Kommentar: Neuwahlen – eine undemokratische und populistische Forderung

Falls es vergessen wurde: Bei Bundestagswahlen wählen wir keinen Kanzler, sondern ein Parlament! Und das alle vier Jahre. Und die Abgeordneten dieses Parlaments wählen dann eine Regierung mit einem Kanzler. Das hat gute Gründe. Alles, was im Grundgesetz aufgeschrieben wurde, soll die Demokratie vor Erschütterungen oder gar ihrer eigenen Abschaffung schützen. Die Position des Kanzlers ist bewusst schwächer als die des Präsidenten in der Weimarer Republik. Er soll kein Dominator sein! Gestärkt wurde das Parlament.

Und es soll eben ausgeschlossen sein, dass in Zwischenphasen einer Regierung die Beliebtheitswerte dieser Regierung dafür sorgen, dass dann – ganz populistisch adäquat – neu gewählt wird. Das soll eben genau nicht passieren, das wollten die „Mütter und Väter des Grundgesetzes“ so haben. Klugerweise! Denn die vielen wechselnden Regierungen in der Weimarer Republik haben am Ende zur Zerstörung dieser ersten Demokratie auf deutschem Boden beigetragen. Stabilität sieht anders aus. Die Rufe aus der CDU/CSU nach Neuwahlen dienen nur ihrem eigenen Interesse. Die wissen ganz genau, dass die Situation in einem Jahr eine ganz andere sein wird als heute. Und wollen eben heute den ganz schnellen Erfolg. Die Wählerinnen und Wähler sollen sich aber in einem Jahr dann auch in Ruhe und aller Ausführlichkeit ein Bild der Kandidaten machen, in einem Wahlkampf, den es auch braucht.

Der Ruf nach Neuwahlen ist undemokratisch und populistisch. Wer es nötig hat, so zu agieren, der muss schon gewaltig Angst haben, dass ihm die Felle allzu schnell davon schwimmen.

Straubinger Tagblatt vom 11. Juni 2024