Armin Laschet – Kanzlerdämmerung

Der Abschied von der Macht im Kanzleramt begann für die CDU an einem Dienstag, dem 30. März 2021, kurz vor Mitternacht. Einen möglichen Kanzlerkandidaten Markus Söder gab es da noch gar nicht. Das Thema bei Markus Lanz in seiner berühmt-berüchtigten Talkshow in dieser Nacht war wieder einmal die Corona-Pandemie. Neben einer Intensivmedizinerin, einer klugen Journalistin aus Berlin und dem unvermeidlichen Boris Palmer aus Tübingen saß Armin Laschet. Mittlerweile allseits bekannt. Der Moderator spielt die Sequenz ein, da Anne Will der Kanzlerin in einem einstündigen Gespräch zwei Tage vorher die Kritik am nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten entlockt, weil der dem gewünscht strengen Kurs der Bundesregierung nicht folgen mag. Es gibt Fußballspiele, die stehen nach zwei Minuten eins zu null. Nach einem Elfmeter und der Roten Karte gegen den Torwart wegen eines groben Fouls am auf ihn zustürmenden Stürmer spielt die dezimierte Mannschaft dann den Rest des Spiels zwar noch zu Ende, aber es ist dem Zuschauer schon klar, wie das nach 90 Minuten ausgehen wird. Nur die Höhe des Sieges des Gegners steht noch infrage.

So geht es jetzt der CDU nach Laschets Auftritt bei Markus Lanz und dem Zweikampf mit Markus Söder beim bevorstehenden Bundestagswahlkampf. Mit gepflegtem Wohlstandsbauch und zu kurzen Socken erläuterte der CDU-Vorsitzende bei Lanz, dass alles halb so wild sei, die Kanzlerin und er seien ziemlich beste Freunde, im Übrigen gehe es um die Sache, was auch immer in diesem Fall die Sache war. Der Blick von Boris Palmer auf den kleinen Armin Laschet war der eines Klassensprechers, der glücklicherweise diese Situation des von der Lehrerin gerügten Schülers gerade nicht selbst erleben muss, aber dem Mitschüler jetzt leider auch nicht helfen kann. Fast eine halbe Million Menschen haben auf Youtube diese Sendung mittlerweile angesehen. In der Tat – sie spricht wirklich Bände.

Jetzt ist Laschet das Schicksal der Konservativen in diesem Land. Hoffnung macht ihnen, dass Laschet ein „Steher“ sei, ein schöner Begriff aus der Welt des Boxens. Einer also, der durchhält, der sich auch in der achten Runde nach einem Niederschlag nicht geschlagen gibt, sondern nochmals aufsteht und bereit ist für die letzten harten Runden des Kampfes. Ganz gleich, was es einzustecken gilt. Die Veranstalter von Boxkämpfen lieben diese Steher, denn im Unterschied zum sogenannten Fallobst der ersten Runden bieten die Steher dem Publikum etwas bis zur letzten Sekunde des Kampfes. Während sich intelligentere Boxer spätestens in der zweiten Runde „schlafen legen“, wie die Fachleute das nennen, und recht unversehrt das Antrittsgeld gerne mit nach Hause nehmen, kämpft der Steher tatsächlich bis zum Schluss und dem Publikum wird etwas geboten für sein Geld. Aber eines ist auch klar: Die Steher sind keine Champions! Die sind nochmals aus ganz anderem Holz geschnitzt. Und wenn es jetzt heißt, dass sich Laschet im Machtkampf gegen Söder durchgesetzt hat, so ist auch das eine nicht ganz richtige Formulierung. Wie einst Henry Maske mit seinem guten Auge hat der bayerische Ministerpräsident klar erkannt, dass sich der Zweikampf mit Laschet zu einer Art „Kirmesboxen“ verwandelt, und sich dann doch lieber rechtzeitig fein zurückgezogen, als auf diesem Niveau weiter zu prügeln. Eine zweite Runde in der Fraktion von CDU/CSU – sicher für den geneigten Zuschauer am Boxring wäre es ein großer Spaß geworden. Es spricht sehr für Markus Söder, dass er das nicht mehr zugelassen hat.

