Leitartikel – Donald Trump: der Verführer der Gescheiterten

In genau einer Woche also wird in den USA gewählt. Und das Erstaunliche: Auf den letzten Metern gewinnt Donald Trump in den Umfragen an Stimmen. In sechs der sieben umkämpften sogenannten Swing States liegt er jetzt also knapp vorne, sodass ein Sieg Trumps heute sogar wahrscheinlicher ist als der seiner frisch gebackenen Konkurrentin Kamala Harris. Für einen „normalen“ Menschen ist das kaum nachvollziehbar. Trump ist ein Gangster, ein Lügner, ein Mann, dem buchstäblich nichts heilig ist. Ein Narziss, dem nur sein eigenes Fortkommen wichtig ist. Aber wie geht das dann, dass so einer oder eben genau der einen solchen Zuspruch bekommt?

Der französische Psychoanalytiker Jacques Lacan gibt in seinen Texten darauf die entscheidende Antwort. Er teilt das Leben des Menschen in drei Stufen ein. Die erste Stufe ist für ihn das sogenannte „Imaginäre“. Ein Mensch, der zur Welt kommt, habe erst einmal intuitiv die Vorstellung, dass diese ganze Welt ihm gehöre. Im Zauber des Erwachens seines Lebens erblickt er die Schöpfung als nur seine Welt. Ein Kind-Sein, wie es erlaubt und notwendig ist. In der zweiten Stufe erlebe der junge Mensch das sogenannte „Reale“. Das Reale aber ist noch nicht die Wirklichkeit seines Lebens, sondern die Erfahrung, dass es da draußen in der Welt eben diese Welt gibt. In ihrem an und für sich sein. Diese Welt steht ihm also nicht ausschließlich in einem imaginären Sinne zur Verfügung, so muss er es erfahren. Vielmehr hat sie eine Eigengesetzlichkeit, die sich dem Menschen eben nicht unterordnet. Im Spiel mit der Welt, im Erkennen seiner eigentlichen Lebensbedingungen, in der Auseinandersetzung mit den Objekten da draußen erlebt der junge Mensch seine Grenzen, aber auch seine Möglichkeiten. Die eigentliche Grenze aber wird so der andere Mensch, der selber Subjekt ist und so den anderen, gerade den jungen Menschen in seinem imaginären Begehren zurückweist. Damit aber kommt für Lacan die entscheidende Ebene des Lebens ins Spiel: das sogenannte „Symbolische“. Ein Mensch darf unter genau seinen realen Lebensbedingungen wählen: eine Partnerschaft, einen Beruf, Freunde. In dieser seiner Wahl, die immer auch von seinen schicksalhaften Voraussetzungen begrenzt ist, realisiert er dennoch seine Freiheitsmöglichkeiten. Wo das gelingt, ist er am Ende „ein“ Mensch, „ein“ Freund, „ein“ Partner. Er ist zwar so nur einer unter allen, aber als genau der, der er ist, doch in genau seiner Persönlichkeit angesprochen.

Was in der psychoanalytischen Theorie schon schwer genug klingt, ist im Leben noch schwerer! Jeder weiß doch, wie mühsam die Berufungen ins eigene Leben ablaufen. Wie oft an jedem Tag hinterfragt wird: Ist das mein Weg? Bin ich dort, wo ich sein soll? Oder bin ich irgendwann irgendwo falsch abgebogen? Und wenn ja, wie kann ich das korrigieren? Das sind die Lebensfragen, von denen wir alle umgetrieben werden. Wo sie gut beantwortet werden können, entsteht Frieden und sozialer Zusammenhalt. Und was – wenn nicht?

