Das ist erinnerlich: Wenn Bundeskanzler Helmut Kohl von Politikern anderer Parteien aufgefordert wurde, vor laufenden Kameras kritisch zu Chinas Verletzung von Menschenrechten in deren Land Stellung zu nehmen, reagierte er regelrecht zornig. Was er hinter verschlossenen Türen zu diesem Thema mit den Machthabern Chinas verhandle, werde er kaum vor laufenden Kameras herausposaunen. Das war auch schon das Prinzip der Außenpolitik von Willy Brandt und Helmut Schmidt: der anderen Seite ins Gewissen reden – aber niemals vor laufender Kamera.
Das zweite Prinzip dieser drei großen Kanzler war: immer mit der anderen Seite im Gespräch bleiben. Willy Brandt hatte damit begonnen, mit seiner Entspannungspolitik, am Ende landete Helmut Kohl mit Gorbatschow in der Sauna. Die guten Folgen sind ausreichend bekannt. Der außenpolitische Berater Kohls Horst Teltschik fasste das später so zusammen: „Wir hätten zur Not auch mit dem Teufel gesprochen.“
Immer im Gespräch zu bleiben, das war das entscheidende Prinzip deutscher Außenpolitik über Jahrzehnte. Das ist heute anders: Der neue Außenminister Johann Wadephul will mit dem russischen Außenminister Sergej Lawrow nicht mehr sprechen. „Er ist ein Lügner, mit solchen Menschen spreche ich nicht“, so sagte er wörtlich vor laufender Kamera. Und auch das zweite langjährige Prinzip deutscher Außenpolitik negiert er: Vor laufender Kamera kritisiert er die Staatsführer Chinas, weil sie immerhin teilweise die Politik Russlands unterstützten, wie er lauthals vermerkt.
In früheren Zeiten verehrten die Menschen in Russland Deutschland regelrecht. Werden sie heute nach dem größten Feind ihres Landes gefragt, so kommt als Erstes unser Land über ihre Lippen. Das hat natürlich mit der Propaganda im eigenen Land zu tun, aber doch auch mit unserem Verhalten, wie es Außenminister Wadephul in typischer Weise praktiziert. Und China hört wenige Tage nach den Äußerungen Wadephuls auf, die hierzulande dringend benötigten seltenen Erden in ausreichender Menge nach Deutschland zu exportieren.
Eine kluge, allseits bekannte Maxime für öffentliches Sprechen lautet: „Du sollst nicht lügen, aber niemand kann dich zwingen, alles zu sagen, was du denkst oder weißt.“ Oder wie es ein alter Mann einmal zusammenfasste: „Am Ende eines Lebens gibt es Tausende von Sätzen, die du nicht gesagt hast, obwohl sie alle wahr gewesen wären.“ Was Johann Wadephul angeht, gibt es noch ein drittes Manko, was ihm anzulasten ist. Die Kritik am Verhalten Israels, als es längst die Zivilbevölkerung des Gazastreifens massakrierte, kam zu spät und blieb auch zu leise.
Die Außenminister der Regierungen Kohl und Schmidt blieben eher im Schatten ihrer Kanzler. Sie waren Reise- und Sonnenscheinminister, von Klaus Kinkel bis zu Guido Westerwelle. Das war nicht die schlechteste Lösung für dieses Land und auch für sie selbst. Sie waren glücklich in ihrem Amt und verursachten wenigstens keinen Schaden. Bei Johann Wadephul ist das anders: Er spricht nicht, wo er sprechen sollte. Wenn er spricht, schadet er mit seinem Sprechen immer wieder den Interessen unseres Landes. Und er schweigt zu lange dort, wo er längst hätte sprechen sollen. Johann Wadephul ist deutlich erkennbar eine Fehlbesetzung im Amt des Außenministers.
Straubinger Tagblatt vom 29. Oktober 2025