Bauern empören sich über eine kirchliche Studie zur Landnutzung. Interview mit Professor Johannes Wallacher, der die Studie verantwortet.

Eine Studie der Deutschen Bischofskonferenz zu Ernährungssicherheit, Klimaschutz und Biodiversität hat viele Landwirte verärgert. Professor Johannes Wallacher, Präsident der Hochschule für Philosophie in München, verantwortet die Studie. Im Interview mit unserer Mediengruppe reagiert Wallacher auf die Kritik der vergangenen Wochen.

Herr Wallacher, die Münchner Landfrauen haben sich geweigert, an Erntedank den Altar im Dom zu schmücken – aus Verärgerung über Ihre Studie. Manche Bauern wollten gar aus der Kirche austreten. Haben Sie mit solchen Reaktionen gerechnet?

Johannes Wallacher: Ganz ehrlich: nein. Wenn man so eine Studie als einen Diskussionsbeitrag vorstellt, rechnet man mit Kritik und Kritik ist in der Wissenschaft ja ein gutes Mittel für mehr Erkenntnisgewinn. Aber viele Reaktionen waren deutlich mehr: ein Zerriss, mit sehr emotionalen Vorwürfen behaftet. Man hatte den Eindruck, dass diejenigen, die da so schnell schießen, die Studie nicht wirklich gelesen haben oder ihre Inhalte gar nicht ganz erfassen wollten.

Wie erklären Sie sich das?

Wallacher: Ganz offensichtlich trifft man auf einen Berufsstand – und dafür habe ich großes Verständnis –, der unter sehr starkem Druck steht und sich gesellschaftlich ständig rechtfertigen muss. Aber es hilft diesem Berufsstand nicht weiter, die Probleme einfach weg zu diskreditieren. Wir sollten gemeinsam schauen, wie man die Zukunft gestaltet. Genau das ist das Anliegen der Studie: dass man die Landnutzungswende als eine gemeinsame Aufgabe von Gesellschaft, Politik und den betroffenen Landwirtinnen und Landwirten sieht. Verfasst hat die Studie die Sachverständigengruppe „Weltwirtschaft und Sozialethik“, deren Vorsitzender Sie sind, herausgegeben hat sie die Kommission Weltkirche der Deutschen Bischofskonferenz. Trotzdem kam auch aus der Katholischen Kirche Kritik – etwa aus dem Bistum Regensburg, wo von „Bauern-Bashing“ die Rede war.

Wie passt das zusammen? 

Wallacher: Das war eine Einzelstimme – wobei man den Eindruck hat, dass es möglicherweise um etwas ganz anderes geht. Aus Regensburg gibt es immer mal wieder Querschüsse gegen das, was von der Bischofskonferenz kommt. Insofern stehen da möglicherweise weitere Interessen und nicht nur die der Landwirte im Vordergrund. Ein Stein des Anstoßes ist, dass die Studie Böden „gesellschaftlich und ethisch betrachtet“ als „Gemeingüter“ beschreibt. Und weiter heißt es dort: „Eigentumsrechte sind damit niemals unbegrenzt, sondern stehen unter dem Vorbehalt, den Eigentumsgebrauch mit dem Grundsatz der universalen Bestimmung der Erdengüter zu vereinbaren.“

Das klingt ein bisschen nach Enteignung bei Verstoß. 

Wallacher: Das ist ein schweres Missverständnis. Das Grundgesetz und noch mehr die Bayerische Verfassung betont die Sozialpflichtigkeit des Eigentums. Juristisch bleibt es Privateigentum, aber – und das ist eines der zentralen Prinzipien der katholischen Soziallehre – die Erdengüter, insbesondere Naturgüter wie Böden, sind für alle bestimmt. Demnach gibt es besonders bei Böden kein grenzenloses Nutzungsrecht, sondern es sind immer die Auswirkungen auf das allgemeine Interesse zu berücksichtigen.

Was bedeutet das? 

Wallacher: Die Auswirkungen davon, wie ich Land nutze, machen nicht an der eigenen Besitzgrenze halt. Sie beeinflusst das allgemeine Wohl – positiv wie negativ. Wenn ich die Böden so bewirtschafte, dass sie bestmöglich Humus bilden und mehr CO2 und Wasser speichern können, leiste ich einen positiven Beitrag zur Anpassung an den Klimawandel. Mache ich das nicht, trage ich dazu bei, dass die Gefahr von Überschwemmungen bei Starkregenereignissen steigt. Wenn wir also „Gemeingüter“ sagen, geht es uns darum, das private und das allgemeine Interesse zusammenzubringen. Das heißt: Wenn Landwirtinnen und Landwirte in die Bodengesundheit investieren, ist das eine wichtige Ökosystem-Dienstleistung für die Gesellschaft. Dafür sollten sie nicht nur wertgeschätzt, sondern auch honoriert werden, das muss sich finanziell auszahlen. So kommen beider Interessen zusammen.