Und jetzt? Gut 20 Prozent sind es noch, die den kleinen Armin Laschet zum Kanzler wählen würden. Das sei eine Momentaufnahme, sagen manche Fachleute, das sehe man doch an Martin Schulz, dessen Umfrageblase ja auch zügig geplatzt sei, damals vor vier Jahren, beim letzten Bundestagswahlkampf. Aber war das damals nicht ganz anders? Martin Schulz verschlief den Zug ins Kanzleramt regelrecht. Er meinte, dass das schon reiche, auf guten Umfragewerten ins Kanzleramt zu segeln. Es gab keine „Butter bei die Fische“, kein echtes Programm, kein Profil wurde erkennbar, weder von „seiner“ SPD noch von ihm selbst. Vor seinen Veranstaltungen bat Martin Schulz die Teilnehmer für die Kameras am Ende „Martin, Martin“ zu rufen, damit die Euphorie um ihn in die Wohnzimmer der Republik übertragen werde und bis zum Wahltag anhalte. Das war dann doch deutlich zu wenig.

Das aber ist heute ganz anders. Die Zeit, als die Grünen mit Jürgen Trittin und Joschka Fischer die Arroganz der Macht buchstäblich verkörperten und für eine bürgerliche Mitte beileibe nicht wählbar waren, ist lange vorbei. Da steht heute eine Mannschaft, die von Robert Habeck bis Cem Özdemir hoch motiviert ist und tatsächlich ernsthaft versucht, Antworten zu finden auf die Fragen der Zukunft. Es spricht Bände, dass der Präsident einer hoch angesehenen Technischen (!) Universität in Deutschland bei Laschet abwinkt und meint, dass es mit dem bestimmt keine nachhaltigen Zukunftslösungen geben werde, wo endlich Technik und Ökonomie auf der einen Seite mit den Fragen der Ökologie und einer lebenswerten Umwelt auf der anderen Seite in Beziehung gesetzt werden würden. Bei vielen Menschen gibt es heute ein tiefes Bewusstsein und auch den Wunsch, dass es so nicht weitergehen darf. Sie sind bereit, die eigene Komfortzone zu verlassen, um für ihre Kinder und Enkelkinder eine bessere Welt zu hinterlassen. Und auf diese Wählerinnen und Wähler zeichnet ein Kandidat Armin Laschet, dem das Wohlgefühl des gemütlichen Bürgers, der nach einem Schoppen guten Weins gerne gut einschlafen mag, wie eingeprägt scheint, überhaupt nicht.

In Deutschland hat es große Kanzler gegeben. Konrad Adenauer, dem es gelang, das Dritte Reich so zu verleugnen, als hätte es nie stattgefunden, und der nur so die Integration Deutschlands in die westliche Welt schaffte. Willy Brandt, dem es gelang, die Seele Deutschlands wiederzuerwecken, indem in seiner Zeit diese Verdrängung aufgehoben werden konnte. Helmut Schmidt und Helmut Kohl, die am Ende ihres Lebens noch gemeinsam eine Erklärung veröffentlichten, dass man Russland nicht isolieren darf, wenn man Sicherheit für Europa will. Die großen Politiker in diesem Land hatten immer ein eigenes geistiges Fundament, eine spürbare Autonomie ihrer Persönlichkeit, die glaubwürdig war und so die Menschenherzen gewann. Wofür steht Armin Laschet? Dafür, dass er Kanzler werden möchte. Mehr Idee war selbst bei Schröder und Merkel. In seinem eigenen Bundesland ist Laschet nicht mehr beliebt. Und was sagte ein kluger Psychotherapeut über die Originalität Laschets: „Er ist nur der Resonanzraum für das Denken und Sprechen anderer.“

Straubinger Tagblatt vom 24. April 2021