Vor rund 30 Jahren fand an der Hochschule für Philosophie der Jesuiten in München ein kleiner Kongress statt. Philosophen und Wissenschaftler aus aller Welt setzten sich für die Ächtung von Antipersonenminen ein. Das Echo war eindeutig und nur positiv. Antipersonenminen sind mit das zynischste Mittel bei der Kriegsführung. Sie zerstören den Körper, häufig von Kindern beim Spielen, die manchmal im Krieg, oft genug nach einem Krieg, auf eine solche Mine treten. In der Regel sind die Beine zerfetzt, aber auch der Tod ist oft genug eine Folge. Außer den USA waren damals alle kultivierten Länder der westlichen Welt mit an Bord, um sich gegen diese Minen auszusprechen. In der Ottawa-Konvention von 1997 einigten sich am Ende 164 Staaten, darunter alle Länder, die heute in der Nato als Abwehrbündnis organisiert sind, darauf, auf solche Minen zu verzichten.
Jetzt hat sich der Wind allerdings gedreht. Polen, Litauen, Lettland und Estland beabsichtigen, aus dieser Konvention auszusteigen, wie die „Süddeutsche Zeitung“ letzte Woche berichtete. Bei einem möglichen Angriff aus Russland ist also auch dieses Mittel recht. Schon heute setzt die Ukraine aus den USA gelieferte Streubomben, aber auch ebenfalls von dort gelieferte Antipersonenminen ein, obwohl die Ukraine Mitglied der Ottawa-Konvention ist. Polen und die Nachbarländer wollen diesem Beispiel jetzt folgen!
Wieder einmal wird erkennbar: Nicht nur Kriege, sondern bereits Kriegsvorbereitungen bedienen die kulturelle Spirale nach unten, exakt so, wie das der Philosoph Jürgen Habermas vor Kurzem beschrieben hat. Nicht zu vergessen, dass solches Kriegsgerät auch der eigenen Bevölkerung schadet. In der Ukraine starben 2023 laut der Hilfsorganisation Handicap 580 Ukrainer, weil sie auf eigene Minen traten!
Vor Jahren gab es noch eine Diskussion, ob Drohnen, wo beim Töten das eigene Leben nicht mehr bedroht ist, in Kriegen eingesetzt werden sollen. Diese Diskussion gibt es selbst in Deutschland nicht mehr. Drohnen sind heute selbstverständliches Handwerkszeug des Militärs, es geht nur noch darum, in der Rüstungsindustrie, wo die Kassen klingeln, alle Innovationsschritte zügig zu vollziehen, um über modernstes Gerät zu verfügen.
Eine Diskussion, wohin wir kulturell wollen, gibt es nicht mehr, allein die militärische Perspektive gibt den Ton vor. Wer mit deutschen Europapolitikern spricht, der hört häufig genug die Phrase: „Was unsere Nachbarn im Osten hierzu denken …“ Dabei wäre doch eher interessant, dass wir uns selbst fragen, was wir selber zu bestimmten Dingen denken!
Wollen wir wirklich mit Politikern aus Polen, Lettland oder Litauen, die für die Beschaffung von Antipersonenminen eintreten, in einem politischen Europa leben, wo deren Stimme für uns Relevanz hat? Doch eher nicht! Da muss man sich doch abgrenzen! Europa als Wirtschaftsraum: ja! Aber alles andere bleibt doch hochproblematisch – und das zeigt sich jeden Tag wieder neu, auch wenn es richtig ist, gemeinsame Verteidigungsanstrengungen zu unternehmen.
Vor Jahren meinte ein intellektuell wenig begabter Verteidigungsminister, dass die deutsche Sicherheit auch am Hindukusch verteidigt werde. Das war falsch und erscheint heute als lächerlich. Vor allem die Journalisten der Springer-Presse erzählen in diesen Tagen ungebremst, dass die Freiheit Europas in der Ukraine verteidigt werde. Und ein Essayist des Nachrichtenmagazins „Der Spiegel“ schreibt diese Woche, dass unsere Freiheit „bestimmt im Baltikum verteidigt“ wird. Eher erscheint es sinnvoll, die eigene geistige Freiheit in unserem Land vor so manchen Journalisten hierzulande und bestimmten Politikern aus dem Osten Europas zu verteidigen.
Straubinger Tagblatt vom 4. April 2025