eher als Funktionäre ihrer Parteien begegnen. Mit einer gestanzten, auf Unangreifbarkeit getrimmten Sprache und angepasster Persönlichkeit.
Habeck hat Literatur studiert und schon seine Doktorarbeit mit dem Titel „Die Natur der Literatur. Zur gattungstheoretischen Begründung literarischer Ästhetizität“ muss bei solcher Spezifität von Thema und Titel nicht mehr auf Originalität überprüft werden, wobei das sicher schon viele getan haben. Dann sein Weg als Schriftsteller: Zusammen mit seiner Frau, mit der er offenkundig immer noch in Liebe und Ehe verbunden ist, schrieb er nicht nur Kinderbücher, sondern war auch ein buchstäblich ausgezeichneter Autor von Literatur, die anspruchsvoll war und mit Preisen bedacht wurde.
Dazu vier Söhne. Eine Biografie, die selten ist und wunderbar. Der Einstieg in die Politik nebenbei. Dann Minister und stellvertretender Ministerpräsident in Schleswig-Holstein. Bei den Menschen beliebt und auch erfolgreich.
Robert Habeck hat aber noch etwas getan, was bei den Kollegen Neid und Eifersucht erweckt. Er hat sich in der Politik die eigene Sprache und die eigene Haltung bewahrt. Was viele provoziert, ist die Tatsache, dass er seine Authentizität regelrecht zu zelebrieren scheint. Er verweigert sich den Rollenerwartungen, denen viele seiner Kollegen so dienstfertig zu genügen suchen. Die gestanzten, allzu glatten Formulierungen, die auf alles immer und sofort eine Meinung haben, lehnt er ab. Er ist der Gegentyp zu Friedrich Merz, der in den Talkshows zu allen Fragen immer sofort eine Antwort parat hat. Wie aus der Pistole geschossen – und das auch noch, ohne nachzudenken!
Ist das aber bei Habeck am Ende überhaupt echt, fragte vor Kurzem sogar das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“; oder ist das nicht nur eine bessere Form der Selbstinszenierung? Auf jeden Fall geht es immer wieder mal schief. Und das wird dann natürlich von den Kollegen, die seinen Stil so kritisch beäugen, mit aller Häme, die sie in sich finden können, aufgegriffen.
Wir wissen aber, dass Menschen in vielen Berufen auf eine Rolle, die sie buchstäblich auch spielen, angewiesen sind. Der Priester, der Lehrer, der Arzt. Sie entwickeln, wenn sie gut sind, eine Art, eine Haltung, eine Sprache, aus der heraus sie hoffen, Menschen begegnen und helfen zu können.
Auch dort geht das aber immer wieder mal schief. Der Priester, der in der Predigt plötzlich selbst merkt, dass er sich verliert an eine Haltung und dem Zuhörer zu wenig begegnet. Der Arzt, der sorgenvoll ans Krankenbett tritt und den im Innersten ganz andere Sorgen plagen. Wem gelingt es schon, sieben Tage die Woche jede Stunde seiner Berufung perfekt nachzugehen!
Solches Verstehen und solche Nachsicht ist dem Generalsekretär der CSU, Martin Huber, auf jeden Fall ganz fremd. Er bescheinigte dem Wirtschaftsminister Dr. Robert Habeck letzte Woche eine „intellektuelle Insolvenz“. Wissen muss man dazu, dass die Ludwig-Maximilians-Universität München nicht nur die Doktorarbeit des CSU-Politikers mit dem sensationellen Titel „Der Einfluss der CSU auf die Westpolitik der Bundesrepublik“, sondern sogar seine Magisterarbeit mit dem ebenfalls hochspannenden Thema „Bundestagswahlkämpfe der CDU/CSU als Oppositionsparteien“ begründet auf Plagiate überprüft. Der Publizist Jochen Zenthöfer hat herausgefunden, „dass ganze Passagen mehr oder minder abgeschrieben“ wurden.
Die Arbeiten liegen zeitlich allerdings so weit zurück, dass sie eventuell nicht mehr angreifbar sind. Aber klar wird: Diesem Niveau hat sich ein Robert Habeck immer verweigert – und genau deshalb wird er so aggressiv angegriffen.
Straubinger Tagblatt vom 17. September 2022