Guten Morgen, Herr Caruso!
Guten Morgen, mein Freund!
Ich möchte heute etwas mit Ihnen besprechen, das etwas delikat ist, etwas unter der Gürtellinie buchstäblich…
Immer raus mit der Sprache!
Also, ich mach’s kurz: Japanische Wissenschaftler von der Kyoto University haben jetzt herausgefunden, dass sowohl Schimpansen als auch Menschen gerne in Gruppen zum Pinkeln gehen.
Und wo wäre da das Problem?
Also, wir gehen ja oft miteinander spazieren. Und da beobachte ich bei Ihnen keinerlei Wunsch oder gar Begehren, mit anderen Hunden zum Pinkeln zu gehen. Sondern Sie erledigen diese Sache regelmäßig und auch durchaus häufig für sich. Und jetzt habe ich eben die Sorge, dass Schimpansen, aber halt auch wir Menschen weniger eigenständig sind als Hunde, dass wir also buchstäblich weniger autonom sind – und das betrübt mich!
Aber mein Freund, Sie kennen doch den Ausdruck, den man verwendet, wenn jemand noch reicher und mächtiger werden will….
Nein, wie lautet denn der?
Da sagt man doch: Der will jetzt mit den ganz großen Hunden pinkeln gehen und daraus schließe ich, dass auch Hunde miteinander zum Pinkeln gehen…
Aber haben Sie denn das jemals selber erlebt oder gesehen?
Das nicht, aber ich glaube der Redewendung. Nun sagen Sie mir doch endlich, Herr Professor, was ist denn ihre eigene Erfahrung?
Also das ist ja das Problem. Ich erzähle Ihnen die ganze Geschichte: Als ich ein junger Student war, saß ich mit drei Freunden bei einem kleinen Volksfest auf dem Land in einem wunderbaren niederbayerischen Bierzelt. Plötzlich stellten wir fest, dass wir alle vier zum Pinkeln mussten. Wir erhoben uns, gingen nach draußen und stellten uns an einen nahe gelegenen Waldrand. Wir erhoben die Blicke zum klaren Sternenhimmel, der die tiefschwarze Nacht so wunderbar erhellte, während es zu unseren Füßen rauschte, als würden kristallklare Bergbäche die Alpenhänge herabrauschen und ihren Klang in unsere Ohren flüstern.
Sie waren also betrunken, sternhagelvoll sozusagen!
Nein, eben nicht, ich war ganz klar – und da passierte es…
Passierte was?
Plötzlich wurde mir bewusst – es gibt Gott! Ich blickte zu den Sternen, ich hörte die Bergbäche und plötzlich wusste ich, ich bin nicht allein auf dieser Welt…
Ja, es standen ja auch ihre ebenfalls pinkelnden Freunde neben ihnen…
Aber nein, das war es gerade nicht! Ich machte sozusagen eine Glaubenserfahrung, eine Sinn- und Seinserfahrung!
Ja, wie viele Maß hatten Sie denn getrunken?
Ach, Sie Zyniker, ich erzähle Ihnen mein halbes Leben und sie spotten meiner!
Also gut, Sie machten eine übersinnliche Erfahrung da draußen vor dem Bierzelt mit ihren Freunden. Und wie ging’s dann weiter?
Wir kehrten zurück ins Zelt an unsere Tische und bemerkten, dass sich an den Nebentisch vier wunderschöne junge Frauen gesetzt hatten.
Jetzt wird’s ja endlich wirklich spannend!
Sie waren so schön, dass man meinte, sie wären gerade einem Märchen entsprungen. Eine schöner als die andere – es war wie in einem Traum, aber echt!
Ja – und dann?
Natürlich suchten wir das Gespräch mit ihnen und waren nach kurzer Zeit auch recht erfolgreich!
Das klingt schon besser…
Aber dann kamen eben plötzlich vier junge Männer zum Zelt herein, die gerade noch draußen beim Schießen gewesen waren. Offensichtlich kamen sie aus dem tiefsten Bayerischen Wald…
Ja, und dann?
Unerklärlicherweise drohten sie uns vieren vom Nachbartisch, die wir uns gerade noch so gut unterhalten hatten, sofort eine Tracht Prügel an… und das mir, der ich doch gerade noch draußen Gott selber begegnet war…
Und wie ging’s am Ende aus?
Mit einer philosophischen Erkenntnis, die mich seither nie mehr verlassen hat.
Und die lautet?
Manchmal kommen einem unerwartet Dinge, heilige Dinge also, die ganz ferne zu sein scheinen, wie aus dem Nichts ganz nahe. Und Dinge wiederum, die ganz nahe zu sein scheinen, verschwinden in einem einzigen Augenblick wiederum im Nichts!
Also, mein Freund, jetzt gebe ich Ihnen zum Schluss noch einen guten Rat!
Und welchen?
Diese Sache behalten Sie aus vielen Gründen besser für sich!
Werd’ ich beherzigen, Ihnen herzlichen Dank für das gute Gespräch!
Straubinger Tagblatt vom 22. März 2025