Hallo Herr Caruso!
Caruso: Guten Tag Ihnen.
Unser letztes Interview liegt einige Wochen zurück. Aber ich kann vermelden, dass es erstaunliche Aufmerksamkeit bekommen hat.
Caruso: Das ist mir gleichgültig!
Warum das denn?
Caruso: Ich hab’s nicht nötig, um Aufmerksamkeit zu werben. Ich mach’ mein Ding!
Verstehe! Aber dennoch die Frage: Gibt’s denn was Neues aus Ihrer Familie? Oder auch aus Ihrer Welt?
Caruso: Das kann man wohl sagen. Ich krieg ja vieles mit zu Hause. Am schlimmsten ist übrigens die Schule heute!
Wieso das denn?
Caruso: Also, was die Kinder heute lernen müssen, das ist absurd! In der achten Klasse im Gymnasium nehmen die zurzeit die Folgen der Französischen Revolution durch…
Aber das ist doch wichtig! Denken Sie an die Folgen für ganz Europa! Revolution, Aufklärung – und ein König wird geköpft, vor versammelter Bürgerschaft, waren doch herrliche Zeiten!
Caruso: Ja, schon, ist mir klar! Aber wissen Sie, was dagegen heute in den Lehrplänen steht? Die innenpolitischen Folgen der Revolution für Frankreich im ausgehenden 18. Jahrhundert! Die Einteilung in Departements, die Justizreform in Frankreich und so weiter, wen soll das denn heute noch interessieren? Und noch dazu bei Kindern im Alter von 13 Jahren!
Na, die Kinder, die sitzen doch sonst vor TikTok, und so hören die endlich eine seriöse Geschichtsstunde, da sind die doch sofort interessiert! Gibt es etwas Spannenderes?
Caruso: Sie Witzbold! Eher sollte man schauen, was die bei TikTok kucken oder suchen! Da könnte man anfangen – und fragen: Warum interessiert euch das?!? Was ist da so aufregend für euch?
Sie sind ja ein schlauer Hund! Aber sollte man wirklich auch noch in der Schule auf TikTok eingehen? Wo endlich Ruhe ist!
Caruso: Find’ ich schon, irgendwo muss man die Kinder doch abholen! Wenn ich Hunger habe und man serviert mir ein Philosophiebuch – soll ich sagen, was ich mir da denke?
Nein, schon verstanden! Aber die Lateinstunden sind doch wichtig. Das ganze Auswendiglernen von den vielen Wörtern, die unendlich vielen Konjugationen und Deklinationen – jahrelang, wer wollte darauf verzichten!
Caruso: Jetzt sag’ ich Ihnen mal, was ich davon halte: Früher war das wichtig! Da gab es kein Internet, kein Fernsehen – und irgendwie musste man doch die Kinder einen halben Tag lang in der Schule beschäftigen. Da war Latein ideal! Stundenlang konnte man neue Wörter finden und lehren, die man niemals mehr brauchte. Das war ideal für eine Welt, die die Kinder einfach mal einen halben Tag los sein wollte. Und da wurde zudem Disziplin und Unterordnung gelernt in den Lateinstunden! Wer Latein perfekt beherrschte, den konnte man auch in einen Weltkrieg schicken, so fass’ ich das immer zusammen. Aber heute? Ich finde, es braucht mehr Orientierung – und weniger Drill. Latein ist Drill, jedenfalls dort, wo es über die Grundanforderungen einer einigermaßen anständigen Grammatik hinausgeht.
Herr Caruso, Sie sind auf jeden Fall ein Hund, der viel nachdenkt, das spüre ich!
Caruso: Da muss ich gar nicht nachdenken, das riech’ ich sofort!
Klar, aber was sollte man die Kinder denn dann lehren, in all der Zeit, die frei wird, wenn die nicht mehr so viel Latein pauken?
Caruso: Wer sie selber sind! Und was sie aus ihrem Leben machen wollen! Und dass ihr Leben ganz viel wert ist. Dass es ein Riesengeschenk ist, auf dieser Welt zu sein, das ist wichtig! Und dass auch die anderen Menschen etwas wert sind auf dieser Welt. Dass diese Fragen entscheidend sind, das wäre das Lebensthema auch in der Schule – statt Latein und Formelkram in Mathematik!
Aber, Herr Caruso, kann man denn damit Geld verdienen?
Caruso: Also, Menschen, die nicht wissen, wer sie sind, die werden auf jeden Fall entweder verrückt – und verdienen nichts – oder sie werden Elon Musk, was auch nicht ideal ist, auch wenn sie reich sind, oder?
Aber, Herr Caruso, wissen Sie denn selbst, wer Sie sind?
Caruso: Ganz genau nicht, natürlich, aber ich habe eine klare Vorstellung, was ich will und auch was Gerechtigkeit ist. Wenn mein Morgenspaziergang ausfällt, warum auch immer, dann werd’ ich sauer – und das aus gutem Grund!
Sie finden also, man sollte auch die Menschen stärker bei ihren wahren Bedürfnissen abholen?
Caruso: Genau das finde ich, endlich mal ein schlauer Satz von Ihnen! Menschen wollen leben, spielen, Musik hören, den Anderen begegnen, so wie wir Hunde halt auch! Aber euch stopft man doch von Kindheit an den Kopf mit Müll voll. Wir Hunde würden das nicht fressen, das sag ich Ihnen ehrlich!
Herr Caruso, das glaub’ ich, das war ein wahnsinnig wichtiges Schlusswort, darüber werde ich jetzt erst mal nachdenken, ich danke Ihnen auf jeden Fall für dieses offene Gespräch!
Straubinger Tagblatt vom 26. Oktober 2024