Was müsste dafür geschehen? 

Wallacher: Etwa eine Umstellung der staatlichen Förderung weg von rein flächenbezogenen Prämien hin zur Vergütung dieser Dienstleistungen für die Gesellschaft.

Was ist mit denjenigen, die diesen Weg nicht gehen wollen? 

Wallacher: Uns geht es darum, die Bodengesundheit zu stärken, die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Bäuerinnen und Bauern besser abzusichern und die Bürokratie abzubauen, die das jetzige Fördersystem mit sich bringt. Die Umsetzung kann man verschiedentlich gestalten. Eine Möglichkeit wäre, die landwirtschaftliche Produktion und den Konsum von Nahrungsmitteln mittelfristig auf geeignete und faire Weise den Emissions-Zertifikate-Handel einzubinden, damit Landwirte davon profitieren können, wenn sie mehr leisten als das, was gesetzlich vorgeschrieben ist. Ein marktwirtschaftliches Instrument mit klarem Ordnungsrahmen.

Wie war das mit der Quotierung bei der Tierhaltung, die für viel Wirbel gesorgt hat? 

Wallacher: Weltweit erfolgt ein großer Flächenverbrauch durch den Futtermittelanbau. Darüber hinaus hat übermäßige Tierhaltung negative Folgen für Böden und Grundwasser. Wir stellen uns aber nicht gegen Tierhaltung per se. Gerade in Bayern ist Weidewirtschaft ohne Tierhaltung weder vorstellbar noch ökologisch sinnvoll. Wir plädieren für maßvolle, das heißt, flächenbezogene Tierhaltung – ob man das über Förderinstrumente macht oder über Quoten, ist ein gesellschaftlicher Aushandlungsprozess. Aber immer intensivere Tierhaltung zu betreiben, ist auf Dauer nicht gut für die Gesellschaft.

Die bayerische Landwirtschaftsministerin Michaela Kaniber allerdings sah sich angesichts der Tierquote und anderer Vorschläge zu einem Protestbrief genötigt. Ihr Vorwurf: Alle Bäuerinnen und Bauern würden per se unter Generalverdacht gestellt.

Wallacher: Dieser Vorwurf ist völlig unbegründet. Das zeigen auch die vielen sehr differenzierten Reaktionen, die wir aus der Landwirtschaft bekommen. Diese Stimmen sind nur nicht so laut wie die anderen. Viele Landwirtinnen und Landwirte erkennen, dass es uns um ihre gute Zukunft geht, dass wir sie einladen, gemeinsam die gesellschaftlichen Voraussetzungen zu schaffen, damit sie die genannten Herausforderungen besser schultern können. Dafür brauchen wir die Politik, wir müssen die Nahrungsmittelkonzerne und den Handel mit ins Spiel bringen. Und natürlich müssen wir auch die Konsumentinnen und Konsumenten mit in die Verantwortung nehmen: mit ihrer Bereitschaft, für hochwertige Lebensmittel einen entsprechenden Preis zu bezahlen. Weil das für sozial Schwächere nicht möglich ist, schlagen wir in diesem Bereich Übergangsprämien und einen sozialen Ausgleich vor.

Wie müsste die Landwirtschaft der Zukunft also aussehen? 

Wallacher: Eines der großen Anliegen der Studie ist, dass wir diese langgehegten Polaritäten aufheben: konventionell gegen Ökolandbau, städtisch gegen Land, Kleinbetriebe gegen Großbetriebe. Diese Polaritäten sind falsch. Wir brauchen eine breit aufgestellte Landwirtschaft mit unterschiedlichen Betriebsgrößen und -formen. Und alle müssen sich anstrengen, auf Dauer den Boden zu erhalten. Die Bodenwissenschaftler sagen uns, dass auch in Europa 60 Prozent der Böden nicht mehr gesund sind. Es besteht die Gefahr, dass Ertragskraft und Fruchtbarkeit sinken werden, weil die Biodiversität zurückgeht, die Bodenverdichtung durch immer schwerere Landmaschinen zunimmt und weil die Böden die Fähigkeit verlieren, Humus zu bilden. Deshalb müssen alle Betriebe nachhaltig dafür sorgen, dass die Gesundheit ihrer Böden erhalten bleibt oder wiederhergestellt wird. Dazu braucht es entsprechende Anreize.