Zu sehen ist doch auch, dass diese Welt nicht die besten Voraussetzungen bietet, damit Leben gelingt. Der Reichtum ist auf ganz wenige begrenzt. Sinnvolle Arbeit und ganzheitliches Erleben von Welt – wie viele haben die Möglichkeit? Und ein offenes Gespräch über diese Thematik? Wo wäre das möglich in einer Welt, in der diese Dinge von der Schulzeit an viel zu wenig gestellt werden können. Im Diktat von Leistung und Konsum gehen solche Fragen allzu leicht unter.

Und was geschieht dann? Wenn Leben scheitert? Menschen merken, dass sie um ihr Leben betrogen werden. Oder betrogen worden sind. „A young angry man“ (ein junger zorniger Mann) ist die Alltagsbeschreibung auf diese Männer in Amerika, aber es gibt auch genügend Frauen, auf die das zutrifft. Zorn, Wut, Gewalt ist das, was in allen möglichen Mischformen entsteht.

Auf der Ebene, die die Psychoanalytiker beschreiben, allerdings geschieht etwas sehr Bedeutsames. Denn diese Menschen, die so nicht in der Welt des symbolischen, gelingenden Lebens ankommen, regredieren in die Welt des Imaginären! Alles könnte anders und besser sein. Aber dorthin gibt es für sie eben keinen Weg mehr der vielen kleinen Schritte, die ins Leben führen würden. Sondern eine radikale Wende braucht es für sie, damit am Ende auch ihr Leben gelingt.

Und genau an diesem Punkt schlägt jetzt die Stunde der Verführer. Sie malen mit allen Farben der billigsten Fantasie eine bessere Welt an den Horizont der scheinbar realisierbaren Möglichkeiten. Keine Lüge ist schal genug, um nicht doch die Herzen der Zornigen zu gewinnen. Und der politische Gegner, der in dieser bürgerlichen Welt der kleinen Schritte sich bewegt und dort helfen und die Welt zum Besseren bewegen will, wird abgewertet noch mit den ordinärsten Worten, die sich finden lassen. Kamala Harris ist eine Frau, die Donald Trump um Klassen überlegen ist, mit Stil, mit echtem Erfolg in der wirklichen Welt; aber gegen diese bösartigen Ausfälle eines mindestens Halbwahnsinnigen fehlen am Ende die Argumente – weil es die dann auch kaum mehr gibt!

Man muss aber am Ende auch fragen: Was ist alles über die Jahrzehnte schiefgegangen in den USA, sodass heute rund die Hälfte der Menschen dort nicht mehr glaubt, im bestehenden politischen Rahmen Lösungen für eine gute Welt zu finden. Von Richard Nixon und Henry Kissinger mit dem schrecklichen Krieg damals in Vietnam, der so sinnlos so viele Tote forderte, bis zur Gesundheits- und Altersvorsorge heute, die es immer noch nur rudimentär gibt. Da bekommt ein Donald Trump am Ende Oberwasser, weil er fähig ist, all das Scheitern der Jahrzehnte produktiv für sich umzumünzen. Je schlimmer die Zustände in der realen Welt werden, umso leichter fällt die Regression in die Dimension des Imaginären!

Und wir selbst hier in Deutschland? Noch sind es nur knapp 20 Prozent, die ihre politische Heimat bei den Verführern der AfD sehen. Aber jeder Tag, an dem unsere Regierung sich noch unfähiger zeigt, die Probleme des Landes gemeinsam anzugehen, schadet unserer Demokratie. Ein Donald Trump ist hierzulande – Gott sei Dank – nicht zu sehen, das haben wir schon hinter uns. Aber der Stillstand, den unsere Regierung sich jetzt also offenkundig für nochmals elf Monate auferlegt, damit dann am Ende vielleicht die Wahlergebnisse besser sind als die Umfragewerte heute, ist nicht mehr zu verantworten.Die Wahlen in den USA werden die ganze Welt so oder so verändern, ganz gleich, wie die ausgehen. Aber was hier geschieht, das können wir beeinflussen. Wir dürfen nicht nur dem Zorn verfallen!

Straubinger Tagblatt vom 29. Oktober 2024