Leitartikel: Nur Aufrüstung ist die falsche Antwort

Machen wir doch einfach einmal die Gegenprobe! Wenn das fortgesetzte Liefern von Kriegswaffen in die Ukraine ohne gleichzeitige Kompromissangebote an Russland und die geplante Aufrüstung der westlichen Welt die beste aller möglichen Antworten auf die Krisensituation dieser Welt und dieser Zeit wäre, dann würde das auch bedeuten, dass dies auch spirituell die beste Antwort wäre, die im Augenblick zu geben ist.

Das würde ganz konkret bedeuten, dass von Gott her keine andere und bessere Lösung möglich ist, als dass seit über drei Jahren täglich Hunderte russische und ukrainische Soldatinnen und Soldaten an der Kriegsfront sterben. Das wäre sozusagen die Unterschrift Gottes unter unser Verhalten. Es geht halt nicht besser, das wäre die spirituelle Aussage, die sozusagen unterschriftsreif vorläge. Ist das wirklich vorstellbar? Kriege hat es immer gegeben und wird es immer geben, das sagen die, die das in ihrem dummen Zynismus so sehen. Aber die Antwort, die aus dem Evangelium zu geben ist, ist doch eine ganz andere! Wie oft soll einer vergeben, das fragt Petrus Jesus, siebenmal? Und Jesus antwortet: Nicht siebenmal, sondern siebzigmal siebenmal! Das wird heute in der Theologie mit Blick auf die Symbolzahl Sieben so gedeutet, dass es unbegrenzt heißt.

Jeder Tag steht im Zeichen eines möglichen Neuanfangs, das ist die Botschaft, die Jesus uns gibt. Nicht Rache, nicht eine bleierne moralische Gerechtigkeit, die jede Liebe im Keim erstickt, sondern stetiger Versuch eines Neuanfangs, das ist die Botschaft der Texte des Evangeliums. Eine moralische Politik ist genau der falsche Widerspruch zu solchem Denken. Denn sie fordert auf der Basis einer abstrakten Gerechtigkeit eine Norm ein, die immer einzuhalten wäre. Ein Ideal also, dem kein Mensch genügen kann, und das genau im Widerspruch zur Botschaft des Christentums steht. Der Weg zur Hölle ist mit guten Vorsätzen gepflastert, so heißt das dann umgangssprachlich.

Papst Franziskus hat einmal gesagt, dass er es hasse, idealisiert zu werden. Das mache ihn, so meinte er, hochaggressiv. Er bestehe darauf, ein armer Sünder zu sein. In der Ukraine-Frage war er genau deshalb nicht bereit, sich einseitig auf eine Seite zu stellen. Ihm war wohl bewusst, dass sich im Leben niemals Kain und Abel gegenüberstehen, sondern in jedem Menschen Kain und Abel zugleich wohnen und ihre Kämpfe austragen. In jedem Menschen gibt es Hass und Liebe, das lehrt die Psychologie – und nur wer auf der Basis solchen Wissens handelt, kann Frieden schaffen. Die christliche Philosophie beschreibt deshalb den Menschen als ein Wesen, das niemals festgelegt ist, sondern immer zwischen gut und böse neu entscheidet.

Papst Franziskus hat der ungeheuren Aufrüstung, die jetzt geschieht, deutlich und sehr laut widersprochen. Waffen, die es im Überfluss gebe, würden am Ende auch eingesetzt, meinte er. Er, der der Papst der Armen war, verstand vor allem auch den Zusammenhang von Aufrüstung und Kapitalismus. Den vielen Start-ups in der Drohnenindustrie, die gerade in München wie Pilze aus dem Boden schießen, ist es vollkommen egal, was mit ihrer Entwicklung geschieht, solange das Geld in die Kasse spült. Die Rüstungsmanager von Rheinmetall jubeln laut und ungeniert über die Kurssprünge ihrer Aktie. Das ist die zynische Gegenwelt zur Welt des Christ-Seins.

Der Philosoph Jürgen Habermas, der im Laufe seines Lebens dem christlichen Denken erkennbar immer näher gerückt ist, erklärte vor Kurzem deutlich seine Fassungslosigkeit darüber, dass in Deutschland wieder ernsthaft diskutiert werde, ob es eine wehrpflichtige Armee mit den Söhnen und Töchtern dieses Landes geben solle. Er habe für sicher erachtet, dass eine solche Mentalität in diesem Land geschichtlich längst vorbei sei!

Und der hochkultivierte ehemalige Oberbürgermeister Klaus von Dohnanyi meint im gerade erschienenen Interview mit dem Pioneer-Herausgeber Gabor Steingart: „Haben Sie den Kollegen Boris Pistorius jemals darüber sprechen gehört, dass auch Diplomatie ein Sicherheitsfaktor ist? Sie hören ihn nur, wenn es um Kanonen, Panzer oder Ausgaben für die Rüstung oder die Bundeswehr geht. Und das ist ein Irrtum.“ Auf die Frage, ob es für Deutschland eine Kriegsgefahr gebe, antwortet er klug: „Es muss keinen großen Krieg geben. Es gibt Möglichkeiten, die Interessen abzugleichen und auch wieder zu einer Verständigung – auch mit Russland und auch mit China – zu kommen. Aber wenn man unbedingt recht behalten will, die Interessen der anderen Seiten einem egal sind und diese andere Seite sowieso unrecht hat und böse ist – dann wird man möglicherweise auch um einen Krieg nicht herumkommen.“ Grautöne zuzulassen, das Schwarz-Weiß-Denken endlich zu beenden, das ist das, was gerade heute nottut und was auch Christenpflicht ist.

Straubinger Tagblatt vom 13. Juni 2025