Ähnliches hat man auch schon von EU-Präsidentin Ursula von der Leyen gehört. Wie ist der aktuelle Stand in Brüssel?

Wallacher: Papiere haben wir wirklich genug: Etwa das der Zukunftskommission Landwirtschaft, die noch unter der früheren Bundesagrarministerin Julia Klöckner eingesetzt wurde, und unter breiter Beteiligung aller Akteure einschließlich des Deutschen Bauernverbands im Konsens einen sehr vernünftigen Weg in die Zukunft gewiesen hat. Untertitel war damals „Die Zukunft der Landwirtschaft ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe“ – also der gleiche Tenor wie bei uns. Aber politisch ist wenig passiert. Das gilt auch für die EU-Ebene. Anfang September wurde der Bericht „Strategischer Dialog zur Zukunft des Agrar- und Lebensmittelsektors“ vorgestellt, der in eine ganz ähnliche Richtung geht. Doch leider kommt es in diesem Bereich eher zu einem Kulturkampf um Deutungshoheiten, als dass der kulturelle Aspekt der Landwirtschaft produktiv genutzt wird.

Ist der Widerspruch also teilweise ideologisiert zugunsten eigener Interessen? 

Wallacher: Noch mal: Das Thema ist emotionalisiert, weil der Berufsstand unter Druck steht. Es wird aber auch von Populisten und einzelnen Verbandsvertretern instrumentalisiert – teilweise wider besseres Wissen –, weil es im jetzigen System natürlich auch Profiteure gibt. Es geht auch um Umverteilung von Macht. Wenn wir weggehen von der Flächenprämie, verlieren die Großgrundbesitzer die Möglichkeit, aus der bloßen Tatsache heraus, dass sie viel Land besitzen, viel Unterstützung zu erhalten. Doch durch das jetzige System wird das Höfesterben angetrieben, weil es systematische Anreize liefert, immer mehr Land zu erwerben. Deswegen wundern mich die Reaktionen explizit in Bayern: Wir sind viel kleinräumiger strukturiert als andere Bundesländer, es gibt hier noch mehr kleinere und mittelständische Betriebe, die von einer solchen Umstellung viel stärker profitieren würden als Großbetriebe im Osten oder Norden.

Ist der Gegenwind denn nur in Bayern so stark?

Wallacher: Meinem Eindruck nach liegt der Schwerpunkt derzeit deutlich auf Bayern. Was würde geschehen, wenn sich nichts ändert? Wallacher: Die Notwendigkeit der Veränderung würde noch drastischer. Darüber müssen sich die Bauern bewusst sein. Wenn sie sich dieser Diskussion nicht stellen, wird sie irgendwann ohne sie geführt, was viel schlimmer ist. Deshalb sollten die Landwirtinnen und Landwirte sich konstruktiv an dieser Debatte beteiligen.

Was droht uns sonst konkret?

Wallacher: Wenn die Prognosen stimmen und neben dem massiven Flächenverlust vor allem durch Neuversiegelungen für Infrastruktur und Neubau die Qualität der Böden abnimmt, verlieren wir auf Dauer die Fähigkeit, ausreichend Nahrungsmittel zu produzieren, wir gefährden die natürlichen Lebensgrundlagen und werden noch anfälliger für den Klimawandel.

Die Katholische Kirche ist nicht nur Herausgeberin Ihrer Studie, sie ist auch Großgrundbesitzerin. Welche Aufgaben hat sie mit Blick auf die Agrarwende?

Wallacher: Die der Dialog-Ermöglicherin – und ich glaube, das funktioniert jetzt. Außerdem sollte sie Anwältin des Gemeinwohls sein, was sie in vielen Fällen auch ist: Seit Franziskus’ Enzyklika „Laudato si“ sind die Anliegen von globaler und generationenübergreifender Gerechtigkeit eng verknüpft und die Zusammengehörigkeit von sozialer und ökologischer Krise ein unverrückbarer Bestandteil der katholischen Soziallehre. Der dritte wichtige Punkt stellt die Kirche allerdings vor Herausforderungen: Sie kann für das, was die Studie will, nur glaubwürdig einstehen, wenn sie bei der Nutzung von Land mit gutem Beispiel vorangeht. Das ist nicht ganz einfach, weil „Kirchenland“ eine hohe Eigentümerstreuung aufweist und dezentral von lokalen Stiftungen verwaltet wird. Da sind noch sehr dicke Bretter zu bohren! Aber es hilft nichts: Alle müssen sich auf den Weg machen!

Interview: Prof. Dr. Martin Balle und Natalie Kettinger

Straubinger Tagblatt vom 26. Oktober 2024