Leitartikel: Herbst der Reformen – ist bei den Reichen gar nichts zu holen?

Eines ist ganz klar: Die Besucherinnen und Besucher des Münchner Oktoberfestes sind am vergangenen Wochenende nur knapp einer Katastrophe entkommen. Auf dem überfüllten Gelände hätte eine Panik fast zu einem Unglück geführt, bei dem das Unglück im Brüsseler Heysel-Stadion vor exakt 40 Jahren oder auch die Katastrophe bei der Duisburger Loveparade vor 15 Jahren nochmals übertroffen worden wären. Massenveranstaltungen tragen immer den Keim eines Risikos in sich. Ein Glück: Es ist dieses Mal noch einmal gut gegangen!

Allerdings: Wer sich beim Münchner Oktoberfest in ein Bierzelt setzt, der bekommt auf jeden Fall sofort Sehnsucht nach dem Straubinger Gäubodenvolksfest! Eine Maß Bier mit einer großen Breze kostet samt Trinkgeld gleich 25 Euro, bei einer kleinen Tüte Mandeln ist man immerhin schon mit zehn Euro dabei. Und beobachtet man die Männer und Frauen, die schon am Nachmittag betrunken auf den Tischen und Bänken singend die Maßkrüge schwenken, dann fragt man sich: Werden diese Gestalten in diesem Land wohl jemals wieder bei einem sinnhaften Arbeitsprozess mithelfen können? Wer sind diese Leute, die da ihre trunkene Freude schon am Nachmittag so laut herausschreien? Pflegehelfer oder Krankenschwestern eher nicht, auch Lehrer kommen wohl kaum infrage. Es bleibt ein Rätsel, wie die ihr Geld verdienen. Unter dem Gejohle der umstehenden Gäste steigen einige auf den Tisch und „exen“ ihre Mass, auch das eine doch eher fragwürdige Leistung.

Aber dann – eine Hoffnung: Von der Empore hoch droben, von oben herab prostet die neue Regierung mit ihren Krügen der breiten Masse, die im Parterre ihrer lustvollen Freude nachkommt, freundlich zu. Einige klatschen, andere pfeifen, wieder andere fragen verwirrt, wer da von oben so freundlich herab grüßt. Das ist die Regierung, wird ihnen gesagt, ob sie trunken, kurzsichtig oder schlecht informiert sind – es muss offenbleiben.

Ein Zeichen der Verbundenheit also mit den Menschen da drunten, aber auch miteinander, so wird es am nächsten Tag in der Zeitung stehen. Die alte Regierung war zerstritten, die neue ist es noch nicht, das sagen die Bilder – oder sollen es wenigstens so bedeuten.

Der Herbst der Reformen fällt aus, das steht auf derselben Seite, es soll ein Frühling werden, erst tagen die Kommissionen, ob es im Frühjahr Ergebnisse gibt? Eines steht jetzt schon fest: Das Bürgergeld soll reformiert werden. Fachleute haben errechnet, dass dort pro Jahr immerhin 480 Millionen Euro eingespart werden können. Von den 150 Milliarden Euro, die in den nächsten drei Jahren fehlen, immerhin ein knappes Prozent, umgerechnet also: fast schon ein Hundertstel!

Und der Rest? Dafür gibt es die Kommissionen! Die Renten sind knapp, da wird man kaum sparen können, die Krankenkassen schreiben Verluste, da geht’s auch nicht. Und bei der Pflege werden seit Jahren Rezepte gesucht, dass die überhaupt funktioniert, da kann man gar nicht mehr sparen!

Der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Arbeitgeber, Rainer Dulger, wurde vor Kurzem in einem Interview gefragt, ob nicht auch die Reichen in diesem Land etwas dazu beisteuern sollten, dass dieses Land wieder besser funktioniert. Seine Antwort: Da brauche man gleich gar nicht anfangen, da käme kaum etwas zusammen! Und das war noch vor dem Oktoberfest, sodass der gar nicht bei den singenden Betrunkenen gewesen sein kann. Ja, stimmt’s dann am Ende, was er sagt? Denn auch der Kanzler hat doch in der letzten Bundestagsdebatte gemeint, dass er nichts davon halte, wenn einige wenige jetzt besonders belastet würden! Das deutet doch in dieselbe Richtung. Haben die beiden am Ende recht?

Früher war Kanzler Friedrich Merz Aufsichtsratsvorsitzender von Blackrock, wo das Geld der ganz Reichen verwaltet und vermehrt wird. Vielleicht hat er dort tatsächlich mitbekommen, dass bei denen am Ende wirklich nichts zu holen ist! Ja, das ist die Antwort: Wer so manchen ganz Reichen fragt, ob er nicht bereit wäre, stärker mitzuhelfen, dass es in unserer Gesellschaft wieder mehr Solidarität für alle gibt, der stößt oft genug auf ganz taube Ohren. Immerhin: Der Kanzler prostet der feiernden Menge beim Oktoberfest von oben herab freundlich zu. Das könnte doch ein Anfang sein!

Straubinger Tagblatt vom 3. Oktober 2025