Buchtipp: Der Journalist Christian Pantle enthüllt in „Der Bauernkrieg“ die Grausamkeit der feudalen Oberschicht

Eine „Kriminalgeschichte des Christentums“ hat vor Jahren der Kirchenkritiker Karlheinz Deschner geschrieben, ein Buch, in dem all die Schattenseiten der Kirche über die Jahrhunderte penibel aufgelistet wurden. Eine „Kriminalgeschichte des Adels“ könnte auch der Titel des von Christian Pantle so glänzend geschriebenen Buchs „Der Bauernkrieg“ heißen. Denn die Erhebungen der Bauern in Süddeutschland, dem Elsass, in Teilen der Schweiz und Österreichs vor 500 Jahren waren keine Umsturzversuche, denen der Adel mit der Brutalität hätte begegnen müssen, in der er das am Ende dann doch getan hat.

Es ging nur um bessere Lebensbedingungen in einer vom Adel beherrschten Feudalwelt. Die Bauern waren über die Jahrzehnte von ihren Herren immer weiter und rücksichtsloser ausgepresst worden, sodass sie einfach handeln mussten. Aber ihre gewaltbereite Revolution endete dort, wo es von Seiten des Adels Kompromisse und Versprechen gab, die dann allerdings vom Adel – sobald das möglich war – wieder aufgehoben wurden.

Wie viel Loyalität die Bauern dem Adel entgegenbringen, zeigt ein aus 12 Kapiteln bestehendes Programm, das sich Vertreter des Bauernstandes im Frühjahr 1525 geben und als Flugschrift in Augsburg drucken lassen. Die Bauern sprechen darin den Adel „in demütigem Bitten und Begehren“ an, wehren sich nur gegen überhöhte Steuerabgaben, fordern, gut begründet, die Abschaffung der Leibeigenschaft, eine unparteiische Rechtsprechung und dass die Wälder und Gewässer, die von ihnen bewirtschaftet werden, nicht so sehr der Jagdleidenschaft des Adels dienen sollen, sondern einer fruchtbaren Bewirtschaftung durch die Bauern. „Den großen Zehnt“ auf das Getreide wollen sie weiter gerne geben, die Bauern, am Ende geht es ihnen laut Christian Pantle um einen fairen Interessensausgleich „zwischen Kirche, Grundherren und Bauern“.

Wie Kasimir in Kitzingen ein Exempel statuierte

Dieses Programm der Bauern gilt heute in der Wissenschaft als wichtige Sprosse auf der Leiter hin zu einer Welt der Freiheitsrechte und der Demokratie. Pantles Resümee: Diese Deklaration gehe „sogar weit über Englands berühmte Magna Charta von 1215 hinaus, die nur der Minderheit der Bürger freie Rechte zugesteht“. Weil die Bauern einfordern, dass am Ende alle Menschen gleich vor Gott geboren seien („der Hirte wie der Höchste“), sieht der ehemalige Bundespräsident Johannes Rau im Jahr 2000 in diesem Programm „die Überzeugung von der Universalität der Menschenrechte“.

Und was macht der Adel? Er reagiert mit äußerster Grausamkeit! Die Zahl an Folterungen und Morde an den widersetzlichen Bauern steigt mit jeder Woche. Georg Truchsess von Waldburg und Markgraf Kasimir von Brandenburg-Kulmbach sind zwei der aller übelsten adligen Verbrecher, die vor nichts zurückschrecken. In großer Zahl werden Rebellen, aber auch Unschuldige gefoltert, verbrannt oder geköpft. Es gibt kein Mitleid und kein Erbarmen. Machtpolitik wird rücksichtslos durchgesetzt.

Besonders gut erkennbar wird diese Handschrift des Adels am Verhalten von Markgraf Kasimir in Kitzingen. Er verspricht den rebellischen Einwohnern und Bürgern, die zum Teil an der Seite der Bauern stehen, ihr Leben zu schonen, wenn sie sich ergeben würden. Und so sticht er ihnen, um sein Versprechen zu halten, nach deren Aufgabe „nur“ die Augen aus und verweist die Erblindeten der Stadt, sodass sie außerhalb der Stadtmauern erbärmlich sterben. Natürlich sterben auch schon einige während der Prozedur, die Kasimirs Henker an ihnen vollzieht. Aus der Rechnung des Henkers, die heute noch vorliegt, zeigt sich die ganze Grausamkeit des Adels dieser Tage: Genau verzeichnet sind darin die Enthauptungen, die Zahl der abgeschlagenen Finger und der ausgestochenen Augen. Während die Frauen für ihre Männer bitten und flehen, antwortet Kasimir voller Zynismus: Die Rebellen hätten ihn nicht länger als Herrn ansehen wollen, „so sollen sie ihn denn auch nicht mehr sehen.“

Das Buch von Christian Pantle zeichnet nicht nur sehr informativ die ganze Geschichte der Bauernaufstände vor 500 Jahren nach, sondern setzt auch den Unmenschen aufseiten des Adels und den Helden auf der anderen Seite ein Denkmal. Mit Martin Luther, der Entdeckung Amerikas und der Erfindung des Buchdrucks fällt diese Bewegung zeitlich exakt in die Zeit des Aufbruchs in die Moderne, die manche Fachleute 250 Jahre vor Immanuel Kant als eine Art „Frühaufklärung“ bezeichnen.

Noch aber hält sich der deutsche Adel fast 400 Jahre an der Macht. Mit Otto von Bismarck, den Hohenzollern und Kaiser Wilhelm II. führt er das 1871 gegründete Deutschland in die Abgründe des Ersten Weltkriegs. Erst dann ist der Spuk vorbei. Nur in „Hallo Deutschland“ am Spätnachmittag im ZDF spielen seine letzten Zuckungen mit Hochzeiten und feinen Festen heute noch eine boulevardeske Rolle. Als wertvoller Mosaikstein, deutsche Geschichte zu verstehen, aber auch als guter und spannender Lesestoff sei Pantles Buch herzlich empfohlen.

Straubinger Tagblatt vom 12. Oktober 2024